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SPD-Politikerin Jasmina Hostert

Die Frau, die sich was traut

Ella will rutschen, Mama soll mitkommen. Der Vierjährigen ist egal, dass Mama enge Jeans und Plateauschuhe trägt. Und nur einen Arm hat. Mama heißt Jasmina Hostert und ist Fraktionsgeschäftsführerin der SPD-Regionalfraktion Stuttgart. Bis Ende April leitet die 33-Jährige noch das Büro des Landtagsabgeordneten Florian Wahl - für den Wiedereinzug hat es für ihn nicht gereicht. Hostert bleibt dann mehr Zeit für ihr Ehrenamt als Vorsitzende des SPD-Kreisverbands Böblingen und für ihren Job als Museumsführerin im Stuttgarter „Haus der Geschichte".

Serbische Granate zerfetzte ihren Arm

Wer Mutter und Kind so unbeschwert auf dem Spielplatz spielen sieht, ahnt nichts von den dramatischen Ereignissen vor 24 Jahren. Jasmina war damals neun Jahre alt und lebte während des Bosnien-Kriegs in Sarajevo. Tag und Nacht schlugen in der von Serben eingekesselten Stadt die Granaten ein. Eine zerfetzte Jasminas Arm. „Es war ohrenbetäubend laut und gleichzeitig gespenstisch still", erinnert sie sich. Die Ärzte mussten den Arm amputieren. Die Wunde entzündete sich, Antibiotika waren Mangelware, es drohte eine Blutvergiftung.

Ärzte von Cap Anamur rieten ihrem Vater, die Tochter schnell in Deutschland behandeln zu lassen. An Bord der von Hilfsorganisationen gecharterten Flugzeuge aber war kein Platz frei. Ein Schleuser brachte Jasmina und ihren Vater schließlich aus dem Kriegsgebiet heraus. Fast einen Monat waren sie unterwegs.

Schleuser half bei der Flucht

Für die beiden ist die Flucht gut ausgegangen. Nicht so für den Schleuser, der bei der Rückkehr umkam. Dass heute pauschal alle Schleuser als skrupellos und kriminell gelten, stört Hostert: „Der Krieg ist doch das Übel. Ohne Schleuser wäre ich vielleicht nicht entkommen."

Eine pensionierte Lehrerin nahm Jasmina nach ihrer Operation in einem Bonner Krankenhaus bei sich auf. Bei ihr lebte Jasmina, bis sie 21 wurde, von ihr wurde sie adoptiert - seitdem heißt sie Hostert und nicht mehr Pasic. Der Vater war zurückgekehrt nach Bosnien, zu ihrer leiblichen Mutter hatte Jasmina nie ein enges Verhältnis. So wurde die Pflegemutter in Deutschland zur wichtigsten Bezugsperson. Wenn Jasmina Hostert „meine Mutter" sagt, meint sie Maria, ihre Adoptivmutter. „Wir sprachen viel über soziale Gerechtigkeit", erzählt Jasmina Hostert, durch sie habe sie auch den Weg in die SPD gefunden.

Patin für eine Familie aus Syrien

Hosterts erstes deutsches Wort war „Hilfe". Sie bekam eine Prothese, die sie allerdings nur selten getragen hat: „Die Dinger wiegen viel, und im Sommer schwitzt du stark." Der verlorene Arm ist Teil ihrer Geschichte. „Wer bestimmt denn, dass nur Menschen mit zwei -rmen schön sind?" Sie kann auch mit einem Arm fast alles machen, sogar Auto fahren. Nur in der Küche hat sie manchmal Probleme. „Brot schneiden oder Kartoffeln schälen ist schwierig."

Der Spielplatz hat sich gefüllt, vor der Rutsche eine Schlange gebildet. Ella will ihre Mutter erneut dorthin ziehen, doch Hostert ist gerade in ein Gespräch mit einer anderen Mutter vertieft. Die ist vor zwei Jahren aus Syrien geflohen. Noch immer spricht sie kaum Deutsch, weil sie niemanden hat, der während des Kurses auf ihren Sohn aufpasst. Jasmina Hostert hat die Patenschaft für die Familie übernommen. Während die Kinder im Sand spielen, erklärt sie der jungen Syrerin die Kindergarten-Anmeldung. „Ich will ihr helfen, sich nach ihrer Flucht wieder einen Alltag aufzubauen. Dazu braucht sie eine berufliche Perspektive." Nach einer Pause fügt sie hinzu: „Ich kann mir vorstellen, wie sie sich fühlt - schließlich habe ich das Gleiche durchgemacht." Obwohl Jasmina Hostert in einer muslimischen Familie aufwuchs, spielt Religion heute keine Rolle mehr in ihrem Leben. Wichtig sind ihr dagegen Werte wie Solidarität, Toleranz und Gerechtigkeit.

AfD-Wähler ernst nehmen

Deshalb hat sie das Ergebnis der AfD bei der baden-württembergischen Landtagswahl schockiert. Deren Wähler müsse man aber ernst nehmen, findet sie. „Auf Ängste muss man eingehen, auch wenn man sie nicht nachvollziehen kann. Das Wichtigste ist, mit den Leuten zu reden." Ein paar Eltern im Kindergarten ihrer Tochter störte kürzlich, dass Flüchtlinge in ein Gebäude auf der anderen Straßenseite einquartiert wurden. Jasmina Hostert setzte sich dafür ein, dass die Flüchtlinge zum Sommerfest in den Kindergarten eingeladen werden. „Da merken dann alle schnell: Das sind Menschen wie du und ich."

Der Spielplatz hat sich nun geleert, Abendessenszeit. Jasmina Hostert geht mit Ella nach Hause. Die Bolognese-Sauce hat sie vorgekocht, sie hatte heute frei. Am nächsten Tag muss sie um neun Uhr im Büro sitzen, eine Fraktionsklausur in Wien organisieren und Telefonanrufe entgegennehmen. Einige kommen von Wutbürgern. Die meisten konnte Jasmina Hostert bisher besänftigen.

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