Wie die antike Lehre der Stoiker hilft, gut aus der Krise zu kommen
Zwanzig Jahre nicht nur im , sondern locked up. Zwanzig Jahre lang war Nelson Mandela im Gefängnis eingesperrt, unschuldig. Er hätte allen Grund zu Wut und Verbitterung gehabt. Doch er kam voller Freundlichkeit, Versöhnlichkeit und Humor aus dieser dunklen Zeit. Wie hat er das hingekriegt? Das hängt auch mit einem Buch zusammen, das ein anderer Häftling ins Gefängnis schmuggelte: die Selbstbetrachtungen des Marc Aurel. Mandela las es und erkannte, dass Wut ihn nicht weiterbringt. Er streckte den Menschen die Hand aus, auch denen, die ihn gefangen hielten. Er fand den Weg zum Frieden, für sich und für Südafrika.
Marc Aurel war römischer Kaiser und einer der wenigen Philosophenherrscher der Geschichte. Er gehörte zu den Vertretern der Stoa, einer philosophischen Strömung, die vor 2400 Jahren entstand und 480 Jahre lang im antiken Griechenland und in Rom gedieh. Sie war weithin beliebt, weil sie, im Unterschied zur meisten anderen Philosophie, nützlich ist. Die Stoa kann helfen, wenn man Wut, Frust oder Panik kriegt, wenn man aufgeben will oder verzweifelt ist. Sie kann auch heute noch helfen.
Die Stoiker kommen jedes Mal zu Ehren, wenn man einen Menschen "stoisch" nennt: unerschütterlich, gleichmütig. Es ist nicht unbedingt ein Kompliment. Ein stoischer Mensch kann freudlos und langweilig wirken. Tatsächlich war das Ideal der Stoiker die apatheia, übersetzt "Leidenschaftslosigkeit". Aber die Stoiker hatten nichts gegen positive Emotionen wie Freude. Im Gegenteil, ihr Ziel war ein freudvolles Leben. Sie wussten aus eigener Erfahrung, wie schwierig das sein kann. Ihr Gründer Zenon von Kition war ein erfolgreicher Kaufmann, bevor er bei einem Schiffsunglück alles verlor und Philosoph wurde. Epiktet, ein römischer Stoiker, war Sklave. Seneca war Berater des widerlichen Kaisers Nero, bis der ihn zum Suizid zwang. Marc Aurel verbrachte den größten Teil seiner Regentschaft in Feldlagern an der Donau, kämpfte gegen germanische Horden und schrieb abends die Tagebücher, die später Nelson Mandela las.
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Zu einem glücklichen, gelassenen Leben findet ein Mensch, glaubten die Stoiker, wenn er sich auf sein wahres Wesen besinnt. Menschen sind soziale Wesen, sie gedeihen nur in der Gemeinschaft, und sie sind vernunftbegabt. Ein glücklicher Mensch ist daher einer, der seine Vernunft für die Gemeinschaft einsetzt. Das größte Hindernis dabei ist sich der Mensch selbst, mit seinen Trieben und Begierden, seinem Neid und seiner Ungeduld. Wenn jemand an der Welt leidet, ist in vielen Fällen nicht die Welt das Problem, sondern das Leiden.
Die Stoiker entwickelten eine Reihe mentaler Techniken, um sich gegen negative Emotionen zu immunisieren. Zum Beispiel soll der Seelenfrieden eines Menschen nicht von der Zufälligkeit abhängen, ob es gerade regnet oder die Sonne scheint. An einem sonnigen Tag könnte eine Stoikerin sich denken: Es ist nicht nur toll, dass heute die Sonne scheint. Es ist doppelt toll. Es könnte regnen. Es könnte ein furchtbarer Tag sein. Ich hätte letzte Nacht sterben können. Dann wäre ich nicht einmal hier, um über den Regen zu jammern. Aber ich lebe noch.
Diese Technik, lateinisch praemeditatio malorum genannt ("Vorausdenken von Übeln"), ist eine Art Framing. Auch wenn man gerade Freude hat, bewahre man das Bewusstsein dafür, dass die Dinge schlimm sein können. Das ist kein Zweckpessimismus, sondern ein Weg, die Welt zu erkennen, wie sie ist, und zu echter, unerschütterlicher Freude zu finden.
Einer Mutter, die voller Liebe zu ihrem Kind ist, könnte ein Stoiker raten: Lass jedes Mal, wenn du dein Kind ins Bett bringst, den Gedanken in dir aufblitzen, dass es in der Nacht sterben könnte. Aber macht dieser Gedanke nicht eher trübselig? Im Gegenteil, antwortet der Stoiker. Das ist Trübsalsprävention, vergleichbar mit einer Impfung. Man setzt sich einer kontrollierten Dosis Unglück aus, um sich dagegen zu feien, im Ernstfall davon überwältigt zu werden. Man gewöhnt sich ab, das Leben des Kindes als Selbstverständlichkeit zu nehmen. Wenn das Kind am nächsten Tag noch da ist, spürt man seine Liebe zu ihm umso mehr.
Der wichtigste Grundsatz der stoischen Philosophie ist die "Dichotomie der Kontrolle". Manche Dinge können wir beeinflussen, andere nicht. Es hat keinen Sinn, sich den Kopf über etwas zu zerbrechen, das man ohnehin nicht ändern kann. Epiktet erklärt die Dichotomie so: "Über das eine gebieten wir, über das andere nicht. Wir gebieten über unser Begreifen, unsern Antrieb zum Handeln, unser Begehren und Meiden, und, mit einem Wort, über alles, was von uns ausgeht; nicht gebieten wir über unsern Körper, unsern Besitz, unser Ansehen, unsere Machtstellung, und, mit einem Wort, über alles, was nicht von uns ausgeht." Er gibt ein drastisches Anwendungsbeispiel: "Sterben muss ich. Wenn jetzt, so sterbe ich. Wenn später, so esse ich jetzt noch zu Mittag. Wenn dann die Stunde gekommen ist, sterbe ich." Kümmere dich nicht um deinen Tod, der liegt außerhalb deiner Kontrolle. Kümmere dich um dein Mittagessen. Die Stoiker konnten auch im Angesicht des Todes ihre Mahlzeit genießen.
Tobias Hürter
ist in Corona-Zeiten zum Teilzeitstoiker geworden. Er übt mit Marc Aurel, besser mit negativen Emotionen umzugehen, schätzt aber manchmal ein aufgewühltes Gemüt.
Ein stoischer Mensch ist also keineswegs ein kalter Mensch, sondern einer, der Freude an Dingen hat, die andere als selbstverständlich nehmen. Er ist das Gegenteil dessen, wozu die Konsumgesellschaft uns erzieht: Er sucht sein Glück nicht darin, seine Begierden zu befriedigen, sondern darin, sie kritisch zu prüfen und sich von den schlechten zu befreien. Ein stoischer Mensch erkennt, worauf es wirklich ankommt im Leben. Er braucht wenig, um zufrieden zu sein.