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Laptop und Lollipop

Auf den roten Fernsehern in der Lobby läuft unter anderem der Film Zurück in die Zukunft. (Foto: Sal Marston)

Wer von der hellen, belebten Prager Straße im Herzen Dresdens ins Innere des Student Hotel tritt, hat kurz das Gefühl, durch ein Zeitloch gefallen und inmitten eines Achtzigerjahre-"Pacman"-Spiels wieder aufgewacht zu sein: Rosarote Neonröhren tauchen die dunklen Wände in schummriges Licht, überall stehen schwarze, blaue, gelbe, grüne Möbel, irgendwo blinkt es bunt, es läuft Popmusik. Große, gelbe Leuchtschilder weisen den Weg zum "Self-Check-in", einem runden Tisch mit mehreren Computern. Eine junge Frau steht am Tresen - Gast oder Mitarbeiterin? Sie strahlt und sagt: "Hi! Willkommen im Student Hotel. Willst du 'nen Lollipop?"

Im The Student Hotel, von allen nur TSH genannt, sind alle per Du: Gast, Rezeptionist, Barfrau, Hotelchef. Der Kunde ist König, klar, aber alle anderen sind es auch. Der Check-in zum Selbermachen soll keine Arbeitskräfte einsparen, sondern "weg vom Frontalunterricht" führen, wie es Hotelmanager Mathias Weise ausdrückt. Die Rezeptionisten stehen neben dem Gast und helfen ihm, man macht die Dinge gemeinsam, das fördere den Austausch.

Der Austausch, die Begegnung, das sind wichtige Worte in diesem Hotelkonzept, das so vieles zusammenbringen will: Das TSH ist Hotel, Studentenwohnheim und Coworking Space in einem. Neben den 122 Hotelzimmern gibt es in dem ehemaligen Ibis-Hotel 175 Zimmer für Studenten, die sich für bis zu zwei Semester einquartieren können. Hinzu kommen neun Apartments für Kurzaufenthalte, vier Tagungsräume und verschiedene Büros, die Firmen mieten können. "Wir sind ein Hybrid", sagt Hotelmanager Weise.


Studenten, Unternehmer, Touristen sollen hier leicht ins Gespräch kommen. Tommy Halfter, der sich als "Connector" vorstellt und für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, präsentiert die "Begegnungsflächen", die man überall im Hotel geschaffen habe, um das Vernetzen einfacher zu machen: runde Tische, Tischtennisplatten in der Lobby, gläserne Büros und - ganz wichtig - die "coole Spaß-Area" im Keller, inklusive Fitnessstudio, Playstations, Billardtisch und noch mehr Tischtennisplatten. Die Ausstattung der Hotelzimmer ist eher minimalistisch; viele Einrichtungselemente des Vorgängerhotels wurden aufpoliert und weiter genutzt. Dahinter verberge sich der Anspruch, nachhaltig zu handeln und Ressourcen zu schonen, sagt der Hotelchef. Klar ist aber auch: Damit spart das Unternehmen eine Menge Geld.

Der Einrichtungsstil, entwickelt vom hauseigenen Designteam, zieht sich durch alle Etagen: von der mit Kunstrasen ausgekleideten Kicker-Ecke über die Spielautomaten bis hin zu den Filmausschnitten aus "Zurück in die Zukunft", die auf den Bildschirmen pinkfarbener Miniaturfernseher flimmern. Man muss ihn mögen, diesen Mix aus Retro und Zukunftsfantasie, mit kräftigen Farben und Kontrasten. Oder - wie Tommy Halfter es ausdrückt: "Es ist immer ein bisschen hip, cool, funny, fresh."


Eine Beschreibung, die durchaus auch auf den Hotelchef passen würde: gemustertes Jackett, Schal, sauber getrimmter Vollbart. Seinen Laptop trägt Mathias Weise bei sich wie andere ihre Handtasche, die Armbanduhr liegt während des Interviews vor ihm auf dem Tisch. Weise erzählt vom "place to be", den sie zu erschaffen versuchen, und von der Mission, den Planeten wenigstens ein bisschen besser machen zu wollen. Das TSH stehe jedem offen, sagt er, dennoch spricht das Konzept vor allem ein junges und internationales Publikum an. Englisch wird häufiger gesprochen als Deutsch, und unter den aktuell 60 Studenten, die hier wohnen, sind nur zwei Deutsche.

Vergleicht man das TSH mit den anderen Unterkünften an der Prager Straße, der Einkaufsmeile der sächsischen Landeshauptstadt, fällt es völlig aus dem Raster. Mit einem Hilton wolle man sich auch gar nicht anlegen - weder konzeptionell noch preislich, sagt Weise: "Das sind wir nicht und das wollen wir auch nicht sein." Mathias Weise ist auch kein gewöhnlicher Hotelmanager, sei er nie gewesen, dieses ganze "Geknickse" vor dem Chef, das mag er nicht. Obgleich er "80 Prozent des Tages" im Job verbringt, will Weise kein Büromensch sein. Deswegen trägt er sein Büro mit sich herum, arbeitet in der Lobby, an der Bar, spricht mit Gästen und Mitarbeitern. "Jeder kennt hier jeden bis hoch zum Charlie", sagt er.


"Charlie" ist Charlie MacGregor, TSH-Gründer und Geschäftsführer, Schotte und ein bisschen Visionär. Er hat das TSH-Projekt 2006 in den Niederlanden ins Leben gerufen, als er erfuhr, dass Studenten dort zum Teil in Containern untergebracht sind, weil die Universitäten und lokalen Behörden mit der Unterbringung überfordert sind. Er wollte es besser machen, den Studenten mehr Service bieten. Dass es am Ende ein Hotel werden würde, "war nicht wirklich unser Masterplan", schreibt er auf der Website des TSH.

Innerhalb eines guten Jahrzehnts ist aus der Idee ein Unternehmen mit Hotels unter anderem in Amsterdam, Rotterdam, Maastricht, Paris, Barcelona und Florenz geworden. Das TSH in Dresden, das im vergangenen November eröffnet hat, ist das erste seiner Art in Deutschland. Im Herbst 2019 weiht die Kette ein weiteres Hotel in Berlin ein; Standorte in München, Frankfurt, Köln und Hamburg sind außerdem noch geplant.

"65 neue Locations in Europa bis 2023" - das ist der ehrgeizige Plan des Unternehmens. Zumindest die Kaufverträge für die Gebäude sollen bis dahin alle unterzeichnet sein. Warum diese aggressive Expansion? Der Hotelchef sagt: "Wir haben genug Investoren. Warum lange warten?" Das TSH ist ein junges Unternehmen mit jungen Köpfen. Weise gehört mit seinen 35 Jahren zu den ältesten Mitarbeitern. "May the student in you live forever" - möge der Student in dir ewig leben -, dieser Spruch begegnet den Gästen im Aufzug, im Hotelzimmer, auf Wänden, Büchern, Postkarten. Es ist das Motto des TSH-Personals und seiner Gäste: ein Leben lang dazulernen und dabei nie so ganz erwachsen werden. Ein bisschen Spontaneität, eine Spur Naivität, eine Prise Planlosigkeit gehören zum Konzept.

Dadurch läuft nicht immer alles glatt im TSH Dresden: Die alten Aufzüge fallen bisweilen aus, die Organisation ist etwas chaotisch, und dass es nur wenige Sitzplätze und eine einzige Kaffeemaschine im Frühstücksraum gibt, könnte bei größerer Zimmerbelegung für lange Schlangen und noch längere Gesichter sorgen. Doch Hotelgäste und Studenten verzeihen dem TSH seine kleinen Problemzonen.

The Student Hotel gefällt sicher nicht jedem. Reisende, die nach Ruhe in einer klassischen Unterkunft suchen, sind hier fehl am Platz. Wer sich aber darauf einlässt, der kann spannende Menschen treffen, vielleicht neue Freunde gewinnen oder einfach nur einen neuen "Pacman"-Rekord aufstellen.

The Student Hotel Dresden, Prager Str. 13, zwei Personen im Doppelzimmer ohne Frühstück ab 64 Euro, www.thestudenthotel.com
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