Punk mit Aunt Sally, Synth Pop mit Sakamoto und experimentelle Musik solo und mit anderen: Die japanische Musikerin Phew sucht seit über vier Jahrzehnten die Fehler in der Musik, weil sich darin nur deren Möglichkeiten offenbaren.
Wo andere nur Musik hören, sieht
Phew Möglichkeiten. Im Jahr 1975 erlebt die damalige Teenagerin die New York Dolls live in Kyōto. "Sie spielten auf zwei Stages, weil der Headliner Jeff Beck in letzter Minute abgesagt hatte", erinnert sie sich heute. "Der Sänger, David Johansen, inhalierte nach jedem Song am Bühnenrand Sauerstoff. Anders als Lou Reed, den ich ein paar Monate zuvor gesehen hatte, oder Marc Bolan und David Bowie, waren diese Jungs keine Rockstars, die von oben herab auf das Publikum herunterschauten." Ein Hauch von Demokratisierung liegt an diesem Abend in der Luft und erreicht auch bald das japanische Fernsehen. Dort werden 1976 erstmals die Sex Pistols gezeigt und begeistern die junge Zuschauerin weniger mit ihrer Musik und vielmehr mit dem, was sie verkörpern: Es sind Menschen ihres Alters, die sich über musikalische und gesellschaftliche Normen hinwegzusetzen scheinen. Im Folgejahr reist sie nach London, um die Band live zu sehen. Punk sei im Jahr 1977 zu Ende gegangen, sagt sie heute. Was sein Aufstieg der Teenagerin damals aber deutlich machte: Was die können, das kann sie schon lange. Punk ist nicht etwas, das konsumiert, sondern gelebt werden soll. In welcher Musikform auch immer.
Nur wenig später also gründet Phew mit vier anderen jungen Frauen die Band Aunt Sally. Die Band erspielt sich schnell einen Ruf in der damals noch jungen Punk- und New-Wave-Szene des Landes und veröffentlicht 1979 ihr selbstbetiteltes Debütalbum, das auf dem damals noch sehr jungen Label Vanity Records des Musikjournalisten Agi Yuzuru erscheint. Es sind aufregende Zeiten für die Musikszene des Landes, das zu dieser Zeit im wirtschaftlichen Aufschwung begriffen ist und dessen Premierminister Ōhira Masayoshi stolz ein "neues Zeitalter der Kultur" einläutet. Vor allem in der Region Kansai bildet sich derweil eine lebhafte Independent-Szene: In Kyōto entwickelt sich rund um den kissa Drugstore das Phänomen noizu, in Phews Heimat Ōsaka bildet sich eine Punkszene aus. Die Einflüsse kommen aus Großbritannien, vor allem aber aus den USA, von Art-Rock über Punk und Post-Punk bis hin zu No Wave. "Aunt Sally" war die erste Independent-LP aus dieser Zeit und zog auch Mainstream-Aufmerksamkeit, jedoch genauso feindselige Kommentare aus der Presse auf sich. Die Band aber zerbrach so schnell, wie sie sich einen Namen gemacht hatte, im Herbst 1979. Eins allerdings hatte sich erfolgreich erwiesen: Dass es möglich war, auf unkonventionelle Art und Weise Musik zu machen und sich damit Gehör zu verschaffen.
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