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Skepsis bei geplantem Vorkauf von Haus in Charlottenburg

Berlin. Erstmals will das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf das Vorkaufsrecht für ein Mietshaus anwenden. Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Degewo soll Vorder- und Hinterhaus an der Seelingstraße 29 kaufen. Bezuschusst wird der Kauf von der Senatsfinanzverwaltung, wie Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) am Montagabend mitteilte. Viele Fragen sind aber noch offen – etwa bei der Degewo, die der Berliner Morgenpost sagte, dass sie „äußerst kurzfristig Informationen über die Entscheidung der Senatsverwaltung“ erhalten habe. Auch bei den 18 Mietparteien hält sich die Freude in Grenzen. Ihr aktueller Vermieter hat noch bis Anfang März Zeit, eine Abwendungsvereinbarung mit dem Bezirk zu unterschreiben. Dann könnte die Degewo die Häuser nicht kaufen, sie blieben Eigentum des Investors.


Im vergangenen Jahr wurden Vorder- und Hinterhaus an der Seelingstraße 29 von der Immobilienfirma Marylebone GmbH an einen anderen Investor verkauft. Das Gebiet rund um die Seelingstraße steht unter Milieuschutz – darum forderten die Mieter vom Bezirksamt, das Vorkaufsrecht wahrzunehmen. Sie befürchteten, dass ihr Wohnhaus Objekt von Gebäudespekulation werden könnte. Oliver Schruoffeneger (Grüne), Baustadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf, erklärte bereits Ende Januar im bezirklichen Bauausschuss, dass er das Vorkaufsrecht an der Seelingstraße 29 prüfe. Er habe den Kauf des Gebäudes bereits zwei landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sowie einer Genossenschaft angeboten, sagte er damals.


Nun fiel die Entscheidung auf die Degewo. Über die Höhe des Kaufpreises waren auf Anfrage weder von der Wohnungsbaugesellschaft noch vom Bezirksamt genaue Angaben zu erhalten. Es ist jedoch davon auszugehen, dass es sich um eine außergewöhnlich hohe Summe handelt, da die Degewo den Kauf ohne den Zuschuss der Senatsverwaltung nicht finanzieren könnte. Üblicherweise fördert die Senatsfinanzverwaltung die Vorkaufsverfahren in Berlin mit einem Zuschuss, der etwa zehn Prozent des Kaufpreises beträgt. Mit diesem Betrag werde der Bezirk an der Seelingstraße 29 aber „vielleicht nicht auskommen“, wie Schruoffeneger im Bauausschuss im Januar sagte.


Am Montagabend erklärte Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD), dass er den Kauf der Gebäude an der Seelingstraße bezuschussen wolle. Die Degewo wurde von der Nachricht überrascht. Sie sei von der Senatsverwaltung sehr kurzfristig über diese Entscheidung informiert worden, sagte ein Sprecher. Deswegen habe die Degewo bislang „kaum Gelegenheit“ gehabt „die Liegenschaft kennenzulernen“, um sich so ein Bild von bevorstehenden Sanierungsmaßnahmen zu machen, so der Sprecher weiter. Welche Folgekosten nach dem Kauf auf die Degewo zukommen, könne die Gesellschaft deshalb noch nicht abschätzen. Auch über den Zeitpunkt des Kaufs könne sie noch keine Angaben machen.


Baustadtrat Schruoffeneger teilte hingegen auf Anfrage mit, die Degewo werde „umgehend in den Kaufvertrag einsteigen.“ Dabei steht nicht endgültig fest, ob der Investor die Vorkaufspläne doch noch platzen lässt. Der Bezirk hatte dem Vermieter nämlich eine Abwendungsvereinbarung vorgelegt, die er noch bis zum 8. März unterschreiben kann. Falls der Vermieter die Bedingungen des Bezirks akzeptieren und der Vereinbarung zustimmen würde, blieben die Mietshäuser in seinem Besitz.


Aus diesem Grund sieht auch Viola Dollinger-Rauch, Sprecherin der Mietergemeinschaft der Seelingstraße 29, noch keinen Grund zu feiern. Sie freue sich zwar über die politische Initiative, die den Vorkauf ermöglichen wolle – allerdings wollen sie und ihre Nachbarn den 9. März abwarten. „Wir können uns erst wirklich freuen, wenn wir den Brief der Degewo in den Händen halten, in dem steht, dass sie unsere Wohnungen gekauft hat“, sagt sie. Nach dem Kauf werden wohl umfassende Sanierungsmaßnahmen auf die Degewo zukommen. Hausflure, Dächer, Fenster wie auch die Fassade der beiden Gebäude müssten saniert werden, sagt Dollinger-Rauch.


Notwendige Reparaturen seien auf Bitten der Mieter jedoch durchgeführt worden, so sei es nicht etwa zum Ausfall der Heizungsanlagen oder Ähnlichem gekommen. Dennoch sei für sie und ihre Nachbarn offensichtlich, dass in das Haus „kein Cent investiert wurde“, sagt sie. Auch der Umstand, dass insgesamt vier Wohnungen in den Gebäuden zum Teil schon seit Jahren leer stehen, haben die Befürchtungen der Mietergemeinschaft bestärkt, dass mit den Häusern Gebäudespekulationen betrieben worden seien.


Nach Informationen der Berliner Morgenpost zahlen die meisten langjährigen Bewohner der Häuser an der Seelingstraße 29 etwa sechs bis acht Euro Nettokaltmiete pro Quadratmeter. Bewohner mit neuen Mietverträgen zahlen jedoch einen höheren Preis. Wenn die Degewo das Gebäude kauft, muss sie die Mietverträge der Bewohner mit allen darin enthaltenen Konditionen übernehmen.

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