1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Was an Abschiebungen so schwierig ist


Harsche Abschiebemaßnahmen stehen in der EU zurzeit hoch im Kurs. Doch die Asyldebatte, die wieder hochkocht, offenbart die Ohnmacht der Staats- und Regierungschefs. Nur jeder fünfte abgelehnte Asylbewerber wurde nach Angaben der europäischen Statistikbehörde 2021 abgeschoben. Zugleich steigt die Zahl der Migranten, die in den Mitgliedsstaaten Asyl beantragen.


Beim EU-Gipfel in Brüssel, der an diesem Freitag weitergeht, steht die Frage auf der Agenda, wie Rückübernahmeabkommen mit den Herkunftsländern so gestaltet werden, dass diese die Aufnahme ihrer Landsleute nicht mehr verweigern. Eine weitere Idee, die auch die Bundesregierung prüfen will: Das Problem wird nach Nordafrika ausgelagert, wo Flüchtlinge ihr Asylverfahren durchlaufen sollen. Ob diese beiden Methoden zum Ziel führen, ist zweifelhaft.


Für die Durchsetzung von Rückführungsabkommen, die sowohl auf europäischer als auch auf bilateraler Ebene geschlossen werden können, stehen zwei Mittel zur Wahl: Zuckerbrot und Peitsche. Die Herkunftsländer können entweder durch Anreize wie Handelsvorteile, Visavergaben und Entwicklungsgelder davon überzeugt werden, abgelehnte Asylbewerber wieder aufzunehmen. Oder die EU droht ihnen im Fall einer Weigerung damit, die Vorzüge zu streichen.


Diese Hebel will Bundeskanzler Olaf Scholz in Bewegung setzen, um die Abschiebungsquote zu erhöhen. Er wolle die Möglichkeiten für legale Zuwanderung an die Bedingung knüpfen, dass Herkunftsstaaten sich bereit für die Rücknahme zeigten, sagte Scholz am Mittwoch in seiner Regierungserklärung. "So bringen wir Ordnung ins System und setzen die richtigen Anreize", betonte er. Als Beispiel führte der Bundeskanzler das Migrationsabkommen mit Indien an, das bereits gut funktioniere.


Solche Vereinbarungen sind jedoch keine Erfolgsgaranten. So existieren bereits 18 rechtlich bindende Rückübernahmeabkommen zwischen der EU und Drittstaaten. Die Bundesregierung selbst räumte ein, ihre Bedeutung dürfe "nicht überhöht werden". Sie seien nur förmliche Wiederholungen der Verpflichtung zur Wiederaufnahme, die im Völkerrecht ohnehin bestehe, schrieb das Bundesinnenministerium in der Antwort auf eine kleine Anfrage der FDP-Fraktion. Die zwischenstaatliche Praxis habe gezeigt, dass "bloße Absprachen auf Verwaltungsebene zielführender sein können als förmliche Abkommen".

Zu dem gleichen Schluss kommt der Europäische Rechnungshof, der einen Sonderbericht darüber verfasst hat, warum mit den Abkommen "nur begrenzte Ergebnisse erzielt" wurden. Er konstatiert, dass die EU-Kommission am meisten Erfolg mit Vereinbarungen hatte, die flexibel gestaltet und nicht rechtsverbindlich waren.


Ein Grund für das Scheitern der Rückführungen seien die unterschiedlichen Ausgangssituationen der Herkunftsländer, sagte Daniel Thym, Professor für Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz, der "Welt". "Bei den Westbalkan-Staaten funktionieren Rückführungen zum Beispiel gut, weil dort die unausgesprochene Drohung im Raum schwebt, andernfalls das visumfreie Einreiserecht ihrer Staatsbürger zu kassieren", so Thym. Im Gegensatz dazu profitierten viele Staaten Afrikas oder des Nahen Ostens sowieso nicht von visafreien Einreisen. Zudem gebe es wenige wirtschaftliche Verbindungen, die als Druckmittel infrage kämen.


Heißt: Wer nichts hat, kann nichts verlieren. Die Herausforderung besteht zunächst darin, den Drittstaaten überhaupt Anreize zu bieten. Dabei stellt sich die Frage, ob die EU in der Lage und Willens ist, ihnen die Angebote auf den Tisch zu legen, die sie fordern. Deutschland setzt zwar auf stärkere Kooperation mit den Herkunftsländern. Die Mehrheit der EU-Innenminister sprach sich bei ihrem letzten Treffen allerdings dafür aus, härter gegen sie vorzugehen.


Für einen anderen Ansatz warb der CSU-Politiker Manfred Weber, Partei- und Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP), im Interview mit der Funke Mediengruppe. Weber plädiert dafür, in Tunesien oder Ägypten Büros zu eröffnen, die Asylverfahren durchführen, noch bevor Flüchtlinge Europa erreichen. Ein bisschen erinnert die Idee an den Vorstoß des britischen Ex-Premiers Boris Johnson, der Migranten nach Ruanda bringen wollte. Dort sollten sie sich dann um einen Aufenthaltstitel in Großbritannien bemühen. Die britische Regierung zahlte dem ruandischen Staat für das Projekt insgesamt 150 Millionen Euro. Wegen laufender Klagen wurde bislang jedoch noch kein einziger Asylbewerber nach diesem Modell ausgeflogen.


Menschenrechtsorganisationen werfen der Europäischen Union seit Jahren vor, sich an ähnlich fragwürdigen Praktiken zu beteiligen. So soll die EU dem libyschen Staat dabei helfen, Migranten bei ihrer Flucht übers Mittelmeer abzufangen. "Human Rights Watch" beschuldigt die EU-Grenzschutzagentur Frontex, Flüchtlingsboote durch Flugzeuge und Drohnen zu orten, damit die libysche Küstenwache sie abpasst. Anschließend würden sie in Lager gesteckt, wo Folter und Misshandlungen drohten. Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni will die Kooperation mit Tripolis noch verstärken. Bei ihrem letzten Besuch in der libyschen Hauptstadt forderte sie EU-Gelder für libysche Schnellboote.

Webers Idee ist also weder unproblematisch noch neu. In seiner Zeit als Innenminister warb bereits sein Parteikollege Horst Seehofer für den Bau von "Ausschiffungsplattformen" in nordafrikanischen Ländern. Diese verweigerten damals die Kooperation. Schließlich handelt es sich um dieselben Regierungen, die sich in vielen Fällen auch der Rückführung abgelehnter Asylbewerber verweigern.


Zum Original