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„Den Körper ins Gleichgewicht bringen": Für wen Heilfasten gesund ist - und für wen nicht

Quelle: Christin Klose/dpa-tmn

Berlin. Für einen bestimmten Zeitraum auf Schokolade, Fleisch oder Rotwein zu verzichten können sich viele Menschen vorstellen. Oft wird die christliche Fastenzeit, die in diesem Jahr am 2. März beginnt, als Anlass genommen, sich eine Zeit lang gesünder zu ernähren. Aber gleich mehrere Tage gar nichts essen? Das wünschen sich wahrscheinlich die wenigsten. Auf unseren Körper hat genau das aber eine Menge positiver Effekte. Ums Abnehmen geht es dabei weniger, erklärt Prof. Andreas Michalsen. Er ist Chefarzt der Naturheilkunde am Berliner Immanuel Krankenhaus und Autor des Buchs „Mit Ernährung heilen". Im Interview erklärt der Mediziner, was beim Fasten im Körper passiert und warum der freiwillige Verzicht auf Essen das Leben verlängern kann.


Herr Michalsen, warum ist Fasten gesund?


Fasten ist so etwas wie ein biologisches Ausgleichsmoment zu dem Lebensstil, den wir heute führen und der nicht zu unserem genetischen Programm passt. Über den größten Zeitraum der Menschheitsgeschichte war Nahrung ein knappes Gut und es war normal, dass es manchmal über einen längeren Zeitraum nichts zu essen gab. Damit kommt unser Körper sehr gut zurecht.

Heute ist es so, dass wir zu viel und zu oft essen und uns zu wenig bewegen. Das führt zu erhöhten Werten bei bestimmten Hormonen und Botenstoffen im Körper, die mit der Stoffwechselverarbeitung zu tun haben. Diese können gesundheitliche Probleme hervorrufen, beispielsweise Gefäßverkalkungen, Entzündungen oder auch Diabetes. Durch Fasten können wir diese Übersteuerungen wieder in die Balance bringen, darin liegt eine der wichtigsten gesundheitsfördernden Wirkungen

Was genau passiert im Körper, wenn wir mehrere Tage lang nichts essen?


Wenn man über einen Zeitraum von einigen Tagen nur sehr wenige Nährstoffe zu sich nimmt, kommt es im Körper zu einer Stoffwechselumstellung - wir nennen das den „metabolischen Switch". Anstatt die Energie zu verbrauchen, die über die Nahrung aufgenommen wird, beginnt der Körper dann, die eigenen Reserven anzuzapfen. Dabei kommt es zu einem Prozess, der Autophagie heißt - er spielt sich in unseren Zellen ab und ist neben dem Ausgleich von Übersteuerungen der zweite wichtige Punkt, der das Fasten so gesund macht: Wenn eine Zelle nicht mehr mit der Verdauung beschäftigt ist, kann sie sich Reparaturprozessen widmen und beginnt alte Zellbestandteile und funktionsuntüchtige Proteine über abbauende Enzyme zu recyceln. Dadurch wird die Zelle gereinigt und Energie freigesetzt. Alte oder fehlerhafte Bestandteile der Zellen, etwa falsch gefaltete Proteine und beschädigte Aminosäuren werden dabei beseitigt. Die Autophagie wirkt also auf Zellebene wie eine Art Verjüngungskur.


Bekommt man beim Fasten wirklich tagelang überhaupt nichts zu essen?


Nein, aber sehr wenig. In der Regel werden pro Tag etwa 200 bis 400 Kilokalorien gegeben, manchmal auch bis zu 750 Kilokalorien. Was man während des Fastens zu sich nimmt, hängt von der Methode ab. Zwei der traditionellsten Formen sind das Heilfasten nach Buchinger oder Mayr. Bei der ersten wird nur flüssige Nahrung in Form von Brühe oder Säften gereicht, bei der zweiten gibt es noch etwas Brot dazu. Welche Fastenmethode man wählt, ist eigentlich unerheblich, die positiven Effekte haben alle Methoden.


Wie kommt man mit dem Hungergefühl klar?


An den ersten ein bis zwei Tagen kann das manchmal ein kleiner Kampf sein. Aber das eigentlich Spannende ist, dass die allermeisten Fastenden überhaupt keinen Hunger mehr haben, sobald der metabolische Switch vollzogen ist. Es ist wirklich erstaunlich, wie effektiv sich das Hungergefühl abstellt. An die Stelle des Hungers tritt dann meist ein großes Wohlbefinden. Ab dem zweiten oder dritten Tag fühlen sich die allermeisten sehr gut, frei und autonom. Diese mentalen Folgen vermuten wir auch als Grund dafür, dass Fasten in eigentlich allen Kulturen der Welt vorkommt: sei es in der griechischen oder chinesischen Medizin, im indischen Ayurveda, in der christlichen Fastenzeit oder beim Intervallfasten im muslimischen Ramadan oder im Judentum.

Auch deshalb rate ich zum Fasten: Es ist einfach eine tolle Erfahrung. Es macht eine gute Stimmung, man wird kreativ und bekommt ein tolles Lebensgefühl. Mal abgesehen von Drogen - die aber den Körper schädigen - gibt es nicht viel, was einen in so einen Zustand versetzen kann.


Abschreckend auf manche Interessierte wirkt vielleicht die Darmreinigung mit Einläufen, die auch zu einer klassischen Fastenkur gehört. Wozu dient sie?


Die Darmreinigung ist eine Art Booster für die Stoffwechselumstellung und soll den metabolischen Switch befördern. Wenn man keine neue Nahrung mehr zu sich nimmt, hält der Körper Verdauungsreste manchmal länger im Darm fest. Dadurch kann dann möglicherweise ein stärkeres Hungergefühl entstehen. Die meisten Fastenden berichten, dass die Umstellung mit der Darmreinigung schneller gelingt. Um die positiven Effekte des Fastens zu erreichen, ist sie aber nicht zwingend erforderlich.


Wie lange und wie oft sollte man mindestens fasten?


Wer die Effekte des Fastens optimal nutzen möchte, kann zwei- bis fünfmal im Jahr eine Fastenperiode einlegen. Auch einmal im Jahr zu fasten ist besser als nichts, aber wahrscheinlich ist es nicht ganz ausreichend, um die Gesundheit wirklich nachhaltig zu verbessern. Auch beim Zeitraum gibt es keine absolute Einigkeit, typisch ist ungefähr eine Woche. Wie lange man fasten kann, hängt aber auch von den eigenen Fettreserven ab. Sehr schlanke Menschen kommen nach fünf bis sieben Tagen an ihre Grenzen. Stark Übergewichtige können ohne Probleme zwei bis drei Wochen fasten.

Wer gesund ist, kann übrigens ganz selbständig fasten, vielleicht mit einem Buch oder einer App als Ratgeber. Nur wer Erkrankungen hat und zum Beispiel Medikamente nimmt, sollte nur unter ärztlicher Aufsicht fasten. Das geht auch ambulant, aber man sollte auf jeden Fall mit seinem behandelnden Arzt darüber sprechen.


In welchen Fällen raten Sie davon ab zu fasten?


Es ist wichtig zu verstehen, dass Fasten nicht in erster Linie dem Abnehmen dient, sondern dazu, die Gesundheit zu fördern. Bei Menschen, die sehr zum Optimieren neigen, schon sehr schlank sind und ständig Kalorien zählen, muss man vorsichtig sein. Und wer schon mal eine Essstörung gehabt hat, sollte gleich gar nicht fasten. Außerdem ist Fasten überall dort, wo Wachstum im Spiel ist, nicht empfohlen: Das gilt also für Kinder, Jugendliche, Schwangere und Stillende. Und wer an Gallensteinen oder Gicht leidet, sollte ebenfalls darauf verzichten oder nur unter ärztlicher Aufsicht fasten.


Warum sollten auch gesunde Leute fasten?


Fasten ist auch eine präventive Maßnahme, um Krankheiten vorzubeugen und länger und gesünder zu leben. Dazu kommt, dass die meisten Menschen, die einmal gefastet haben, sich danach gesünder ernähren. Auch der Geschmacksinn verändert sich. Man schmeckt und riecht dann plötzlich viel mehr und bemerkt, dass viele Nahrungsmittel viel zu süß, zu fettig oder zu salzig sind.

Nach dem Fasten fühlen sich mehr Menschen befähigt, ihre Ernährung zu ändern. Denn wer es einmal geschafft hat, mehrere Tage lang nichts zu essen, der traut sich auch langfristige Veränderungen zu. Dass es für unseren Körper nicht günstig ist, regelmäßig zu viel zu essen, ist wissenschaftlich evident. Es verdichten sich auch die Forschungsergebnisse, dass die Ernährung unter unseren modernen Lebensstilbedingungen wahrscheinlich der schwerwiegendste Risikofaktor für die Gesundheit ist. Bei den meisten chronischen Erkrankungen - etwa Diabetes, Bluthochdruck, Demenz oder vielen Entzündungen - spielt die Ernährung eine Rolle. Im Schnitt kann man wahrscheinlich zehn Lebensjahre gewinnen, wenn man sich richtig und weniger ernährt.

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