Waffen sind so etwas wie der Brennstoff eines Krieges. Ob man einen führen oder vermeiden will, jeder besorgt sich möglichst moderne Waffen. Diese entstehen vor allem in den Rüstungsschmieden des Westens. Und weil heimische Märkte längst nicht so viel Bedarf an Kampfpanzern, Sturmgewehren und Präzisionsraketen haben, ist der Rüstungsexport ein gewaltiges Geschäft. Der Journalist Markus Bickel hat nun versucht, den Weg, den diese Waffen in Krisengebieten nehmen, zumindest in Ansätzen nachzuzeichnen. In Ansätzen, da sich die Spur in der Regel verliert, sobald die Waffen ausgeliefert wurden. Dabei zerlegt Bickel Kapitel für Kapitel die deutsche Exportpolitik.
Es scheint zu den unvermeidlichen Marketing-Strategien des Verlagswesens zu gehören, Sachbücher mit möglichst reißerischen Titeln versehen zu müssen. Der nach verschwörungsideologisch gerauntem „Cui bono?" klingende Titel Die Profiteure des Terrors wird dem sachlichen Ton des Buches nicht gerecht. Bickel, einst Nahostkorrespondent der FAZ und seit Anfang des Jahres Leiter des amnesty journals in Berlin, ist des Populismus unverdächtig. Es geht ihm nicht um Polemik, sondern um einen Skandal: Deutsche Waffen dienen Diktatoren als Repressionsinstrumente und weil die Endverbleibskontrolle unmöglich ist, geraten sie immer wieder auch in die Hände von Terroristen. So heizen die Exporte die Konflikte an, an denen die Exporteure wiederum verdienen.
In Deutschland entscheidet der Bundessicherheitsrat über Waffenlieferungen, die Genehmigungen erteilt das Wirtschaftsministerium. Über die Hälfte des Exportvolumens von 7,8 Milliarden Euro geht an sogenannte Drittländer, die weder EU- noch NATO-Mitglieder sind. Für die Auslieferung gibt es eigentlich Kriterien. Es sollen beispielsweise keine Waffen in Spannungsgebiete geliefert werden. Und dennoch flossen allein 2015 Exportgüter im Wert von 2,7 Milliarden Euro in die Staaten des „arabischen Krisengürtels", wie Bickel die Region von Nordafrika über die Levante bis zu den Golfstaaten nennt.
Land für Land geht er die Konflikte der Region durch und zeigt, wohin die „wehrtechnische Industrie", so der selbstgewählte Euphemismus, liefert. Mit frei zugänglichen Zahlen und Wissen aus seiner Arbeit vor Ort belegt er, wie sich die deutsche Industrie (mal wieder) an Unterdrückung, Tod und Zerstörung bereichert - gedeckt und gefördert von der Politik. Schwindelerregende Zahlen und konkrete Beispiele bieten einen Eindruck davon, was Waffen, die in Baden-Württemberg oder Bayern gefertigt werden, schließlich anrichten. Doch auch der Aufbau der lokalen Waffenindustrie und der Technologietransfer sind ein Problem. So war beispielsweise der Radpanzer, der im Oktober 2011 in Kairo in eine Demonstration fuhr und so ein Massaker anrichtete, ein unter deutscher Lizenz in Ägypten gefertigtes Fahrzeug.
Bei seinem Überblick über die Konflikte der Region kommt der Autor nicht ohne lange Exkurse aus. In angenehm sachlichem, aber nicht gleichgültigem Ton klärt Bickel über die Situation vor Ort auf. Auch wenn so das eigentliche Thema zeitweise aus dem Blick zu geraten scheint, ist sein Verfahren bisweilen nötig, ob der unübersichtlichen Gemengelage. Stilistisch ein Profi, vermengt er reportageartige Szenen mit Analysen und obschon er nicht ganz ohne Floskeln („Menschenrechte vor Profite", „Krieg gegen Kinder") auskommt, vermeidet er gefühligen Tränendrüsen-Populismus. Er bezieht Stellung, ohne in antiwestliche Denkschablonen zu verfallen.
Markus Bickel ist kein Pazifist. Die amerikanischen Bombardements, die die Jesiden vor dem Völkermord durch den IS bewahrten, verurteilt er nicht: „Wo Militäreinsätze helfen, Massaker zu verhindern, sind sie sinnvoll und keine Kriegstreiberei." Was ihn stört, ist viel mehr der Zynismus, mit dem sich deutsche Politiker an Diktatoren anbiedern. Zum Beispiel an das Königshaus Saudi-Arabiens. Frank-Walter Steinmeier bezeichnete als Außenminister die Autokraten von Riad als „Stabilitätsanker".
Doch die Stabilität wurden durch die ständigen Waffenlieferungen untergraben. Saudi-Arabien bombe im Jemen „das Armenhaus der arabischen Welt" in die „Steinzeit" zurück - mit Waffen aus dem Westen. Die Waffen, die in den 1980ern an Saddam Hussein geliefert wurden, sind heute in den Händen des Islamischen Staats. Und als Gaddafi ab 2003 auf Schmusekurs mit dem Westen ging, wurde auch er großzügig bedacht, vor allem mit französischen Mistral-Hubschraubern. Heute bekriegen sich in Libyen verschiedene Milizen, jede gerade stark genug, um nicht von den anderen besiegt zu werden. Der Kampf gegen den Terror dient den Potentaten als „Blankoscheck für den Ausbau ihrer Repressionsapparate". Außerdem lässt sich die Bundesrepublik so vor den Karren regionaler Mächte spannen. Die Kriege in Syrien, Jemen und Irak sind längst Stellvertreterkriege zwischen den Regionalmächten Saudi-Arabien und Iran. Dabei wechseln Territorien und Waffenlager immer wieder die Besitzer. Alsdann verwundert es auch nicht, dass auf Bildern von IS-Kämpfern G3-Sturmgewehre aus dem Hause Heckler & Koch zu sehen sind, erbeutet aus den Beständen der irakischen Armee.
Im Syrien-Krieg hatten sowohl der Westen als auch die Golfstaaten jahrelang vor allem auf das Aufrüsten der Rebellen gesetzt. Riad und Co. unterstützten hierbei vor allem islamistische Milizen, Deutschland die kurdischen Peschmerga - nicht aber die PKK. Die Region der teilautonomen kurdischen Regierung im irakischen Erbil war dabei Hauptansprechpartner der Bundesregierung. Diese „Merkel-Doktrin" war ein Paradigmenwechsel. Nicht mehr an Staaten, sondern an eine Miliz verkaufte Deutschland seine Waffen. Das Spiel, das die Peschmerga spielen, ist jedoch undurchsichtig. Berichte verschiedener Menschenrechtsorganisationen weisen auf Kriegsverbrechen in von ihnen eroberten Gebieten hin.
Eine Person, um die das Buch nicht herumkommt, ist Sigmar Gabriel. Als Wirtschaftsminister hatte er zu Beginn der Legislaturperiode verkündet, die deutschen Waffenexporte zu reduzieren und Entscheidungen nicht mehr anhand beschäftigungspolitischer Argumentation zu treffen, sondern aufgrund sicherheitspolitischer Erwägungen. Ein löblicher Ansatz, findet Bickel, nur ist es damit nicht weit her. Lobby-Verbände wie der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) oder der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) scheinen zu wissen, auf welchen Klaviaturen sie spielen müssen, um ihre Interessen durchzusetzen.
Sie haben leichtes Spiel, auch durch die bekannte Drehtür: Georg Wilhelm Adamowitsch beispielsweise, seines Zeichens Sozialdemokrat und Hauptgeschäftsführer des BDSV, war zuvor beamteter Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Sozialdemokrat Gabriel war es auch, der nach Ägypten reiste, um den dortigen Diktator al-Sisi als Wirtschaftspartner zu werben. Alles im Namen der Stabilität. Dass dieser die Opposition brutaler unterdrückt, als es der 2011 gestürzte Mubarak tat - geschenkt.
Doch genau diese Politik hält Bickel für falsch. Das Stützen von brutalen Diktatoren wie Baschar al-Assad (dessen Vater Hafis übrigens auch Komponenten für Giftgas von Deutschland geliefert bekam), Saddam Hussein oder al-Sisi führe nicht zu Stabilität, sondern zu Stagnation. Wenn die Zivilgesellschaft sich dann erhebt, um genau die Rechte einzufordern, die dem Westen ansonsten so lieb und teuer sind, wird sie mithilfe deutschen Kriegsgeräts brutal unterdrückt. Bickel plädiert stattdessen dafür, Beschlusslagen des Europäischen Parlaments, das immer wieder Lieferstopps für Autokraten gefordert hat, konsequent umzusetzen. Das Totschlagargument der Industrie - die Arbeitsplätze - lässt er dabei nicht gelten. Langfristig bleibe der deutschen Rüstungsindustrie nur die Konversion. Das fordert Bickel, ohne sich dabei Illusionen zu machen. Etwa zwanzig Jahre dürfte es dauern, bis Rüstungskonzerne konsequent auf zivile Produktion umgestellt haben. Für die Krisengebiete fordert er den Aufbau staatlicher Strukturen, Sicherheit und die Versorgung der Bevölkerung, sowie Stärkung der Zivilgesellschaft. Sein Buch ist ein kluger, sachlicher Beitrag zu einer längst überfälligen Debatte.
Die Profiteure des Terrors: Wie Deutschland an Kriegen verdient und arabische Diktaturen stärkt Markus Bickel Westend Verlag 2017, 224 S., 18 €