Claudia Baumann ist im neunten Monat schwanger und liegt voller Angst auf einem Operationstisch. Sie sagt zu den Ärztinnen und OP-Schwestern: "Ich werde aufgeschnitten, kann bitte jemand meine Hand halten?"
Sie erinnert sich genau
daran, was danach passiert. Denn niemand nimmt ihre Hand. Sie fühlt sich
so allein wie noch nie in ihrem Leben. Ihr Partner und Vater des Kindes
darf sie nicht begleiten, weil die Klinik beim Kaiserschnitt keine
Begleitung zulässt. Nur einmal durfte er Claudia Baumann vor der Geburt
besuchen, als sie in Isolation im Krankenhaus lag. "Das letzte Mal, als
wir vor der Geburt zu zweit waren, hat uns eine Glasscheibe getrennt",
sagt Baumann.
Seit Beginn der
Corona-Pandemie gibt es in jedem Bundesland unterschiedliche
Verordnungen, die für Krankenhäuser bestimmte Vorgaben machen. Dazu
zählt auch die Situation rund um die Geburt. Die Deutsche Gesellschaft
für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) hat bereits im März 2020 eine
Empfehlung dazu herausgegeben, wie Frauen trotz Pandemie in
Schwangerschaft und Geburt gut betreut werden können. Diese Empfehlungen
wurden immer wieder aktualisiert. Daran halten müssen sich die Kliniken
allerdings nicht. Im Endeffekt entscheidet jede Klinik selbst, welche
Regelungen bei der Geburt gelten. Dazu zählt auch die Frage, ob und wann
eine Frau bei der Geburt begleitet werden darf.
Was es bedeutet, wenn der Partner nicht dabei sein darf
"Aus psychologischer Sicht ist allein gebären zu müssen ein absolutes No-Go, weil es nachhaltig negative psychische Folgen für das ganze Familiensystem hat", sagt Silvia Oddo-Sommerfeld, leitende Psychologin in der Geburtshilfe der Uniklinik Frankfurt am Main. Sie hat in einer kleinen Studie untersucht, welche Auswirkungen Geburten mit coronabedingten Einschränkungen auf die Psyche von Müttern haben. Sie sagt: "Mutter, Vater und Kinder leiden unter den Folgen."
Ihre Studie zeigte: Frauen, die ihr Kind ohne Begleitung des Partners gebären mussten, waren nach der Geburt deutlich häufiger psychisch belastet als Frauen, die mit Begleitung ihr Kind zur Welt brachten. Ein Drittel der unbegleiteten Frauen wies im Anschluss eine traumatische Stressreaktion auf wie etwa Flashbacks von der Geburt. In der Vergleichsgruppe von Frauen, die mit Begleitung ihr Kind zur Welt gebracht hatten, waren es nur elf Prozent. Ein Viertel der Frauen in der Studie, die ohne eine Begleitperson gebärt hatten und drei Tage nach der Geburt an der Studie teilnahmen, litten unter Ängstlichkeit – bei der Vergleichsgruppe waren es nur knapp vier Prozent. Und rund 40 Prozent berichteten über ein reduziertes Wohlbefinden – im Vergleich zu rund 20 Prozent der Frauen mit Begleitung. Bei Kaiserschnitten seien die Folgen für die allein gebärenden Frauen besonders stark gewesen (Journal of Perinatal Medicine: Oddo Sommerfeld et al., 2022).
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