Lara Schauland

Politik und Fußball, Berlin

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Fußballrealität: Keine Teilhabe

Die Fußballweltmeisterschaft der Frauen ist vorbei. Das spanische Team setzte sich im Finale mit 1:0 gegen die Engländerinnen durch und ist Weltmeister. Doch das erscheint im Rückblick fast nur als Nebensache. Bei der Siegerehrung in Sydney küsste der Präsident des spanischen Fußballverbands (RFEF), Luis Rubiales, eine der Spielerinnen, die 33jährige Jennifer Hermoso, auf den Mund. Auf diesen sexuellen Übergriff folgten, wie so oft bei sexualisierter Gewalt im Fußball, nicht nur Kritik und Empörung, sondern auch Victim blaming und Täterschutz.

Der RFEF sprang Rubiales unterstützend zur Seite. Er beschuldigte Hermoso, falsche Behauptungen aufzustellen, und drohte mit rechtlichen Schritten. Es wurden zudem Fotos und zuletzt ein Video veröffentlicht, die die Behauptung stützen sollten, dass der Kuss einvernehmlich und Hermoso aktiv daran beteiligt war. Der Verband veröffentlichte außerdem ein Statement, in dem auch Hermoso zitiert und der Vorfall heruntergespielt wurde. Offenbar ohne Wissen oder Einverständnis der 33jährigen.

Hinzu kam die Drohung des RFEF, die UEFA zu verlassen, falls Rubiales als Präsident abgesetzt würde. Das würde zum Ausschluss der spanischen Teams aus den europäischen Wettbewerben führen. Das ist auch eine indirekte Nachricht a Hermoso: Machte sie eine große Sache aus dem "Kuss", müssten alle anderen Teams darunter leiden.

Rubiales verteidigte sein Verhalten bei der außerordentlichen Generalversammlung des Verbands in einer skurrilen Rede und kündigte an, dass er nicht zurücktreten werde, er sei schließlich das Opfer einer Hetzjagd. Weibliche Funktionäre wurden auf der Versammlung gezwungen, in der ersten Reihe zu sitzen, um den Eindruck zu erwecken, sie stünden zum Verbandschef. Die FIFA reagierte nach dieser Rede mit einer 90tägigen Suspendierung. Auch die oberste spanische Sportbehörde hat beim nationalen Sportgerichtshof die Suspendierung des 46jährigen beantragt. Alle Weltmeisterinnen kündigten einen Boykott an, wenn Rubiales nicht zurücktritt, auch viele einzelne Profis, Politikerinnen und Politiker sowie die norwegische Verbandschefin solidarisieren sich mit der Betroffenen. Rubiales' Mutter hingegen hat sich in einer Kirche eingesperrt und ist in den Hungerstreik getreten, um ihrem Sohn beizustehen.

Es mag niemanden wirklich überraschen: Sexismus und Misogynie sind inhärenter Teil des Fußballs. Die Probleme seien strukturell, hört man nun von allen Seiten. Doch was das bedeutet, bleibt vage.

Seit Beginn der Industrialisierung fand mit der zunehmenden Bedeutung der Geschlechterordnung in der Gesellschaft eine Unterteilung von produktiver und reproduktiver Arbeit statt, die das Fundament für das Bündnis von Kapital und Patriarchat bildet. Frauen wurden auf ihre häuslichen und familiären Pflichten verwiesen und damit auch von den Rängen und Plätzen der Fußballklubs ausgeschlossen. Lange Zeit war der Frauenfußball in Verbänden verboten oder zumindest nicht gern gesehen. Als sich Frauen die Sphäre des Fußballs Anfang der 1970er Jahre nach und nach eroberten, wurde die nichtmännliche Version dieses Spiels noch als lächerlich und unästhetisch verunglimpft, um die bestehenden Männerbünde und Macht- und Herrschaftsverhältnisse abzusichern. Heute propagiert man, den Frauenfußball zwar zu fördern und sich Gleichberechtigung zu wünschen, die Realität sieht aber ganz anders aus. Frauenfußball ist vielerorts nicht mehr als ein Marketingprodukt.

Auch heute erfahren Frauen im Fußball systematische Benachteiligung und Ungleichbehandlung. Auf Funktionärsebene sind sie quasi gar nicht vertreten: Weniger als vier Prozent aller Führungspositionen im europäischen Profi­fußball sind von Frauen besetzt, 54 Prozent der WM-Spielerinnen erhielten keinen Gesundheitscheck vor der WM, zwei Drittel mussten unbezahlten Urlaub nehmen, weibliche Fußballprofis spielen häufig auf den schlechtesten Plätzen, mit schlechterem Equipment als ihre männlichen Kollegen. Männer verdienen als Profifußballer noch immer 50- bis 200mal mehr als Frauen. Wo also soll die Gleichberechtigung herkommen? Sexismus fängt nicht erst bei körperlichen Übergriffen an. Die vielen kleinen Grenzüberschreitungen bilden, genau wie die ökonomische Ungleichbehandlung der Frauen, den Nährboden für solche Übergriffe. Diese sind nicht mehr als die logische Konsequenz.

Die Strukturen, die Frauen im Fußball vorfinden, sind ungleich und ungerecht. Sie benachteiligen Frauen und basieren auf strukturellem Sexismus, tief verankerten Normen und Werten, die ebendiese Unterschiede rechtfertigen sollen. Dazu kommt die ökonomische "rationale" Rechtfertigung: Weil Frauen im Fußball nicht soviel Geld generieren, können ihnen eben keine besseren Strukturen zur Verfügung gestellt werden: "Sollen sie sich doch einfach mehr anstrengen." Aber warum Frauen weniger Geld einbringen, fragen sich die wenigsten. Sexistische Vorstellungen lassen den Frauenfußball vermeintlich unattraktiver erscheinen als den Fußball der Männer, aber auch die Tatsache, dass Frauenfußball lange verboten oder marginalisiert war, trägt dazu bei. Die Entwicklungszeit des Frauenfußballs ist wesentlich kürzer gewesen, die Bildung einer Fankultur, die den Sport ja mitproduziert und damit vermarktungstechnisch wertvoller macht, und entsprechender Strukturen ist nicht so einfach möglich. Diesen Teufelskreis durchbricht man nicht nur mit Awareness-Konzepten, Frauenquoten und Aufklärungskampagnen.

Während andere Lebensbereiche im Kapitalismus zu umkämpften Räumen wurden, in denen Frauen Teilhabe einfordern, stellt der Fußball eine der letzten Sphären traditionell hegemonialer Männlichkeit dar. Männer dominieren den Fußball nach wie vor, und sie verteidigen ihre Machtposition mit allen Mitteln. Rubiales ist kein Einzelfall. Wir erinnern uns an den Fall Benjamin Mendy vor ein paar Wochen, der diverse Frauen vergewaltigt haben soll, aber nun trotzdem weiter als Profi spielt, an die bekanntgewordenen Vorwürfe gegen den Sambischen Nationaltrainer Bruce Mwape während der WM, der Spielerinnen zum Sex gezwungen haben soll, oder an den ehemaligen Präsidenten des französischen Fußballverbands, Noël Le Graët, der nach Vorwürfen der sexuellen Belästigung einen Job bei der FIFA bekam. Der marktkonforme Fußball kann und will keine gleichberechtigte Teilhabe.

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