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Post-Draghi-Ära: Bekommen wir eine EZB-Präsidentin?

Die Europäische Zentralbank steht in den nächsten zwei Jahren vor wichtigen Personalveränderungen. Fünf der sieben Spitzenposten bei der EZB werden bis Ende 2019 frei, unter anderem der des amtierenden Präsidenten Mario Draghi. Als erster wird sein Vizepräsident Vítor Constâncio gehen. Er scheidet im Juni 2018 aus dem Amt.

Wer in die Spitze der Zentralbank aufrückt, ist für ganz Europa relevant, denn die neue EZB-Spitze wird die Zukunft der europäischen Geldpolitik mitgestalten. Ihre wichtigste zukünftige Entscheidung: Der Zeitpunkt und die Art des Endes der Niedrigzinspolitik. Außerdem wird die neue Spitze mitreden, wenn Europas Staats- und Regierungschefs an der Widerstandfähigkeit des Euro gegenüber künftigen Schocks arbeiten. Die Einstellungen der Nachrücker können also Einfluss auf mögliche Regulierungen haben.

„In den nächsten zwei Jahren wird eine große 'Reise nach Jerusalem' stattfinden, da in der Europäischen Union viele hochkarätige Positionen zu haben sind", sagt Carsten Brzeski, Chefökonom der ING-Diba AG in Frankfurt. „Was am Ende dieses Prozesses stehen wird, wird tiefgreifende Konsequenzen für die Art und Weise haben, wie die EZB ihre Geldpolitik strafft."

Fragen und Antworten zur EZB

Sind Vorwürfe gegen die EZB berechtigt?

Die EZB selbst kann an den Personalentscheidungen kaum mitreden. Wie bei hohen Posten in Europa üblich, wird letztlich ein langer Diskussionsprozess der 19 Mitglieder entscheiden, wer die Zentralbank anführt. Es wird gefeilscht, geschmeichelt und Gefälligkeiten werden eingefordert. Dabei geht es aber nicht nur um die Nationalität. Es ist zum Beispiel unwahrscheinlich, dass ein Regierungsminister in die EZB-Spitze berufen wird, ein solcher Schritt wäre ein Bruch mit der Tradition. Stattdessen fordern viele eine Frau im Direktorium. Die europäischen Gremien forderten eine Vorschlagsliste mit mindestens drei Namen von den Ländern und wiesen dabei ausdrücklich darauf hin, dass weibliche Kandidaten vorgeschlagen werden sollten.

Diese Forderung hat einen Präzedenzfall. 2012 wurde der Prozess monatelang blockiert, bevor sich die Gesetzgeber darauf einigten, der Nominierung des Luxemburgers Yves Mersch für das Direktorium zuzustimmen. Die spanische Regierung zeigte ihre Sensibilität für die Geschlechterfrage, als ihr Ministerpräsident Mariano Rajoy keine Namen nannte und sagte, er werde einen „männlichen oder weiblichen" Kandidaten präsentieren.

Die Frauen, die jetzt für eine Präsidentschaft oder einen Sitz im Direktorium gehandelt werden, sind die 62-jährige Christine Lagarde, aktuell Geschäftsführerin des Internationalen Währungsfonds und Sharon Dennery, die stellvertretende Gouverneurin der irischen Zentralbank.

Auch Spanien hat wieder Interesse an einem Posten im EZB-Direktorium angemeldet. Rajoy erklärte, seine Regierung werde einen Kandidaten für den freiwerdenden Posten des Vizepräsidenten Constâncio vorschlagen. Dabei ist vor allem der spanische Wirtschaftsminister Luis de Guindos im Gespräch. Der 57-Jährige ehemalige Executive Chairman der spanischen und portugiesischen Aktivitäten der Lehman Brothers Holding Inc. (bis zu deren Zusammenbruch im Jahr 2008) könnte allerdings auf Widerstand der EU-Gremien stoßen.

Einige EZB-Ratsmitglieder sind besorgt über die Aussicht, dass ein derart ranghoher Politiker zur unabhängigen EZB kommen könnte, wie Insider berichteten. In der fast 20-jährigen Geschichte des Instituts ist kein amtierender Finanzminister direkt in das Direktorium gewechselt, wenngleich Deutschland 2012 den Staatssekretär im Finanzministerium Jörg Asmussen dort platzierte.

Neben Draghi und Constâncio werden außerdem Chefökonom Peter Praet, Leiter der Markt-Operationen Benoît Coeuré und die Vorsitzende der Bankenaufsicht Danièle Nouy ersetzt. Die EZB und die nationalen Zentralbanken beeinflussen die Entscheidungsträger zwar, haben aber selbst kein Stimmrecht.

Formell läuft die Neuwahl wie folgt ab: Die europäischen Finanzminister werden am 22. Januar bei einem Treffen in Brüssel um Nominierungen bitten und sich voraussichtlich bis Ende Februar auf einen oder mehrere Kandidaten einigen. Die Kandidaten müssen sich dann im Europäischen Parlament einer Anhörung und einer unverbindlichen Abstimmung stellen, bevor die EU-Staats- und Regierungschefs die Ernennung bestätigen.

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