Panorama „Maybrit Illner"
„Herr Gysi, nicht schon wieder", entfuhr es Marie-Agnes Strack-Zimmermann bei „Maybrit Illner". In der Talkshow ging es auch ausführlich um einen EU-Beitritt der Ukraine. Ursula von der Leyen stellte ihre Ideen vor, woher das Geld für den Wiederaufbau nach dem Krieg kommen soll.
Ein EU-Beitritt der Ukraine, Waffenlieferungen und der Kriegsverlauf - das waren die zentralen Themen bei Maybrit Illner. Klare Worte fand zu Beginn der Militärexperte Gustav Gressel, der dem Bundeskanzler „Herumeiern" bei seiner Rede im Bundestag am Donnerstag vorwarf.
Olaf Scholz habe sich bei seiner Wortwahl beim Thema Ukraine-Krieg stets bedeckt gehalten und lasse die Menschen im Unklaren, „wo man wirklich steht". Das Fazit von Gressel, der für den Thinktank European Council on Foreign Relations (ECFR) arbeitet: „Das hätte man sich schenken können!" Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann drückte sich diplomatischer aus: „Einfache und deutliche Sprache, das hilft in der Situation."
Auch Spiegel-Autor Markus Feldenkirchen sah beim Bundeskanzler „große kommunikative Defizite". Olaf Scholz werde von „Woche zu Woche einen Meter mehr gedrängt", bewegen würde er sich aber nur „langsam zaudernd", so Feldenkirchens Urteil.
Dem außenpolitischen Sprecher der Linken, Gregor Gysi, ging die deutsche Unterstützung der Ukraine mit Waffen hingegen zu weit. „Wir haben eine andere Geschichte", sagte er. Deshalb könnten andere Länder Waffen an die Ukraine liefern, Deutschland nicht. Die Bundesrepublik solle sich um humanitäre Hilfe kümmern. Deutschland „verdiene immer am Krieg", sagte Gysi.
Damit sorgte er bei Strack-Zimmermann, die seit Wochen eine exponierte Befürworterin von Waffenlieferungen, für Empörung. „Herr Gysi, nicht schon wieder", fiel ihm die FDP-Politikerin Strack-Zimmermann ins Wort und führte später aus: „Ich interpretiere Geschichte in Verantwortung für das, was die Generationen vor uns dort angerichtet haben."
Auch die Fotografin und Autorin Yevgenia Belorusets, die in Kiew und Berlin lebt, widersprach Gysi scharf. In der aktuellen Situation, „wo mein Land Stück für Stück durch eine absolut aggressive, zynische Art zerstört wird, über die humanitäre Hilfe zu sprechen", das bedeute im Grunde zu sagen: „Diese Zerstörungen sind okay für uns."
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU), die in der Sendung zugeschaltet wurde, sagte mit Blick auf einen EU-Beitritt der Ukraine, es gelte, wie für jedes anderes Land, „dass bestimmte Standards erfüllt sein müssen". Sie äußerte sich optimistisch, dass ein möglicher Beitritt auch in einem kürzeren Zeitrahmen möglich sei.
Von der Leyen schlug vor, künftige Wiederaufbauhilfen für die Ukraine an Reformen zu koppeln. „Wir werden sowieso den Wiederaufbau der Ukraine mitfinanzieren müssen", sagte von der Leyen. Dann sei es ihrer Ansicht nach sinnvoll zu sagen: „Ja zu Investitionen, aber gleich mit den notwendigen Reformen, zum Beispiel gegen Korruption oder zum Beispiel für den Aufbau der Rechtsstaatlichkeit." Sie habe das am Donnerstag auch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj besprochen.
Die Ukraine hat die Aufnahme in die EU bereits beantragt und wünscht sich einen raschen Beitritt. Zuletzt bremsten aber nicht Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), zuletzt bei seiner Rede im Bundestag am Donnerstag. Ein Beitritt zur EU dauert ab dem Antrag für gewöhnlich mehrere Jahre.
Zugleich sagte von der Leyen, die Europäische Union prüfe Möglichkeiten, eingefrorene Vermögen russischer Oligarchen zur Finanzierung des Wiederaufbaus der Ukraine nach dem Krieg zu verwenden. Dadurch könne Russland nach dem Krieg einen Beitrag zum Wiederaufbau leisten, so die Kommissionspräsidentin.
Autorin Belorusets sagte, ein EU-Beitritt sei „eine wichtige Perspektive". In diesem Punkt waren sich Strack-Zimmermann und Gysi einig: Solange die „klaren Spielregeln" eingehalten werden, seien Diskussionen über einen möglichen EU-Beitritt zu fördern.
„Der Krieg wird für die Ukraine enden, wenn wir bekommen, was uns gehört", sagte der ukrainische Präsident Selenskyj vergangene Woche. Dazu gehöre auch, dass die russische Armee aus der ganzen Ukraine vertrieben werde und die Ukraine den Donbass und die Krim zurückgewinne. „Das ist ein legitimes Kriegsziel aber ist es auch realistisch?", fragte Moderatorin Illner den Sicherheitsexperte Gressel.
Es komme auf den „Zeithorizont" an, „wie sich das Personalproblem der russischen Armee" weiterentwickle, sagte Gressel. „Stück für Stück wird die ukrainische Armee größer". Es gebe den möglichen Wendepunkt im Sommer, „wo die ukrainische Armee, wenn sich auf der russischen Seite nichts tut, Überhand gewinnen könnte". Zugleich sagte Gressel: „Wir haben noch sehr viel Krieg vor uns, leider."
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