Seid ihr eine Horde saufender Waffennarren? Wie rechts sind Schützenvereine? Ist das Festzelt nicht einfach nur der Swingerclub des Dorfs?
Die Grundwerte von Leon Dietrichs Schützenbruderschaft klingen, als hätte Horst Seehofer einen neuen CSU-Slogan entworfen: Glaube, Sitte, Heimat. Tätsächlich geht es während des viertägigen Schützenfests in Ovenhausen, einem Tausend-Seelen-Örtchen am Rande Ostwestfalens, aber eher um Saufen, Schießen, Schlager. Der 21-Jährige Leon ist seit vier Jahren Mitglied im "Heimat- und Schützenverein Ovenhausen - von 1575". Und seit diesem Jahr regiert der ausgebildete Bank- und Industriekaufmann zum ersten Mal als Schützenkönig, auch wenn er das gar nicht unbedingt vorhatte: "Was aus fünf Korn-Cola und ein bisschen Spontaneität beim Königsschießen entstehen kann", habe er sich in seiner Amtsantrittsrede Ende Juli gewundert, erzählt Leon. Später stand er dann zusammen mit seiner Freundin Tabea winkend auf dem Balkon seines Elternhauses, bekam feierlich die Königskette umgehängt, ließ sich von mehreren hundert Gästen bejubeln und ein ganzes Wochenende lang im Festzelt feiern.
Schützenbruderschaften entstammen militärischen Bürgerwehren. Leon sagt aber, er habe nicht mehr das Gefühl, er müsse sein Dorf vor irgendwas beschützen. Ihm gehe es eher darum, mit Freunden zusammen zu sein. Als Schützenkönig gehört er zur Dorfprominenz. Dass ihn in der nächsten Stadt keiner kennt, sei ihm egal: "Ich mache das für meine Heimat, man wird noch mehr in den Ort integriert und aufgenommen, hat neue Connections und könnte mal eher um einen Gefallen bitten", sagt er. Große Verpflichtungen hat er keine, außer bei anderen Schützenfesten mit seinem Hofstaat mitzumarschieren - und nicht geizig zu sein, wenn es darum geht, Bier und Schnaps für die Mitglieder seines Schützenvereins zu kaufen.
Wir haben Fragen.
VICE: Wie viel Kultur steckt wirklich in eurem mehrtägigen Trinkmarathon?
Leon: Es gibt eine sehr große Bier- und Schnapskultur [lacht]. Früher habe ich gar nicht so hinterfragt, dass das Fest viel mit Kultur zu tun hat, aber nachdem ich so richtig nah dabei war, steckt viel Tradition dahinter. Es geht darum, einfach gut zu feiern und sich einen reinzuhauen. Und es gibt viele alte Bräuche, die man als Dorf feiert und wahrt, zum Beispiel die Königsproklamation, die Schützenmesse, den Umzug. Oder die Ehrung der Verstorbenen am Friedhof, da gibt es einen Festakt, es wird ein Kranz niedergelegt und die Nationalhymne gespielt. Bei uns in Ovenhausen gibt es montags immer noch eine Einlage der Offiziere, der ranghöheren Schützen. Die veranstalten für den Hofstaat ein kleines Spiel. Das hat immer etwas mit den Interessen des Königs zu tun, bei mir ging es um Fußball, bei einem anderen ging es mal um seinen Job bei der Bundeswehr. Aber im Grunde wissen alle aus dem Dorf, dass es beim Schützenfest eigentlich darum geht, gemütlich zusammen an der Theke zu stehen.
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