Das Wir braucht Bass: Zehntausende völlig unterschiedliche Menschen haben in Berlin gegen die AfD demonstriert und den Geist der Loveparade wiederbelebt. Verbunden hat sie vor allem eins: Techno!
„Habt euch alle lieb! Und habt auch die lieb, die ihr nicht lieb habt", brachte der Loveparade-Gründervater Dr. Motte die Philosophie seines Liebeszugs dereinst auf den Punkt. Eine geradezu biblische Forderung. Schöne junge Menschen mit Bauchnabelpiercings und bunt gefärbten Haaren fuhren damals zu Hunderttausenden so lange durch Berlin, bis die Parade und mit ihr die Botschaft zur massentauglichen Marke und zum touristischen Standortvorteil gerann. Und dann, Jahre später, in Duisburg in einem Unglück endete.
Am Sonntag wurde die Idee wieder mit Leben gefüllt: „Berlins Klubkultur ist alles, was die Nazis nicht sind und was sie hassen: Wir sind progressiv, queer, feministisch, antirassistisch, inklusiv, bunt und haben Einhörner." Unter diesem Motto riefen die Veranstalter von „AfD wegbassen" zum Protest gegen die AfD-Demo „Zukunft Deutschland" in Berlin auf. Und die Massen kamen, zahlenmäßig irgendwo zwischen 25.000 und 70.000, mindestens fünfmal so viele wie auf der Gegenseite.
Der Bass stiftet weiter Gemeinschaft. Techno mobilisiert auch fast 30 Jahre nach der ersten Loveparade in Berlin die Massen wie keine andere Musikkultur. Auch wenn das dadaistisch anmutende Motto der ersten Parade, „Friede, Freude, Eierkuchen", zunächst nach hedonistischer Sinnlosigkeit klang, war Techno doch vor allem die Antwort auf die resignierten „No Future"-Punks der 70er und die melancholischen New Waver, die mit ein bisschen mehr Make-up in den 80ern aus diesen entstanden.
Techno wurde als wortloser Protestsong zum Soundtrack des Mauerfalls, und das hedonistische Tanzen auf ihren Trümmern zum Symbolbild für das Ende des Kalten Krieges.
Dass die elektronische Klubkultur, die in den schwarzen Schwulenklubs Chicagos entstand, bis heute als safe space für marginalisierte Gruppen von zentraler Bedeutung ist, zeigt sich vor allem in Ländern, in denen es um Menschenrechte nicht so gut bestellt ist. Erst vor knapp drei Wochen kam es in der georgischen Hauptstadt Tiflis zu schwerbewaffneter Polizeigewalt gegen Feiernde in den Szeneklubs Bassiani und Café Gallery.
Den als Drogenrazzia deklarierten Einsatz interpretierten viele als staatlichen Angriff auf die liberalen Werte der Szene. Dass das Bassiani seine Türen nun wieder öffnen darf, verdanken die Klubbetreiber zum Großteil auch dem spontanen Protest Tausender Feiernder vor dem Parlamentsgebäude in Tiflis und der internationalen Aufmerksamkeit, die die Aktion dadurch bekam.
Wenn man also am Sonntag in Berlin wieder Frauen in bauchfreien Tops und blondierte Männer auf den Straßenlaternen entlang der Straße des 17. Junis sitzen sah, farbenfrohe Dragqueens mit Federboas auf selbst gebauten Holzwägen tanzten, und Menschen aller Herkunft und Alters (es gab sogar einen Block der „Omas gegen Rechts") dem Bass hinterher Richtung Brandenburger Tor marschierten, ist die Parallele zu den Ursprüngen der Loveparade genauso wahr wie zentral: Sie erinnert daran, dass Friede, Freude und Eierkuchen für alle auch in Deutschland keineswegs eine Selbstverständlichkeit sind.
Wer den feiernden Demonstranten vorwerfen will, sie seien ja nur wegen des guten Wetters und der Party da gewesen statt politischer Beweggründe, der hat den Kern der Gegendemo offensichtlich nicht erfasst: Diese Party war vielleicht politischer als jede Demo des sogenannten Schwarzen Blocks. Weil sich hinter den wummernden Bässen eine Menge vergemeinschaftet hat, die in ihren Lebensentwürfen, politischen Positionen und Beweggründen vielfältiger kaum sein könnte.
Weil dadurch ein idealistischer Gegenentwurf von Gesellschaft zumindest für ein paar Stunden mögliche Realität wurde. Und weil die Raver demonstrierten, dass Spaß immer noch mehr Menschen auf die Straße bringt als Hass.
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