Lara Schauland

Politik und Fußball, Berlin

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Wertegelaber und Profite

FIFA-Chef Gianni Infantino droht den "Big Five". Die Fußballweltmeisterschaft der Frauen 2023 würde demnach in den großen fünf Ländern Europas (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien und Italien) nicht übertragen werden. Grund der Drohung ist ein Streit um den Erwerb der TV-Rechte. Während ARD und ZDF laut Informationen des Fußballmagazins Kicker bereit sind, fünf Millionen Euro zu zahlen, fordert die FIFA offenbar die doppelte Summe. ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky spricht von einem "marktkonformen Angebot", Infantino von einer "moralischen und rechtlichen Verpflichtung der FIFA, die Frauen-WM nicht unter Wert zu verkaufen". ZDF-Sportchef Yorck Polus hingegen warb für eine differenzierte Betrachtung des Themas: "Das eine ist eine Wertediskussion, das andere befasst sich mit Marktpreisen." Hier zeigt sich das Problem des marktkonformen Sports, der von den Widersprüchen des Kapitalismus nicht befreit sein kann.

Ein neuer Markt

Infantino ist nicht plötzlich zum Feministen geworden, und sein von Korruption und Vetternwirtschaft durchsetzter Verband hat auch nicht unvermittelt einen Sinneswandel durchlebt und seinen moralischen Kompass gefunden. Vielmehr tut sich ihm hier seit einigen Jahren ein neuer Markt auf, der noch mehr Geld in die Kassen des "gemeinnützigen" Vereins mit Sitz in der Schweiz spülen kann. In den Anfängen wurde die Fußballweltmeisterschaft der Frauen an die Sender quasi verschenkt, man lieferte sie ohne weiteren Aufpreis in einem Paket mit den Rechten der Männer-WM mit. Ganz nach dem Vorbild des milliardenschweren Fußballs der Herren soll jetzt der Fußball der Frauen nun möglichst bald voll und ganz den Logiken des Profifußballs unterworfen werden und möglichst viel Profit generieren. Dass er davon noch weit entfernt ist, zeigen die Summen: Während die öffentlich-rechtlichen Sender sich die Übertragung der WM der Herren im Jahr 2022 rund 214 Millionen Euro haben kosten lassen, wären es bei der WM der Frauen wenig mehr als zwei Prozent davon.

Die Debatte um die TV-Rechte für die Frauen-Weltmeisterschaft wirft natürlich Fragen der Geschlechtergleichstellung und Diskriminierung im Sport auf. Historisch gesehen wurden Fußballturniere der Frauen vernachlässigt, die mediale Präsentation reichte nicht im Ansatz an die der Männer-WM heran. Darin spiegeln sich auch bestehende Machtverhältnisse wider: Der männliche Sport ist lukrativer und wird als attraktiver angesehen. Liberale Stimmen kritisieren das Angebot der Öffentlich-Rechtlichen als unzureichend und der angestrebten Gleichberechtigung der Männer und Frauen hinderlich. Die Sender verweigerten jede gesellschaftspolitische Verantwortung. Nun gibt es sogar eine Petition mit knapp 50.000 Unterschriften, die dazu aufruft, dass sich FIFA und die öffentlich-rechtlichen Sender einigen. Es mutet allerdings seltsam an, dass Kritikerinnen und Kritiker der immer stärker zunehmenden Kommerzialisierung des Fußballs mittlerweile dasselbe für den Fußball der Frauen fordern.

Die Frage, woher das Geld kommt und wo es am Ende landet, wird ausgeblendet. Statt dessen lädt man die Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Sender moralisch auf. ARD und ZDF finanzieren sich hauptsächlich aus den Rundfunkbeiträgen, die wiederum durch die Bürgerinnen und Bürgern gezahlt werden. Wenn diese Gelder an die FIFA weiterfließen, haben wir es, wie zu oft, mit einer Verteilung von unten nach oben zu tun. Millionen Euro werden an einen Verband gezahlt, der Staaten wie Katar für deren Sportswashing eine Bühne bietet und somit auch maßgeblich an der radikalen Ausbeutung und dem Tod zahlreicher Arbeiter beteiligt ist, einem Verband, der Bestechungsgelder anstelle demokratischer Entscheidungen setzt.

Mehr vom Kuchen

Wer glaubt, dass die Spielerinnen auf diese Art zumindest ein wenig mehr vom Kuchen hätten, dürfte sich täuschen. Wenn es der FIFA wirklich ernst wäre mit der Geschlechtergerechtigkeit, hätte sie längst die Mittel aufgebracht (die sie hat), um dieses Vorhaben finanziell zu stützen. 2022 etwa setzte der Weltverband knapp sechs Milliarden US-Dollar um, machte von 2019 bis 2022 rund eine Milliarde US-Dollar Gewinn und verfügt über Rücklagen in Höhe von 2,4 Milliarden US-Dollar. Zudem gibt es keinen Grund, warum nicht Gewinne aus dem Männer-Bereich den Frauenteams zugute kommen sollen. Da das nicht passiert, stellen sich ganz grundsätzlich Fragen zur Legitimation der FIFA, diese Turniere zu veranstalten, und überhaupt zur Verbindung von Staat, Gesellschaft und Verbänden.

Von der Basis entfernt

Befürwortet man tatsächlich das Handeln des Weltverbands, weil er den Frauenfußball endlich dem Männerfußball angleichen möchte und der Frauenfußball doch mehr wert sein muss als die gebotene Summe? Oder kritisiert man, dass die Summen im Männerfußball bereits viel zu hoch sind und doch grundsätzlich umverteilt werden könnten, da das Konstrukt des durchkommerzialisierten Männerfußballs sich schon komplett von seiner Basis entfernt hat und man genau das eben nicht für den Fußball der Frauen will? Ist ein Männerfußball 2.0, der nach denselben kapitalistischen Mechanismen funktioniert und finanziell ausgeschlachtet wird, tatsächlich erstrebenswert?

Das Überstülpen der Hülle des Männerfußballs auf den Sport der Frauen und die Generierung eines neuen Marktes und höherer Profite unter dem Deckmantel des Feminismus trägt schon heute seine ersten Früchte: Neuerdings ist die Förderung des Frauenfußballs für Profivereine in der Lizenzierungsordnung verankert. Das große Engagement und gestiegene Investment der traditionellen Männerklubs führt dazu, dass Traditionsklubs der Frauen nicht mehr mithalten können: Turbine Potsdam ist als reiner Frauenfußballverein bereits aus der Bundesliga abgestiegen. Es passiert also ähnliches, was beim Aufstieg von RB Leipzig im Fußball der Männer und dem reihenweisen Absturz von Traditionsklubs noch laut kritisiert wurde. Es wird künstlich Geld in den Sport gesteckt, organisch gewachsene Klubs können mit der zunehmenden Professionalisierung häufig nicht mehr mithalten. Herauskommen Fußballklubs als Unternehmen, die keine Vereine mehr sind, weil demokratische Mitbestimmung durch unbändiges Streben nach Profit ersetzt wurde. Ist das tatsächlich die Gleichberechtigung und vor allem die Entwicklung des Fußballs ist, die sich viele wünschen?

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