Panorama „Hart aber fair"
Warum gehen Deutschland die Fachkräfte aus? Praktiker berichteten bei Plasberg aus ihrem Alltag, und FDP-Mann Rainer Brüderle und Linken-Chefin Janine Wissler stritten sich über die Konsequenzen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil bot nur einige grundsätzliche Ideen dazu an.
Die Hörsäle in den Unis sind voll, im Handwerk und in der Pflege fehlen hingegen die Fachkräfte. Was das im Alltag in seiner Firma bedeutet, berichtete zu Beginn der Sendung „Hart aber fair" Malermeister Stephan Michel.
„2020 hatten wir auch zwei Auszubildende eingestellt, die haben beide nach einem halben Jahr aufgehört, weil ihnen der Beruf tatsächlich zu anstrengend ist", erzählte er in einem kurzen Einspieler.
Nur ein Drittel seiner Auszubildenden sei im Handwerk geblieben. Das grundsätzliche Problem sehe Michel darin, dass sich viele nicht mehr vorstellen könnten, in einem Beruf zu arbeiten, in dem man „körperlich arbeiten muss und wo man vielleicht auch schmutzig wird".
Mit den Menschen selbst zu reden, dafür machte sich auch Verbraucherjournalist Dieter Könnes in der Sendung stark. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, gab seine Ideen preis, wie man die Probleme praktisch angehen solle. Janine Wissler, Parteivorsitzende von DIE LINKE, betonte, dass nicht jeder in Deutschland einen Ausbildungsplatz finde, der auf der Suche sei.
Rechtsanwältin Bettina Offer gab Einblicke in die katastrophalen Strukturen von Ausländerbehörden, Simon Meinberg berichtete von seinen Erfahrungen als Tischlermeister. Und Rainer Brüderle, Präsident des bpa-Arbeitgeberverbandes, kritisierte den Gesetzesbeschluss, dass ab September 2022 Pflegekräfte nach Tarifvertrag bezahlt werden müssen.
Sein Entschluss, Tischler zu werden, stieß erst mal auf Skepsis, berichtete Simon Meinberg. Seine Eltern hätten keinen Handwerksbezug gehabt, aber in den Sommerferien in Spanien arbeitete er in einer Schreinerei mit und entdeckte dort seine Leidenschaft für dieses Handwerk. In seinem Arbeitsalltag beobachte Meinberg häufig, dass viele gar nicht auf die Idee kämen, einen derartigen Beruf zu ergreifen, weil ihnen dieser auch nicht nahe gebracht werde.
Deshalb sei er auch selbst auf Instagram mit seiner Firma unterwegs und versuche dort jungen Menschen die „Tür aufzumachen", damit Praktikanten in sein Unternehmen auch mal „reinschnuppern können".
WDR-Journalist Dieter Könnes blickte kritischer auf die junge Generation. Er bestärkte die Erfahrungen des Einspielers von Malermeister Michel und schilderte seine Erkenntnisse aus Gesprächen mit Handwerksunternehmen, die ihm beispielsweise berichteten, „dass Auszubildende nach drei, vier Monaten sagen: ‚Ich wusste gar nicht, dass ich jeden Morgen um sechs Uhr aufstehen musste, ich dachte, das ist manchmal auch ein bisschen unterschiedlich.'"
Es fehle die eigene Härte zu sich selbst, die zu diesem Berufsleben dazu gehöre. „Vielleicht denken auch viele in der jüngeren Generation, dass es viel einfacher ist, mit TikTok Millionär zu werden", so Könnes.
Gleichzeitig sei der Mangel an Fachkräften auch ein Bildungs- und Schulproblem, in diesem Punkt waren sich alle Gäste einig. Es gehe darum, „den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu geben, ihre eigenen Neigungen herauszufinden", sagte der Verbraucherjournalist Könnes.
Arbeitsminister Hubertus Heil ging noch einen Schritt weiter. „Junge Leute brauchen vor allem eins: Orientierung", sagte er. Daher schlug er vor, das Fach „Arbeit, Technik, Wirtschaft" zum festen Bestandteil des Schulunterrichts zu machen, „wo man übrigens auch die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kennenlernt, wo man mit der betrieblichen Praxis zu tun hat und wo man die Vielfalt von Berufen kennenlernt". So könne man früher Orientierung geben und verhindere akademische gegen berufliche Bildung auszuspielen.
FDP-Mann Rainer Brüderle sagte, man habe die schrumpfende Einwohnerzahl ignoriert. Es bedürfe einer Zuwanderung von 400.000 Menschen jährlich, um die Leistungsfähigkeit des Arbeitsmarkts weiterhin zu gewährleisten.
Linke-Politikerin Wissler sah die Problematik an anderer Stelle. Die Hälfte der Pflegekräfte, die in den vergangenen 25 Jahren ausgebildet wurden, hätten den Beruf verlassen, so Wissler. „Nicht weil sie den grundsätzlich nicht mehr machen wollen, sondern weil die Arbeitsbedingungen so schlecht sind, weil die Gehaltsaussichten schlecht sind und weil Personal fehlt."
Als Plasberg den Fokus auf die Änderung der Gehaltsaussichten legte, spitzte sich die Stimmung spürbar zu. Hintergrund war die neue Regelung, die ab September 2022 vorschreibt, dass keine Pflegekraft mehr unter Tarif bezahlt werden darf. Als Vorsitzender des bpa-Arbeitgeberverband hatte Brüderle das Gesetz bereits am Tag der Bundestagsentscheidung scharf kritisiert.
„Das ist keine Tarifautonomie", wiederholte er bei Plasberg. Eine „Mini-Minderheit" schreibe der Mehrheit die Bedingungen vor, so Brüderle. Für ihn sei das Vorgehen eine „Planwirtschaft-light".
SPD-Mann Heil widersprach Brüderle deutlich, sein Wunsch Richtung Arbeitgeberverband: „Mir wäre lieber, sie machen einen Tarifvertrag, den wir für Deutschland allgemeinverbindlich machen." So schrecklich sei die Situation nicht, entgegnete Brüderle, „die heutigen durchschnittlichen Pflegelöhne liegen ein Drittel höher als zum Beispiel bei Arzthelferinnen."
„Man kann in diesem Land mit Pflege richtig viel Geld verdienen, vorausgesetzt man ist keine Pflegekraft, sondern ein privater Pflegekonzern oder Krankenhauskonzern", reagierte Wissler auf Brüderles Aussage. „Haben Sie die Platte abgespielt", fragte dieser prompt, bevor Plasberg die aufgeheizte Stimmung zu beruhigen versuchte.
Mit dem Slogan „Make it in Germany" versucht die Bundesregierung Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben. Im vergangenen Jahr kamen auf diesem Weg 37.000 Fachkräfte nach Deutschland - 465.000 Menschen weniger als vorgesehen. Bettina Offer berät als Rechtsanwältin deutsche Unternehmen, die im Ausland Fachkräfte anwerben wollen. „Wir wollen ja nicht einfach die Türen aufmachen und jeden reinlassen, egal ob er eine Fachkraft ist, oder nicht", erklärte Offer die Arbeitsgrundlage.
„Wir haben teilweise Wartezeiten von mehreren Monaten, bis man seinen Termin auf der Ausländerbehörde bekommt." Da die Fachkräfte in dieser Zeit nicht arbeiten dürfen, müssen sie zunächst den Umweg über das Visum-Verfahren durchlaufen.
Auf die Frage, ob die Ausländerbehörden nun eher Türöffner oder Türsteher seien für die ausländischen Fachkräfte, meinte Offer: „Wir haben mehr als 500 Ausländerbehörden in ganz Deutschland, da haben sie die ganze Bandbreite." Bei letzterer Kategorie versuche Offer über Telefonate, Faxe oder sogar durch persönliches Vorbeikommen Überzeugungsarbeit zu leisten und ihnen klarzumachen, dass eine schnelle Bearbeitung allen nutze.
Von anderen Ländern könne Deutschland lernen, „dass, wenn man es wirklich ernst meint mit der Zuwanderung von Fachkräften, dass man da Geld in die Hand nehmen muss" und „in die Infrastrukturen bei den Behörden investieren muss."
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