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Stuttgarter Platz in Berlin: Mehr Räuber, Diebe und Schläger

Der Stuttgarter Platz in Charlottenburg hatte lange Zeit einen zweifelhaften Ruf. Er galt nicht nur als Umschlagplatz für Drogen, sondern auch als Ort des Diebstahls und der Gewalt. Zwischen 2015 und 2018 schien sich die Situation zu verbessern: Nach Angaben der Polizei halbierte sich die Zahl der Straftaten in diesem Zeitraum. Nun schnellt sie jedoch wieder in die Höhe. Das belegt eine Statistik der Polizei, die der Berliner Morgenpost vorliegt.


Während 2018 noch 545 Delikte am „Stutti“ zur Anzeige gebracht wurden, waren es 2020 bereits 734. Eine steigende Tendenz ist bei Fahrraddiebstählen zu beobachten: 2018 wurden am Platz 129 Fahrräder gestohlen, im vergangenen Jahr 151. Im gleichen Zeitraum kletterte die Zahl der Diebstähle aus Autos von 32 auf 97. Auch Raub, Sachbeschädigung und Körperverletzung nahmen zu (siehe Grafik). Dagegen hält sich die Zahl der Straftaten im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln seit 2018 relativ konstant zwischen 30 und 45. Die Zahl der Einbrüche und Taschendiebstähle ist im gleichen Zeitraum rückläufig.


Stuttgarter Platz: Polizei begründet reduzierte Kontrollen mit Corona

Zugleich führt die Polizei immer weniger Kontrollen am Stuttgarter Platz durch. Die Zahl der Einsätze sank von 243 im Jahr 2016 auf 91 im Jahr 2019 und weiter auf 53 im vergangenen Jahr. Es gebe jedoch Streifen von Kontaktbereichsbeamten, die nicht in der Statistik aufgeführt werden, betont ein Sprecher der Polizei. Schließlich haben auch die Corona-Maßnahmen zu der Entscheidung beigetragen, weniger zu kontrollieren. Da Lokale und Geschäfte geschlossen worden seien, hielten sich weniger Menschen am Platz auf. Somit gebe es weniger Anlässe für Einsätze, argumentiert die Polizei.


Jahrelang wurde der Stuttgarter Platz von der Polizei als kriminalitätsbelasteter Ort (kbO) gewertet. Im April 2017 wurde diese Klassifizierung aufgehoben. Gemeinsam mit dem Hardenbergplatz nahm die Polizei den „Stutti“ damals aus ihrer Auflistung der besonders gefährlichen Orte in Berlin. An diesen Straßen oder Plätzen hat die Polizei mehr Befugnisse.


Obdachlose bauen Lager an Windscheid- und Lewishamstraße auf

Kritiker warfen der Polizei und dem Berliner Innensenator damals vor, die Statistik schönzurechnen. Wenn man nicht kontrolliere, so der Vorwurf, decke man auch keine Straftaten auf. Von der Polizei heißt es unterdessen, dass die Einstufung als kbO „nicht Voraussetzung für gezielte polizeiliche Einsätze beziehungsweise die Steigerung der Präsenz am Ort“ sei. Vielmehr beurteile der verantwortliche Polizeiabschnitt 24 die allgemeine Lage am Stuttgarter Platz und setze die Kräfte dann gezielt ein.


Dass die Kriminalität vor Ort zunehme, habe er nicht direkt beobachten können, sagt Joachim Neu, Mitglied der Bürgerinitiative Stuttgarter Platz. Allerdings gebe es seit Jahren viele ungelöste Probleme. So sei der anliegende S-Bahnhof Charlottenburg schon immer ein „Hotspot“ für Fahrraddiebe gewesen, zudem hielten sich stets Drogenabhängige und Obdachlose am Platz auf, erklärt Neu. Die Obdachlosen bauten immer wieder Lager auf, zunächst an der Windscheidstraße nahe einem Spielplatz. Nun seien sie in die Lewishamstraße umgezogen. Die Situation der Obdachlosen habe sich zuletzt dadurch verschlechtert, dass eine öffentliche Toilette geschlossen und kein Ersatz geschaffen worden sei, sagt Neu.


Suchtkranke haben noch immer keinen Drogenkonsumraum

Auch die Situation der Suchtkranken, die den „Stutti“ aufsuchen, ist nach wie vor prekär. Bereits vor Jahren wurde in der Bezirkspolitik die Forderung laut, den Abhängigen einen Drogenkonsumraum zur Verfügung zu stellen, in dem sie von Sozialarbeitern betreut werden können. Bislang stehen am Stuttgarter Platz jedoch nur zwei Hilfsmobile des Vereins Fixpunkt, in dem die Süchtigen nicht die Versorgung bekommen, die sie bräuchten. Mitarbeiter bemängeln, dass Hygieneangebote fehlten und die Mobile nur unzureichend vor Witterung geschützt seien.


Zuletzt hieß es, der Drogenkonsumraum könne in ein Fahrradparkhaus einziehen, das das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf am Stuttgarter Platz bauen möchte. Das Projekt befindet sich aber noch in der Planungsphase. Mit einem Baubeginn ist erst in den kommenden Jahren zu rechnen. Unklar ist, wie der Einzug des Konsumraums dann finanziert werden soll. Denn die Fördermittel in Höhe von 3,5 Millionen Euro, die die Senatsgesundheitsverwaltung für den Bau von Drogenkonsumräumen im Jahr 2021 zur Verfügung gestellt hatte, können inzwischen nicht mehr abgerufen werden.


Drogenkonsumraum laut SPD Möglichkeit für „mehr soziale Kontrolle“

Dabei könnte ein solcher Raum nicht nur den Abhängigen nützen, sondern den Stuttgarter Platz wieder sicherer machen, so die Überzeugung von Ann-Kathrin Biewener, sozialpolitische Sprecherin der SPD im Bezirk. „Mit Drogenkonsum sind auch Beschaffungskriminalität und Diebstähle verbunden“, sagt Biewener, „ein stationärer Drogenkonsumraum bietet in diesem Zusammenhang mehr Möglichkeiten für soziale Kontrolle am Platz.“


Zudem haben die Abhängigen mehr Zeit, um sich Drogen zu injizieren. In den Hilfsmobilen müssten sie nach kurzer Zeit wieder weggeschickt werden, versteckten sich anschließend etwa in Büschen nahe dem S-Bahnhof Charlottenburg und neigten dann auch zu aggressivem Verhalten. „Nun ist unsere Befürchtung wahr geworden: Wenn es keinen festen Platz für den Drogenkonsum gibt, nimmt die Kriminalität wieder zu“, sagt Biewener.

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