Kristoffer Cornils

Freier Journalist und Redakteur, Berlin

10 Abos und 3 Abonnenten
Artikel

"Archiv (und) Zukunft: Autorität über und Überleben in der Kunst" (in: Sabrina Zeltner - Showreel, VERYDEEPRECORDS)

Jede Kunstform hat ihr Medium und jedes Medium vermittelt zwischen Leben und Tod – es garantiert das Überleben der Kunst nach dem Ableben der Künstler*innen und verbindet die Werke über ihren Tod hinaus mit ihnen. Als etwa Ovid vor gut zwei Jahrtausenden Mythen in einem Text manifestierte und diesen mit der Vorhersage schloss, sein Name würde fortan „unzerstörbar sein“1 , tat er das nicht aus reiner Arroganz heraus: Die Metamorphosen fixieren mündliche Erzählkunst als Schrift, archivieren sie genauso wie den Namen, mit dem Ovid sie unterschrieben hat. Als Geste war die Bemerkung zwar also eine selbstbewusste Ansage, genauso aber eine ebenso unbewusste Aussage über eine gespenstische Macht, die allen Medien innewohnt.

Ovid schrieb die Metamorphosen in einer Zeit, in der die Figur des Autors2 noch lange nicht auf dieselbe Art abgesichert war, wie das heutzutage der Fall ist. Roland Barthes wies 1967 darauf hin, dass es sich beim Autor um eine „moderne Figur“3 handele. In „archaischen Kulturen“ sei eine Erzählung niemals von einer per Namen identifizierbaren Person gekommen, „sondern von einem Vermittler […], an dem man höchstens die ‚Ausführung‘ (performance) bewundern [konnte], niemals aber das ‚Genie‘“4 – ein als Medium agierender Mensch. Barthes identifiziert das ausgehende Mittelalter und also die cartesianische Wende als Zeitraum des Paradigmenwechsels vom Vermittler hin zum Autor als „Eigentümer“5 der Sprache – von der Performance hin zum Genie, dem Kollektiv zum Individuum.

Das Aufkommen der Figur des Autors fällt dementsprechend mit dem des Kapitalismus zusammen. Sie wurde von ihm mit umso mehr Autorität aufgeladen. Denn Barthes‘ Hoffnung auf den Tod des Autors wurde insofern enttäuscht, als dass das „totale Wesen der Schrift“6 mehr und mehr der Totalität eines Gesetzestextes unterworfen wurde, das einen individuellen Namen über diese vermeintliche Totalität stellt. „Das Urheberrecht erlischt siebzig Jahre nach dem Tode des Urhebers” 7 lautet zum Beispiel der entsprechende Gesetzestext in Deutschland, der aus Ovids poetischer Hoffnung eine bürokratische Garantie machte.

...

English translation by Soliman Lawrence included.
Zum Original