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Reine Luft oder reines Gewissen: Wie sinnvoll ist die CO₂-Kompensation von Flugreisen?

Bei Flugreisen wird nicht nur CO₂, sondern es werden auch Stickoxid, Feinstaub und andere klimaschädliche Stoffe ausgestoßen. Auch deshalb kann der Schaden eines Fluges nicht vollständig ausgeglichen werden. © Quelle: imago images/Eibner

Wuppertal/Hamburg. Einmal Polarlichter mit den eigenen Augen sehen, an weißen Stränden spazieren oder die Stille in der Wüste erleben - Reisen gehören für viele Menschen zu einem erfüllten Leben dazu. 87 Prozent der Deutschen sind laut einer Umfrage des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) von 2018 schon einmal geflogen. Bis zum Beginn der Corona-Pandemie hat die Zahl der Flugpassagiere in Deutschland kontinuierlich zugenommen: Von rund 135 Millionen Fluggästen im Jahr 2004 auf über 227 Millionen Passagiere 2019. Das Bedürfnis zu verreisen dürfte auch nach Ende der Corona-Pandemie riesig sein.


Nutzt CO₂-Kompensation dem Klima oder nur dem Gewissen?

Doch Fliegen verursacht erhebliche Klimaschäden. Denn Flugzeuge werden mit fossilem Kerosin betrieben, bei der Verbrennung entstehen CO₂ und weitere Treibhausgase, die zur Erderwärmung beitragen. Da es vielen Menschen deshalb kaum noch vertretbar erscheint, Tausende Kilometer weit in den Urlaub zu fliegen, hat sich der Begriff der „Flugscham" etabliert. Trotzdem: Laut BDL steigen 82 Prozent der Fluggäste hauptsächlich für private Zwecke ins Flugzeug. Überhaupt nicht mehr fliegen zu können ist wahrscheinlich für die meisten Deutschen eine eher traurige Vorstellung. Um dieses Szenario zu vermeiden, entscheiden sich immer mehr klimabewusste Reisende, den CO₂-Ausstoß ihrer Flugreise mit einer Spende an eine Klimaschutzorganisation freiwillig zu kompensieren. Wie genau das System funktioniert, ist auf den ersten Blick aber schwer nachzuvollziehen. Wie sinnvoll ist die CO₂-Kompensation wirklich - oder nutzt sie am Ende nur dem eigenen Gewissen?


Wie funktioniert die Kompensation?

Das Kompensationsmodell fußt auf der Idee, dass CO₂, das an einer Stelle - etwa bei einer Flugreise - ausgestoßen wurde, an anderer Stelle wieder eingespart wird. Es geht also nicht darum, CO₂ aus der Atmosphäre zu entziehen, sondern zu verhindern, dass es überhaupt erst ausgestoßen wird. Mit dem Geld, dass Reisende für die CO₂-Kompensation bezahlen, werden Klimaprojekte unterstützt. Diese investieren etwa in erneuerbare Energien, engagieren sich in der Industrie für die Reduktion klimaschädlicher Gase oder sorgen für mehr Klimaschutz in der Land- und Forstwirtschaft oder den Erhalt von Mooren. Oft stecken dahinter ausgeklügelte Konzepte. Eines der bekanntesten Projekte zur CO₂-Kompensation versorgt etwa Menschen in ärmeren Ländern mit effizienten Kochöfen, die Brennmaterial sparen und dadurch Abholzung verringern. Das Bundesumweltamt stellt in einem Ratgeber unterschiedliche Projekte vor.


Kompensation für einen Mallorca-Urlaub kostet 22 Euro

Um den CO₂-Ausstoß einer Flugreise zu kompensieren, muss zunächst die Menge berechnet werden, die die Reise verursacht hat. Im Netz gibt es dafür zahlreiche Rechner. Die Stiftung Warentest hat sie im Jahr 2018 getestet und empfiehlt die Rechner der Organisationen atmosfair, Klima-Kollekte und Primaklima. Bei der Berechnung wird angezeigt, wie viel CO₂ die Flugreise verursacht hat und was es kostet, diesen Ausstoß über ein zertifiziertes Klimaschutzprojekt auszugleichen. Atmosfair berechnet pro ausgestoßener Tonne CO₂ 23 Euro. Ein Beispiel: Ein Hin- und Rückflug von Berlin nach Mallorca verursacht demzufolge 942 kg CO₂, der Ausgleich kostet 22 Euro.


Die Kosten für die Kompensation einer Flugreise sind also durchaus erschwinglich. Doch bedeutet das auch, man kann so oft man will in den Flieger steigen, ohne das Klima zu schädigen, solange man nur seine Reisen kompensiert? Die Antwort ist eindeutig: nein. Denn beim Modell der freiwilligen CO₂-Kompensation gibt es mehrere Probleme: „Das durch das Verbrennen von Kraftstoff freigesetzte CO₂ macht nur ungefähr ein Drittel der Klimaschäden aus, die durch Fliegen verursacht werden", sagt Benjamin Stephan, Mobilitätsexperte bei Greenpeace. Dass beim Fliegen weitere Stoffe wie Stickoxid, Feinstaub und Wasserdampf in großen Höhen freigesetzt werden, habe deutlich schwerwiegendere Klimaeffekte als der reine CO₂-Ausstoß. Die Organisation atmosfair berücksichtigt diese Effekte zwar in ihrer Berechnung. Dennoch zeige sich hier deutlich, dass der durch Fliegen verursachte Klimaschaden nicht einfach ausgeglichen werden kann, betont Stephan.


Luftfahrt ohne fossile Kraftstoffe noch in weiter Ferne

Ein weiteres Problem sieht der Greenpeace-Experte darin, dass die Luftfahrt in absehbarer Zeit nicht ohne fossile Kraftstoffe auskommen wird. „Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müssen wir laut Klimaforschung so schnell wie möglich weg von fossilen Kraftstoffen und gleichzeitig natürliche CO₂-Senken wie Wälder und Moore besser schützen", sagt Stephan. Das Konzept der CO₂-Kompensation verknüpfe dagegen beide Faktoren: Man nutze zwar weiter fossile Brennstoffe, unterstütze als Ausgleich aber beispielsweise den Schutz von Mooren, die CO₂ binden. So gesehen sei CO₂-Kompensation nicht mit den Klimazielen vereinbar. Zwar werde im Luftverkehr auch mittel- und langfristig Kerosin gebraucht. Dieses müsse künftig aber nicht mehr fossil, sondern synthetisch auf Basis erneuerbaren Stroms erzeugt werden, erklärt Stephan. „Die Luftfahrtindustrie geht in diesem Bereich aber nicht wirklich voran und setzt deshalb viel länger auf fossiles Kerosin, als der Blick auf unser CO₂-Budget erlaubt", sagt der Experte.


Hinzu kommt, dass die Berechnung der CO₂-Einsparungen, die durch das gespendete Geld tatsächlich erfolgt, ein gewisses Fehlerpotenzial birgt. „Die Klimaschutzwirkung wird ermittelt, indem die gemessenen Projektemissionen einem hypothetischen Referenzfall gegenübergestellt werden", sagt Nicolas Kreibich, der am Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie zu internationaler Klimapolitik forscht. Es werde also berechnet, wieviel CO₂ emittiert worden wäre, wenn das Klimaschutzprojekt nicht durchgeführt würde. „Das System ist zwar ausgeklügelt, aber nicht vollständig fehlerfrei", sagt der Experte.


Waldschutzprojekte kaum geeignet für CO₂-Kompensation

Insbesondere die Bedingung der Zusätzlichkeit eines Projektes zur CO₂-Einsparung sei manchmal schwierig sicherzustellen. Demnach muss ein Projekt nachweisen, dass es ohne die Finanzierung durch CO₂-Zertifikate nicht realisiert worden wäre. „Die Zusätzlichkeit nachzuweisen ist ein zentrales Problem in der Berechnung", sagt Kreibich. So sei etwa der Ausbau erneuerbarer Energien auch wirtschaftlich sinnvoll. Ob beispielsweise ein Windpark nicht ohnehin gebaut worden wäre, sei nur schwer nachzuvollziehen. „Von Zertifikaten aus großen Infrastrukturprojekten würde ich deshalb eher abraten", sagt Kreibich.

Dasselbe gelte für viele Waldschutz- und Aufforstungsprojekte, obwohl diese durch ihre Symbolwirkung oft beliebt seien, erklärt Stephan. Auch hier sei oft schwierig nachzuweisen, dass ein Waldstück ohne ein Klimaschutzprojekt tatsächlich abgeholzt worden wäre. Atmosfair verweist zudem darauf, dass ein Wald mindestens 50 bis 100 Jahre bestehen muss, um eine nennenswerte Klimawirkung zu erreichen. Unter anderem weil diese Permanenz nicht zugesichert werden kann, bietet die Organisation keine Waldschutzprojekte zur CO₂-Kompensation an.


Ist CO₂-Kompensation von Flugreisen also ein zumindest teilweise nützliches Mittel für mehr Klimaschutz? „Offensichtlich ist, dass man besser nicht fliegt", sagt Kreibich. Zwar könne man in der Diskussion um Nachhaltigkeit nicht die ganze Verpflichtung für Klimaschutz auf Individuen übertragen. „Die Politik darf nicht aus der Verantwortung entlassen werden, sie muss die Rahmenbedingungen für Klimaschutz schaffen", betont der Experte für CO₂-Kompensation. Trotzdem sei Fliegen ein Sonderfall, da Konsumentinnen und Konsumenten hier mit ihrem Verhalten relativ großen Einfluss nehmen könnten. Beim Fliegen werde mit einer einzelnen Aktion sehr viel CO₂ ausgeschüttet. „Man kann sich in den meisten Fällen relativ einfach dafür oder dagegen entscheiden", sagt Kreibich.


Bei CO₂-Kompensation auf transparente Anbieter achten

Der Wissenschaftler beobachtet in den letzten Jahren ein Umdenken beim Thema Flugreisen. „Es gibt keinen Grund, innerhalb Deutschlands zu fliegen - und auch bei Reisen in Europa ist es oft möglich, auf andere Verkehrsmittel umzusteigen", sagt Kreibich. Bei Geschäftsreisen werde inzwischen viel stärker hinterfragt, ob es tatsächlich nötig sei, physisch anwesend zu sein. „Wenn man doch fliegt, dann ist eine Kompensation besser, als nichts zu tun", sagt Kreibich. „Dann sollte man auf die richtigen Anbieter setzen und Zertifikate aus hochwertigen Projekten wählen." Wichtig sei auch, dass Unternehmen in der Kommunikation von Maßnahmen zur CO₂-Kompensation transparent vorgehen und Greenwashing vermeiden. „Auch mit einem Flug, der als klimaneutral vermarktet wird, unterstützt man eine nicht nachhaltige Verkehrsinfrastruktur - es bleibt ein schmutziger Flug", betont Kreibich.


Es sei nichts dagegen zu einzuwenden, Geld an Klimaschutzprojekte zu spenden, betont Greenpeace-Experte Benjamin Stephan. „Aber Unternehmen dürfen nicht vorgeben, dass damit ein Klimaschaden wiedergutgemacht wird und sich sonst nichts ändern muss - damit werden die Leute verschaukelt."


Ganz aufs Fliegen verzichten müsse man aber auch in Zukunft nicht. „Natürlich kann weiter geflogen werden, aber in sinnvollem Rahmen und mit strombasiertem Kerosin", so der Greenpeace-Experte. Trotzdem steht für Stephan fest, dass sich die Gesellschaft verändern muss. Laut einer aktuellen Studie des New Climate Institute und des Beratungsunternehmens Climact im Auftrag von Greenpeace müsse der EU-weite Flugverkehr selbst für den Fall einer kompletten Umstellung auf klimafreundliche Kraftstoffe noch um ein Drittel reduziert werden, um mit den Klimazielen vereinbar zu sein. In erster Linie seien die Regierungen in der Pflicht, etwa beim Abbau klimaschädlicher Subventionen, der Einführung einer Kerosinsteuer und dem Bau von mehr Zugverbindungen. „Aber wir haben auch eine persönliche Verantwortung dabei, wie oft und aus welchen Gründen wir fliegen", sagt Stephan.

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