Riot Grrrls warfen mit Tampons von der Bühne, die ravende Gesellschaft ließ ihrem Hedonismus freien Lauf und Grunge suhlte sich in weltschmerzigem Revolutionspathos: Die Neunziger waren ein Jahrzehnt, in dem alles nach außen gekehrt wurde. Nur einer wandte sich nach innen. Steven Paul "Elliott" Smith durchlebt eine traumatische Kindheit in Texas und lässt sich deswegen den Umriss des Staats auf den Arm tätowieren, zieht als Teenager nach Portland und gründet die Bands Swimming Jesus und Heatmiser, bevor er seinen Job in einer Bäckerei verliert und im Haus seiner Freundin mit nur einer Akustikgitarre Songs schreibt, mit welchen er die eigenen Untiefen erkundet. Die Musik der 1996 aufgelösten Heatmiser, sagte er in einem Interview, sei ihm zu laut gewesen, zu undynamisch, plump. Als er im Jahr 1994 sein Debüt "Roman Candle" veröffentlicht, erwartet er entsprechend, damit auf taube Ohren zu stoßen: So wütend der Titelsong auch ist ( "I'm a Roman candle / My head is full of flames"), sind die acht Songs doch leise, melancholisch, zurückhaltend. Unzeitgemäß.
Doch es kommt anders und nur vier Jahre später spielt ein derangierter Smith den größten und mit Sicherheit bizarrsten Gig seines Lebens. In einem weißen, schlecht sitzenden Anzug, einer String-Begleitung aus dem Off und nach unten gewandten Augen spielt er den Song "Miss Misery" während der Oscar-Verleihung im Jahr 1998 vor einem verdatterten Publikum. Der zu dieser Zeit schwer heroin- und alkoholabhängige Sänger wirkt deplatziert, nicht nur auf der Bühne - sondern auch in diesem Jahrzehnt des "irrationalen Überschwangs" überhaupt, wie der Ökonom Alan Greenspan die 1990er Jahre einst bezeichnete. Selbst im Vergleich zu den meisten anderen Songwriter*innen seiner Zeit wirkt Smiths Musik anders und fremdartig, einerseits wegen ihrer privatistischen Lyrics, andererseits ihres Sounds wegen. Oder vielmehr der Tatsache wegen, dass Sound in seinen Songs überhaupt eine tragende Rolle einnimmt. Seine Gitarre ist einen ganzen Ton tiefer als üblich gestimmt, im Studio verdoppelt er seine Stimme auf eine Art, die den individuellen Selbstausdruck in sich selbst auflöst. Smiths Gesang klingt, als würde die zweifelnde Stimme im Hinterkopf, die Angst und die Abhängigkeit mit ihm selbst harmonieren, um ihn zu übertönen.