Die Hamburger Newcomer-Band Der Ringer bringt bald ihr erstes Album heraus. Vor ihrem Auftritt auf dem Reeperbahn Festival sind wir mit den fünf Musikern durch St. Pauli geschlendert, haben in der ehemaligen Wohnung der Beatles Playstation gespielt und über Diskurs-Rock gesprochen.
Fotos: Torben Weiß
„Hier ist es ruhig und wir haben einen Schlüssel“, antwortet Jannik Schneider auf die Frage, warum wir uns im Kitty treffen. Die Kneipe an der Feldstraße auf St. Pauli öffnet erst in einigen Stunden. Wir reißen die Fenster auf, um den Zigarettenrauch der letzten Nacht zu vertreiben. Jannik, Mitte Zwanzig, dunkle Ponyfrisur, steht hier normalerweise am Zapfhahn und schenkt Bier aus. Heute hat er frei und wartet auf seine Bandkollegen.
Jannik ist Sänger von Der Ringer – einem der interessantesten musikalischen Projekte dieses Jahres. Die erste EP ist 2013 beim Hamburger Label Euphorie erschienen. Im Frühjahr soll das Debutalbum folgen. Wir haben uns verabredet, um mit der Band eine Runde durch St. Pauli zu drehen, vor ihrem Auftritt auf dem Reeperbahn Festival. Rund um den Kiez tummelt sich bis heute die Hamburger Musikszene in Clubs und Konzertstätten – und in Kneipen wie der Kitty.
Nach und nach trudeln die anderen Bandmitglieder ein: Gitarrist Jakob Hersch, Bassist David Schachtschneider und sein Bruder Jonas, der das elektronische Herz der Band bildet. Die Freunde lernten sich über das damals populäre Musikportal MySpace kennen, fanden jeweils die Profilsongs des anderen cool. Da waren sie 15 Jahre alt und suchten in ihrer Heimatstadt Hamburg nach musikalisch Gleichgesinnten. Schlagzeuger Benito Pflüger, gebürtiger Marburger, kam dann später dazu.
Der erste Probenraum lag im Keller eines Squash-Vereins in Krupunder, dort, wo sich Hamburg und Pinneberg gute Nacht sagen. „Es war kalt und wir wurden irgendwie tierisch abgezockt“, erinnert sich Gitarrist Jakob. Heute probt Der Ringer immer noch unterirdisch, aber zentraler, in Hammerbrook. „Direkt unter dem Parkplatz unter der S-Bahn-Trasse. Da wo es aussieht wie in Brooklyn.“ Irgendwie passt dieser abseitige Ort zu ihrem Sound. Der ist verletzlich und emotional, aber nicht auf eine weinerliche Art. Manchmal klingt er sphärisch, elektronisch verfremdet und dann hat er plötzlich diese brachialen und alles in Frage stellenden Momente. Die Band hat dafür ihr eigenes Genre erfunden: Soft Punk.
Wir verlassen das Kitty, überqueren die Feldstraße und nähern uns dem ehemaligen Flakbunker auf der anderen Seite. Fast 38 Meter ist der 1942 fertig gebaute Koloss hoch und hat bis heute seine weltkriegsbedrohliche Ausstrahlung nicht verloren – auch wenn schon seit Jahren hinter dicken Mauern die Subkultur spielt. Neben dem Internetradio ByteFM ist auch der Musikclub Uebel & Gefährlich im Flakturm zu Hause. Dort standen Der Ringer schon auf der Bühne und werden es auch in Zukunft, als Support der Indie-Band Isolation Berlin.
„Das Uebel & Gefährlich ist ein echt spannender Club. Das Booking ist extrem vielfältig“, sagt Benito. Gestern waren sie vor Ort, um mit dem neuen Tontechniker an ihrem Sound zu frickeln. Wir nehmen den Fahrstuhl in die oberste Etage, um von der Dachterrasse auf die Stadt herunterzuschauen. Bassist David weiß genau wo es langgeht – seit er sich einmal aus Versehen auf der Terrasse ausgesperrt hat. Im Winter. Er musste über die breite Brüstung laufen, um Leute am Fenster zu finden, die ihn zurück ins Warme ließen.
Das Schicksal bleibt uns heute erspart: Die Luft ist noch spätsommerlich lau und das Dach gesperrt. Das Reeperbahn Festival ist in hektischer Vorbereitung, die Terrasse nicht begehbar. Das größte Clubfestival Deutschlands bringt vier Tage lang 450 Konzerte an 70 Spielorte rund um die Reeperbahn, dazu kommen Konferenzen, Kunst-Events und Lesungen. Auch Der Ringer spielt einen Auftritt in der Prinzenbar.
Wir machen den nächsten Zwischenstopp am „Corner“ in der Thadenstraße. Dort lebt Sänger Jannik in einer WG mit schönem Holzdielenboden und Blick auf das italienische Restaurant, in dem die Rap-Crew 187 Strassenbande gerne ihre Businessmeetings abhält. „In der Wohnung haben früher die Beatles gelebt“, erzählt er. Wie passend.
Im Zimmer seines Mitbewohners steht eine Lavalampe neben dem Bett und ein großer Fernseher vor dem Sofa. Jannik und Jonas spielen Fifa 16. Der virtuelle Raum ist auch ein Thema, mit dem sich die Band in ihren Texten auseinandersetzt. „Was macht das Digitale mit unserer Menschlichkeit?“, lautet die Frage, die sich wie ein roter Faden durch die Stücke der aktuellen EP „Glücklich“ zieht. Es geht um virtuelle Identität, Menschenroboter und Big Data – nicht gerade die klassischen Themen für Gitarrenmusik.
Benito: „Indie und Rock sind immer etwas rückwärtsgewandt. Alle machen Polaroid-Fotos, Heroin ist cool, aber Laptops nicht. Wir finden es hier und heute aber gar nicht so schlimm.“
Jannik: „So etwas wie das Internet hat für viele etwas Kaltes. Aber da steckt doch total viel Romantik drin.“
Jakob: „Was ist wärmer als ein Laptop auf deinem Schoß?“
Jannik: „Auch E-Mails sind eine Kommunikationsform, die sich entwickelt hat. Da steckt genauso viel Liebe drin, wie in einem mit Tintenfüller geschriebenen Brief.“
Benito: „Auch ein Facebook-Chat ist schön. So ein großes Emoticon drückt viel mehr aus als “Liebe Grüße, dein Gerhard”. Da krieg ich Gänsehaut.“
Wir brechen auf, trödeln durch St. Paulis gute Stube, die Wohlwillstraße, vorbei an der Kneipe Kleine Pause. Hier ist der Kiez ein gemütliches Dorf. Generell sei Hamburg kein schlechter Ort, um sich als Band zu entwickeln, sagt Jonas. „Du gehst nicht unter, aber es ist trotzdem was los und die Leute, die was machen wollen, laufen sich schneller über den Weg.“ Viel passiere im Zentrum, auf St. Pauli und in der Schanze. „Aber die Clubkultur weicht heute auch auf andere Orte aus, dezentralisiert sich“, sagt David. „Dann entstehen spannende, teilweise temporäre Konzepte wie das Kraniche an den Elbbrücken oder das Moloch am Oberhafen.“
Diese experimentellen Orte im Hamburger Nachtleben passen nicht so leicht in gängige Schubladen – so wie die Musik von Der Ringer. Ist das Diskursrock der Hamburger Schule, weil der Sound gitarrenlastig ist und die Texte intellektuell sind? „Das wird schnell gesagt“, sagt Jannik. „Wir wehren uns aber dagegen, dass nur Text ausschlaggeben für einen Diskurs ist.“ Auf die Musik werde oft nicht so viel Wert gelegt, weil sie nur ein Vehikel sei. „Bei uns müssen beide Ebenen zusammenspielen. Der Text soll erst durch die Musik einen Sinn bekommen.“
Es geht weiter durch die Clemens-Schultz-Straße. Nur noch 250 Meter bis zum Kiez. An der Ecke Hein-Hoyer-Straße zeigt Jakob auf die Fahrschule Larsen. Hier hat er seinen Führerschein gemacht – beim dritten Versuch. „Das ist aber ehrlich gesagt auch nicht so leicht, wenn deine Nachtfahrten quasi fast auf der Reeperbahn losgehen.“ Wir überqueren den Kiez. Der Spielbudenplatz ist gerammelt voll, das Reeperbahn Festival schon im Gange. Am Info-Point stehen die Besucher Schlange, nebenan werden aufwändige Siebdruckposter verkauft, die für Bands wie The Black Keys oder Muse angefertigt wurden.
Hinter der Davidwache biegen wir links in die Kastanienallee ein und steuern den Club an, in dem Der Ringer auftritt. Gerade ist der Eingang zur Prinzenbar noch von TV-Übertragungswagen eingerahmt. Die fünf Musiker lugen durch den Spalt in der Tür. Nichts los. Und trotzdem mehr, als bei ihrem letzten Auftritt hier. „Das ist etwa fünf Jahre her. Und es kamen nur zehn Leute“, schmunzelt Jakob. Diesmal wird die Bude wohl voll sein.