Ein Mädchen kommt in eine verschlafene Kleinstadt im US-amerikanischen Nirgendwo und freundet sich mit ein paar Außenseitern an. Gemeinsam bekämpfen sie das Böse, welches aus einer anderen Welt in die ihre eindringt, aber ebenso als Allegorie auf ihre inneren Zerrüttungen zu verstehen ist. Dass das Mädchen Superkräfte hat, kommt bei allen Schlachten zweifelsfrei gelegen, der Krieg aber lässt sich nur mit ganz anderen Waffen gewinnen: Zusammenhalt, Freundschaft, Liebe. Das ist der grobe Plot von Buffy - Im Bann der Dämonen. Aber natürlich auch der von Stranger Things, der Netflix-Erfolgsserie, der es gelungen ist, jede noch so standardisierte Storyline in sich aufzusaugen und mittels der mehr als großzügigen Verwendung von (Stil-)Zitaten eine eigene Ästhetik zu entwickeln. Die funktioniert gerade deshalb so gut, weil sie das Unheimliche durch derlei Kniffe auf sehr heimelige Art und Weise inszeniert: Das Fremde wird zum Vertrauten, wie es aus Film und Fernsehen bekannt ist.
Stranger Things zu gucken, das ist wie noch einmal Kind zu sein, von den Übeln dieser Welt nichts zu wissen und sich stattdessen durch die Blockbuster des vorigen Jahrzehnts zu zappen. Und dann anderen Kindern dabei zuzuschauen, wie sie die Welt retten. Nicht obwohl, sondern gerade weil sie zu den Underdogs gehören. Trotz all der glitschigen CGI-Monster beschwört die Serie ein Gefühl der allumfassenden Sicherheit herauf. Nur kann das in der Theorie nicht ewig so weitergehen, weil auch die Kinder aus Hawkins heranwachsen und sich traditionellen Teenie-Problemen stellen müssen. Die Dynamiken des Highschool-Lebens, fremdelnde Freunde und beendete Beziehungen hier, Erinnerungen an den einen oder anderen gewalttätigen Tod da: Im ersten Teil der vierten Staffel von Stranger Things wurde eingangs über das abgründigste aller Sujets - das Seelenleben Pubertierender - meditiert. Und die Sache dann aber schnell fallen gelassen, weil die Uhr ein weiteres Mal Weltuntergang schlägt und sich ja irgendwer der Sache annehmen muss.
Doch war das Leitmotiv dieser Folgen eben auch die Wiederkehr des Verdrängten, die küchentischpsychologische Weisheit, dass alle Ängste und Traumata als Gespenster der Vergangenheit eines Tages die Gegenwart heimsuchen. So endete die letzte Episode des am 27. Mai veröffentlichten ersten Teils dieser Staffel auf einem Cliffhanger: Elf (Millie Bobby Brown) war es höchstpersönlich, die Staffelbösewicht Vecna (Jamie Campbell Bower) zunächst erschaffen und dem Städtchen Hawkins damit die Suppe überhaupt erst eingebrockt hat. Knapp einen Monat und ein paar Millionen Streaming-Tantiemen für Kate Bush später kehrte die Serie nun für ein - O-Ton - "episches" Staffelfinale zurück, das eine klassische Dramenstruktur durchlief: eine Folge Handlung als Vorbereitung aufs Kommende in Spielfilm-, eine Katastrophe in Überüberlänge und mit viel memebaren Momenten.
Kurzum: Es passiert, was immer in den Serien passiert, die Stranger Things zitiert. Vor dem Endkampf söhnen sich noch einmal alle aus und stellen sich dann streng nach Protokoll einer jeden Coming-of-age-Story ihren Ängsten und Traumata, um sie gemeinsam mit den anderen - sowie einigen Molotow-Cocktails und Flammenwerfern, so viel Action muss sein - zu überwinden. Von drei Orten auf dieser Welt versuchen alle mit vereinten Kräften, eben jene zu retten, und tun das dann auch überpünktlich schon dreißig Minuten vor Schluss, weil das Böse aus reiner Boshaftigkeit den klassischen Fehler macht, die Kraft des Zusammenhalts, der Freundschaft und der Liebe zu unterschätzen.Bis auf eine beliebte Nebenfigur - die Zeit der Selbstzitate ist bei Stranger Things ebenfalls schon längst angebrochen - überleben das alle weitgehend unbeschadet. Die Gefahr ist gebannt. Vorerst zumindest. Denn weil die fünfte Staffel schon bestellt wurde, ist auch dieser Bösewicht nur zeitweise verdrängt worden und wird wiederkehren. Für ein noch "epischeres" Finale sicherlich, für das die vierte Staffel der Serie nur als Vorgeplänkel gedient haben kann.
Stranger Things hat als Pastiche-Patchwork die beredte Nichtssagerei perfektioniert, in der die bloße Referenz auf etablierte Tropen zum Selbstzweck und als ultimative Ausrede dafür dient, die grundlegende Handlung etwa einer durchschnittlichen Buffy-Folge (die Gespenster, die wir bekämpfen, sind Spiegelbilder unserer eigenen Probleme!) mit der Bildgewalt eines Marvel-Films zu inszenieren und nebenbei noch dessen tradierte moralische Passepartout-Absolution zu verhängen (eigentlich ist es doch die ambivalente Vaterfigur, die an all dem Schuld trägt!).
Vor allem ist den bisweilen erwartbaren Entwicklungen eingeschrieben, dass die Handlung einer heutigen Serie mittlerweile nicht halb so wichtig ist wie das Gerede drumherum. Denn nach diesen vier Stunden solider Unterhaltung erst bricht die noch unterhaltsamere Zeit der Memes, TikTok-Challenges und Fantheorien über das Kommende an. Auch in der Hinsicht geht Stranger Things weiterhin auf Nummer sicher.