Laslo Seyda

Freier Journalist, Hamburg

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Feature

Die Macht ist stark in dir

Wie schafft es „Star Wars“, seit 40 Jahren so viele Menschen zu begeistern? Zum Kinostart von „Die letzten Jedi“ entschlüsselt WUNDERWELT WISSEN das raffinierte Erfolgsrezept der Weltraumsaga.

Was siehst du?“, fragt der alte Mann mit Millionen Menschen! In nur wenigen Stunden wurde der
dem zerzausten grauen Bart. „Licht. Dunkelheit“, antwortet das Mädchen. „Das Gleichgewicht.“ Dann raunt der Mann: „Es ist so viel mehr als das ...“
Nur ein paar belanglose Worte? Von wegen! Die Sätze entstammen der Vorschau auf „Star Wars: Die letzten Jedi“ – und es gibt Videos im Internet, die zeigen, wie erwachsene Männer beim Ansehen des Trailers in Tränen ausbrechen. Endlich, endlich trifft die junge Rey, Hauptfigur der neuen Trilogie, auf den alt gewordenen „Star Wars“-Veteranen Luke Skywalker, das Kindheitsidol von Trailer über 17 Millionen Mal auf Youtube geklickt.
Seit über 40 Jahren begeistert die Weltraumsaga „Star Wars“ ihre Zuschauer. Es gibt kaum jemanden, der nicht schon einmal von Darth Vader, R2-D2 und Chewbacca gehört hat. Bereits bei der Weltpremiere im Mai 1977 bildeten sich vor den Kinos lange Menschenschlangen, die sieben Episoden der Saga und ein ausgekoppelter Film spielten bis heute rund 7,5 Milliarden US-Dollar ein – Erlöse aus Comics, Actionfiguren, Kostümen, Brotdosen, Lego-Sets, Büchern, Videospielen und Filmträgern nicht mit eingerechnet. Und unter Garantie wird „Die letzten Jedi“, der am 14. Dezember in den Kinos startet, neue Heerscharen an Fans rekrutieren. Unzählige Kinder wer- den mit glänzenden Augen auf die Leinwand starren und fasziniert sein.
Das liegt nicht nur an den ausgefeilten Spezialeffekten, an den Raumschiffen, die das All durchpflügen oder an den Wesen mit langen Rüsseln, riesigen Augen und spit- zen Ohren, die den „Star Wars“-Kosmos bevölkern. Da ist noch etwas anderes. Etwas, das viel tiefer geht und dafür sorgt, dass „Star Wars“ so viele Menschen seit Jahr- zehnten in seinen Bann schlägt.

DIE MUTTER ALLER GESCHICHTEN
Der geheimen Rezeptur der Filme liegt eine simple Beobachtung zugrunde. „Star Wars“-Schöpfer George Lucas, 1944 in Kalifornien geboren, bemerkte als Erster in Holly- wood, wie sehr sich das Kinopublikum in den 1970er- Jahren wandelte. Die zwölf- bis 29-Jährigen, die damals rund 40 Prozent der US-Bevölkerung ausmachten, kauf- ten rund drei Viertel der Tickets. Doch sie kannten, wenn überhaupt, nur die Abenteuerfilme ihrer Väter: Mantel-und-Degen-Filme mit Errol Flynn und die Abenteuer des Science-Fiction-Helden Buck Rogers. Eine gewaltige Marktlücke. Genau für dieses Publikum wollte Lucas Filme machen. Seine Idee: ein Western im Weltraum.
Als Inspiration studierte der Regisseur die Werke J. R. R. Tolkiens, Robert Lewis Stevensons und der Brüdern Grimm. Ein Buch hat Lucas besonders beeinflusst: „Der Heros in tausend Gestalten“. Geschrieben hat es der Literaturwissenschaftler Joseph Campbell, der sich für das Werk fünf Jahre in eine Hütte im Wald zurückgezogen hatte. Sein Ziel: die Erzählungen der Menschheit auf Gemeinsamkeiten zu untersuchen. Gab es ähnliche Legen- den, Sagen und Gesänge, die an mehreren Orten und zu unterschiedlichen Zeiten entstanden waren? Gab es Ge- schichten, die sich zum Beispiel nicht nur die Ureinwohner Amerikas erzählten, sondern auch Schamanen in Sibirien? Was Campbell entdeckte: Viele Geschichten lassen sich von einem einzigen Mythos ableiten. Campbell nennt ihn den Monomythos. Darin wird die Hauptfigur aus dem Alltag gerissen, zieht hinaus in die große, weite Welt und wird auf ihrem Weg zum Helden.

DAS GANZ GROSSE KINO
Für George Lucas muss Campbells Studie eine echte Offenbarung gewesen sein. Genau das wollte er auch: eine Menschheitssaga von globaler Gültigkeit entwerfen. Aber nicht im Hier und Jetzt sollte sie spielen, sondern an einem Ort, so fremd wie die Welt unserer Urahnen: drau- ßen bei den Sternen. Lucas entwarf die Reise seines Namensvetters Luke Skywalker. Er sammelte dazu Ver- satzstücke und Figuren klassischer Geschichten und ver- wob sie zu einem modernen Märchen.
Drei Beispiele: Der weise Obi-Wan Kenobi, der Luke im Film unterweist, erinnert an den keltischen Magier Mer- lin. Und auch an eine Figur des altgriechischen Schriftstellers Homer: Mentor, den Vater aller Lehrmeister. Das fluoreszierende Lichtschwert, das Obi-Wan seinem Schützling überreicht, ist eine Science-Fiction-Variante des Zauberschwerts Excalibur, mit dem König Artus Eng- land eint. Und mit all den Monstern, Riesen und Titanen ähnelt Lukes Irrfahrt durchs All erstaunlich den Fahrten des Odysseus oder anderer Größen der griechischen Mythologie. Wie die antiken Stars besteht Luke schicksalshafte Prüfungen und reift dabei zum Helden. „Star Wars“, das ist Trojanischer Krieg auf interstellarer Bühne. Und wir sind dabei, schon ein halbes Menschenleben lang, weltweit. „Star Wars“, das sind die Vereinten Nationen im Kinoformat. Denn: „Egal wann oder wo: Menschen ticken immer gleich, erzählen sich überall dieselben Geschichten“, sagt Wissenschaftlerin Catherine Newmark. „Deswegen wird ‚Star Wars‘ auch weltweit verstanden.“ Newmark lehrt Philosophie an der Freien Universität Berlin und hat sich als Herausgeberin des Buchs „Viel zu lernen du noch hast“ intensiv mit den Einflüssen auf die Weltraumsaga auseinandergesetzt. Für Lucas’ Inspirator Campbell symbolisiert die Heldenreise das Leben jedes ganz normalen Menschen: „Die Protagonisten haben allesamt Ängste und Zweifel wie wir. Es sind Jedermänner, mit denen sich der Zuschauer identifizieren kann“, sagt Newmark.
Und so fühlen wir alle mit: Wenn Luke sehnsuchtsvoll die zwei Sonnen von Tatooine beobachtet, wie sie blutrot hinterm Horizont versinken, seufzen wir mit ihm. Wenn die junge Rey eine Filmgeneration später vor ihrem ver- rosteten Kampfläufer in den Dünen von Jakku sitzt, träumen wir uns mit ihr in die aufsteigenden Sternenshuttles: Was bloß da draußen auf mich wartet? „Star Wars“ füllt eine Lücke in uns. „Wir leben in einer Welt, in der das Gefühl des Abenteuers schwindet“, sagt der Science-Fiction-Experte und Schriftsteller Peter Glaser. „Bei ‚Star Wars‘ aber bekommt man es wieder zu fassen. Nach so einem Film phosphoresziert unsere Fantasie, und wir können die Größe und Weite genießen, die wir in unserem kleinen Alltag beinahe vergessen hatten.“
All die scheinbar ausweglosen Momente, dieses schicksalshafte Auf und Ab im gnadenlos überzeichneten Kampf von Gut gegen Böse fesseln uns. „Star Wars“ ist ein Mythos unserer Zeit, geboren Mitte der 1970er-Jahre, geprägt vom katastrophalen Ausgang des Vietnamkriegs für die USA, vom Machtmissbrauch des US-Präsidenten Richard Nixon in der Watergate-Affäre und von der globalen Ölkrise. Alles höchst kompliziert. Der Wunsch der Zuschauer nach Ordnung und Orientierung ist seitdem nicht kleiner geworden. „Eine solche einfache Geschichte drückt die Sehnsucht nach einer moralisch übersichtlicheren Vergangenheit aus.“ – So deutet es der Soziologe David Fischer-Kerli.

„RELIGION’S GREATEST HITS“
Star Wars, das ist auch: Glaube, Liebe, Hoffnung. Allein schon die Prophezeiung vom Auserwählten, der die Welt ins Gleichgewicht bringt – urchristlich. Dazu der Segenswunsch „Möge die Macht mit dir sein“, der fast einer Für- bitte gleicht. Oder Luke Skywalker, der den Menschen hinter der Maske des Bösen sieht. Und erst recht diese geheimnisvolle Kraft: die Macht. Sie allein ließ so manchen zum Jünger des Lucas werden. Sie beruht auf philosophischen Prinzipien und asiatischen Denktradi- tionen, die Tausende von Jahren alt sind. In „Star Wars“ vermischt sich all das zu einer neuen Form von Religion. Mark Hamill, Darsteller von Luke Skywalker, nannte die- sen Mischmasch einmal „religion’s greatest hits“. Es sei, so gibt der Regisseur offen zu, der Versuch, „bei jungen Leuten eine Art von Spiritualität wiederzuerwecken“.
Lucas ist als bekennender Christ überzeugt von der Kraft des Glaubens. Ins kosmische Setting übertragen, klingt das zum Beispiel so: „Du musst sie fühlen, die Macht, die dich umgibt“, sagt Großmeister Yoda, als Luke bei ihm die Ausbildung zum Jedi absolviert. „Hier, zwischen dir, mir, dem Baum, dem Felsen dort. Überall!“ Dann hebt der grüne Zwerg mit einer Handbewegung ein versunkenes Raumschiff aus dem Sumpf von Dagobah, ohne es zu berühren. „Das glaube ich einfach nicht“, sagt der verdutzte Luke. „Darum versagst du“, erwidert Yoda. Die Filme sind im Grunde eine elementare Moralschule. „Jeder drückt es anders aus, aber im Wesentlichen geht es darum, nicht zu töten, Mitleid zu haben und die Menschen zu lieben“, sagt George Lucas. Eine Lehre ohne Gott, an die wir alle glauben können: Christen, Juden, Buddhisten, Hindus und Muslime. Und tatsächlich: Bei einer Volksbefragung in England, Kanada, Neuseeland und Australien im Jahr 2001 gaben mehr als eine halbe Million Menschen „Jedi“ als Religion an.

FAMILIENZOFF IM WELTRAUM
Bei all den Raumschlachten und Lichtschwertduellen: Wie ein roter Faden zieht sich etwas höchst Irdisches durch den Krieg der Sterne – etwas, das jeder Mensch durch- stehen muss: das Drama des Erwachsenwerdens, der Konflikt mit den Eltern: Anakin Skywalker muss die Trennung von der Mutter verschmerzen; Jyn Erso schließt Frieden mit ihrem Vater, der auszog, um den Todesstern zu bauen; und die Waise Rey muss verkraften, dass man sie allein zurückließ. Umgekehrt rammt Kylo Ren, Bösewicht der neuen Trilogie, seinem Erzeuger Han Solo das Lichtschwert durch die Brust, um den letzten Schritt zur Finsternis zu vollziehen. Ja, es ist wahr: „Star Wars“ ist im Grunde pralles Familienleben, eine Art „Buddenbrooks“ im Weltraum. Bestes Beispiel: Luke, der im Duell mit dem maschinenhaften Darth Vader nicht nur gegen den Verlust der Menschlichkeit kämpft, sondern auch für die Erlösung des Vaters und die Versöhnung mit ihm. Das fasziniert selbst Leute, die nicht wegen der Effekte ins Kino gehen. Sie, nein, wir kommen wegen der eigenen vermurksten Sippe, die sich in den Sternen spiegelt.
In „Die letzten Jedi“ wird also nicht nur das Ringen um das Schicksal der Galaxis weitergehen. Es geht um so viel mehr – es geht um uns. „Jeder Mensch ist ein Universum aus Licht und Schatten, erfüllt von Kräften im Widerstreit“, sagt Catherine Newmark. Ob Rache, Trauer, und Gier, ob Liebe, Mut und Gerechtigkeitssinn: „In den Filmen sehen wir, in verteilten Rollen gespielt, eine einzige Person – uns selbst. ‚Star Wars‘ ist ein Flug durch unseren Seelenkosmos.“
Die Filme erfassen uns in unserem innersten Kern: Ihre Motive bieten einen Leitfaden für unser eigenes Leben, ihre Figuren stellen sich dieselben Fragen wie wir: Wer bin ich? Und warum? Wo ist mein Platz im Universum? Weil das so starker Tobak ist, lässt „Star Wars“ uns in unserer komplizierten Welt gleich dazu noch Hoffnung schöpfen. Und wer, bitte schön, braucht die nicht ab und zu?