Das wichtigste Gitarrensolo der Siebzigerjahre besteht aus nur zwei Tönen. Wichtig ist es deshalb, weil es den Inhalt des dazugehörigen Songs und damit die Haltung einer ganzen Generation auf den Punkt bringt. Das Stück nämlich heißt Boredom, erschienen ist es auf der Buzzcocks-EP Spiral Scratch im Januar 1977 und damit am Scheitelpunkt der Punk-Revolution. diente gleichermaßen als Manifest und als Kapitulationserklärung der jungen Bewegung: " Now there's nothing behind me/ And I'm already a has-been", singt Howard Devoto darin und fasst in zwei Zeilen zusammen, wovon auch das von ihm mit einem lakonischen " Ba-dum, ba-dum" angekündigte Solo spricht.
Punk, sagte der Musikjournalist Simon Reynolds einmal, habe auf die große Langeweile der Siebzigerjahre mit seinen Stadionrock-Bands eine destruktive und Post-Punk eine konstruktive Antwort gegeben. Hatten Bands wie die Sex Pistols, The Clash oder eben die Buzzcocks in den Jahren 1976 und 1977 noch bewiesen, dass eigentlich alle alles können, fügten ab 1978 sehr viele verschiedene neue Gruppen dem hinzu, dass auch alles anders gemacht werden muss als zuvor - und zwar mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln.
Ein Jahr nach Veröffentlichung von Spiral Scratch sollte Johnny Rotten das letzte Konzert seiner Band Sex Pistols folgerichtig mit den Worten " Ever get the feeling you've been cheated?" beenden und das Kapitel Punk damit gleichermaßen resümieren wie schließen. Spiral Scratch indes hatte die Inspiration für eine neue Generation geliefert, sich daran zu machen, die Punk- Has-Beens von dem zu befreien, was sie eigentlich loswerden wollten: die Strukturen und Manierismen der Rockmusik.
Kein Song verdeutlicht das besser als Rip It Up von der schottischen Band Orange Juice, veröffentlicht im Jahr 1982. " You know this scene is very humdrum/ And my favourite song's entitled 'Boredom'", singt Edwyn Collins darin über ein stotterndes Funk-Riff und den pluckernden Groove eines TB-303-Bass-Synthesizers, bevor das Solo des Buzzcocks-Stücks erneut ertönt, ergänzt und abgeschlossen von einer abschmierenden Note als humoristischem Kommentar. Dann setzt ein Saxofonsolo der Langeweile über so viel Gelangweiltheit etwas Aufregenderes entgegen.
In diesen paar Sekunden wie auch im Titel des Songs äußert sich die ganze Poetologie dessen, was in der Folgezeit als Post-Punk bezeichnet wurde: der Sound von Kindern, die eine Revolution auffressen. Unter dem Begriff wurden der harte Funk von Gang of Four, die krachenden Rhythmen von Joy Division oder das von dröhnenden Gitarren begleitete groteske Storytelling von The Fall subsumiert. Genauso aber lässt er sich auf die Dub-geschwängerten Songs von The Pop Group und The Slits, die ausufernden elektronischen Experimente von Cabaret Voltaire oder This Heat sowie die transgressive Performance-Art-Musik von Throbbing Gristle anwenden.
Songstrukturen zerfaserten oder wurden komplett aufgelöst, Verfremdungseffekte entmystifizierten den Aufnahmeprozess und sowieso: Statt auf der Gitarre die immer gleichen drei Akkorde zu schrammeln, wurde das Instrument von nicht wenigen Gruppen komplett eingemottet oder radikal anders verwendet, zusammen mit neuen Instrumenten, von denen noch niemand wusste, wie man sie überhaupt "richtig" spielen sollte. Der legendäre Radiomoderator John Peel sprach von einem " joyful amateurism". Post-Punk war also weniger Musikgenre als eine musikhistorische Situation, eine Intervention ins Zeitgeschehen, die mit der Vergangenheit abschließen und neue Weichen für die Zukunft stellen sollte. Das Medium der Musik wurde zur eigentlichen Message.
Reynolds hat die Geschichte dieser Periode in einem Buch namens, na klar, Rip It Up and Start Again niedergeschrieben. Veröffentlicht wurde es im Jahr 2005, also zu einer Zeit, als sogenannte The-Bands oder Franz Ferdinand, Arctic Monkeys und Bloc Party den Begriff Post-Punk wieder ins Gespräch brachten. In musikalischer Hinsicht allerdings handelte es sich um kaum mehr als ein Echo längst vergangener Zeiten. Vor allem spielten die meisten dieser Bands gitarrengetriebene Musik, die wie versierter Punk klang und abgesehen von gelegentlichen Synthesizereinsätzen keine musikalischen Experimente wagte: Rockmusik also. Dabei etablierte sich ein bis heute gültiges Paradigma, das Post-Punk ausgehend von seinen rockähnlichsten Vertretern wie Wire, Gang of Four oder The Fall versteht.
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