"In Spanien ist ein Twitter Konto heute gefährlicher als ein Schweizer Bankkonto."
León Gross, spanischer Journalist und Professor
Seit Ausbruch der Finanzkrise treibt es die Leute in Spanien regelmäßig auf die Straße. Allein in den letzten zwei Jahren gab es über 80.000 Demos. In kaum einem anderen europäischen Land wird so viel und so lebhaft demonstriert. Gegen Sparkurse, Zwangsräumungen, Korruption, gegen Polizeigewalt. Um dieser Lage Herr zu werden, bemüht sich die Regierung also um Reformen. Diese Reformen berühren nun das Versammlungsrecht, das Streikrecht und das Demonstrationsrecht. Diese Reformen treten am 1. Juli in Kraft. Es gibt ein neues Sicherheitsgesetz, das „Ley Orgánica de Seguridad Ciudadana", eine Reform des Strafgesetzbuchs sowie eine Verschärfung der Antiterrorbekämpfung. Kritiker bezeichnen diese Gesetze längst als „leyes mordazas" - Maulkorbgesetze.
Was künftig alles verboten istKünftig sollen „die Gerichte entlastet" werden, indem Polizei und Verwaltung selbst Ordnungswidrigkeiten bestimmen und Strafen verhängen können, ohne dass es einer richterlichen Prüfung bedarf. Wenn Bürger trotzdem vor Gericht ziehen, fallen zusätzliche Gebühren an. Der neue Strafen-Katalog umfasst über 45 möglicher Vergehen. So zum Beispiel das Fotografieren der Polizei, ziviler Ungehorsam, Besetzen von Banken, unangemeldete Proteste, Behindern von Zwangsräumungen oder Versammlungen vor dem Kongressgebäude. Ebenso strafbar ist die Anwesenheit in besetzten Räumen - dazu muss man wissen, dass im Zuge der Finanzkrise etliche leerstehende Häuser von betroffenen Familien instandbesetzt wurden. Aktivisten und Journalisten können auf eine Blacklist gesetzt werden. Razzien und Durchsuchungen bedürfen keiner richterlichen Anordnung mehr. Alle Orte mit öffentlicher Infrastruktur, zum Beispiel Krankenhäuser, gelten als generelle Tabuzone für Versammlungen. Dies berührt auch das Streikrecht. Generell gilt, dass alles verboten werden darf, was die Öffentliche Ordnung gefährdet. Die Bußgelder sind dabei nach Schwere der Schuld gestaffelt und liegen zwischen 600 Euro und 600.000 Euro. Protestiert man zum Beispiel innerhalb eines öffentlichen Gebäudes, etwa im Foyer des Kongresses, kann das bis zu 600.000 Euro kosten. Niedere Vergehen, wie etwa spontane Versammlungen auf der Straße, kosten um die 600 Euro.
Wie geht es weiter?Die Opposition hat bereits Beschwerde beim Verfassungsgericht eingelegt. Im November wird in Spanien ein neues Parlament gewählt. Die gesamte Opposition, so auch die beiden frischgewählten linken Bürgermeisterinnen von Madrid und Barcelona, Manuela Carmena und Ada Colau, haben bereits erklärt das Gesetz zu kippen, sollten sie an der nächsten Regierung beteiligt sein. Es bleibt also spannend.
Dürfen die das überhaupt? Jein!Hier zeigt die spanische Zeitung El Diario, was sie von den Reformen hält.
Kritiker werfen der spanischen Regierung vor, das Völkerrecht zu verletzen. Geht das denn? Dank juristischer Feinheiten gilt: „ Sie dürfen zwar nicht, aber sie können", erklärt Professor Dr. Stephan Lorenz vom Institut für Internationales Recht in München. Die Verkürzung des richterlichen Rechtsschutzes - so wie jetzt in Spanien - sei natürlich schwierig. Also in Deutschland haben ja Polizisten, etwa beim berühmten Knöllchen, genauso das Recht, erstmal ohne richterliche Anordnung ein Bußgeld zu verhängen. „ Allerdings - und darauf kommt es an - muss es danach die Möglichkeit geben, vor einen Richter treten zu können ", so Lorenz. Das nennt man „effektiven Rechtschutz", heißt, er muss effektiv jedem möglich gemacht werden, ungeachtet seines Einkommens.
Theoretisch sind alle EU-Länder an die Menschenrechtskonvention gebunden. Das heißt aber nur, dass sie theoretisch angeklagt werden können. Im Falle von Spanien heißt es also: Sie dürfen das nach dem Völkerrecht nicht, aber sie können es. Denn jedes Land hat seine eigene Verfassung und Verfahren, diese Grundrechte durchzusetzen.
Hologramm-Proteste und andere Dystopien"Das sind die schärfsten bürgerrechtlichen Einschränkungen seit der Franco-Ära"
Monica Hidalgo, Sprecherin von „No somos Delito" (Wir sind kein Delikt).
Seit Jahren beobachtet die Bürgerinitiative die rechtsstaatlichen Entwicklungen im finanziell gebeutelten Spanien. Am 10. April riefen sie in Madrid zu einer bis dato beispiellosen Aktion auf: Eine virtuelle Straßendemonstration, bestehend aus Hologrammen. Um diese virtuelle Demogemeinschaft zu erschaffen, wurden die Bürger aufgerufen, auf der Webseite hologramasporlalibertad.org ein Bild von sich hochzuladen, das dann als Hologramm zusammengebastelt wurde.
"Wir dachten, mit diesem Hologramm-Protest könnten wir den Bürgern am besten vor Augen führen, dass wir mit den Leyes Mordaza auf eine surrealistische, dystopische Zukunft zusteuern, in der solche virtuellen Proteste der einzige Weg wären, keine Repressionen fürchten zu müssen"
Monica Hidalgo
Der Hologramm-Protest geschah also nicht in vorauseilendem Gehorsam, seinen Körper von der Straße zu nehmen, sondern als dystopischer Denkanstoß. Die Demonstrationskultur, so Hidalgo, bliebe weiterhin auf reale Personen angewiesen.