Eine Facebook-Seite haben inzwischen die meisten Kultureinrichtungen, eine langfristige digitale Strategie aber nur wenige. Das Städel Museum in Frankfurt investiert seit vielen Jahren in Social Media und Projekte wie eine digitale Sammlung oder das Digitorial - ein multimediales Erzählformat, für das das Haus mit dem Grimme Online-Award ausgezeichnet wurde. Wir sprachen mit Silke Janßen, Teil des digitalen Thinktank des Museums, darüber, wie theoretische Diskussionen über digitale und museale Deutungshoheiten auf Basis von managerialer Konzeption und Erfahrung in neuem Licht erscheinen.
Silke Janßen: Wir haben schon die Nominierung als große Ehre und als
wichtige Wahrnehmung unserer Arbeit auf dem Gebiet der digitalen
Vermittlung von Kunst weit über die Museumsbranche hinaus empfunden.
Damit, dass wir tatsächlich gewinnen würden, haben wir als
Kulturanbieter mit Blick auf die vielen mitnominierten großen
Medienhäuser nicht gerechnet. Dass wir am Ende dennoch ausgezeichnet
wurden, ist ein wunderbares Signal, für uns und viele Kollegen. Es
zeigt, was ein Museum heute mit digitalen Mitteln erreichen kann. Der
Award hat vor allem in Fachkreisen große Aufmerksamkeit erzeugt. Die
Nutzerzahlen des Digitorials waren aber auch unabhängig von dieser
Auszeichnung schon sehr hoch. Der Zweck, es zur Vorbereitung eines
Besuches zu nutzen, hatte sich schon mit dem Start des ersten
Digitorials zur Monet-Ausstellung, also
vor dem Grimme Online-Award, vollends erfüllt.
KMN: Was war das Ziel, das sie sich für Ihre Online-Projekte gesetzt
haben? Wie definiert und quantifiziert das Städel hier Erfolg?
SJ: Wir haben an unsere digitalen Angebote ebenso wie an alle vor Ort
stattfindenden Vermittlungsformate einen hohen Anspruch. Sie sollen
unterschiedliche Zielgruppen erreichen und an ihrem jeweiligen
Kenntnisstand abholen. Das Digitorial ist dabei der Baustein unserer
digitalen Erweiterung, der hilft, dass der Besucher sich vorab relativ
kompakt und ansprechend über eine Ausstellung informieren kann. Außerdem
haben wir es mit der Planung eines Besuchs und dem Ticketkauf verknüpft
– ganz einfach, ohne App oder besonderen Zugang, sondern schlicht als
auf allen Geräten zugänglicher Link. Seit Anfang des Jahres haben wir im
Museum auch kostenloses Wlan, sodass die Besucher eventuelle Wartezeit
überbrücken können, indem sie sich mit dem Digitorial beschäftigen. Für
uns ist das Credo: Mit mehr Hintergrundwissen auch mehr sehen und
genießen können. Unseren Erfolg messen wir also weniger in Zahlen, als
darin, unseren Bildungsauftrag im digitalen Zeitalter bestmöglich
auszufüllen und weiterzutragen. Als Deutschlands älteste Museumsstiftung
ist das für uns essentiell. Unsere digitalen Angebote sollten darum
auch nicht als Marketinginstrumente verstanden werden. Vor Ort wie mit
den Möglichkeiten der digitalen Revolution, die inzwischen alle
Lebensbereiche umfasst und jeden betrifft, versuchen wir, die Menschen
für Kunst zu begeistern, in Dialog zu treten und eine größere Reichweite
erzielen. Max Hollein, der Direktor des Hauses, definierte das Museum
von Anfang an weniger als einen Ort, sondern vielmehr als eine Aufgabe,
die sich im Internet ganz neu umsetzen und skalieren lässt.
KMN: Inwieweit ist der Erfolg des Städel an seine Eigenarten
gebunden, also die Organisationsform als Stiftungsmuseum, den Ort
Frankfurt oder die Führungspersönlichkeit Hollein?
SJ: Die digitale Erweiterung war eine grundsätzliche und frühzeitige Entscheidung im Haus. Sie ging von Max Holleins Anspruch aus, sich den neuen Herausforderungen frühzeitig zu stellen und nicht nur zu reagieren. Seit 2009 sind wir auf Facebook präsent und produzieren Ausstellungsfilme für unseren Youtube-Kanal, seit 2011 haben wir ein eigenes Blog. Das ist eine langfristige Investition, die mit strukturellen Veränderungen einhergeht und nicht erst als Geschenk für unsere Besucher zum 200-jährigen Jubiläum dieses Jahr entwickelt wurde. Der Aufwand, der von den Mitarbeitern für die verschiedenen digitalen Projekte getragen und umgesetzt wird, wurde von vornherein ganz klar als verbindliche Konzentration auf diesen Prozess definiert. Damit wir das auch in Zukunft fortführen können, wurden Fördergelder eingeworben, neue Mitarbeiter ein- und langfristig Mittel abgestellt.
Ich glaube nicht, dass Frankfurt dabei ein besonderer Standortvorteil
ist. Allerdings ist das Städel Museum seit Beginn an als private
Bürgerstiftung ein historisch gewachsener Teil der Stadt, mit dem sich
viele Bürger identifizieren und für den sie sich engagieren. Zusätzlich
erlaubt uns die Organisationsform als bürgerliche Stiftung auch ein
unabhängiges und zügiges arbeiten. Weil wir nicht staatlich getragen
werden, ist es trotzdem eine der großen Aufgaben, Gelder zu akquirieren.
Da ist das Städel eines der führenden Häuser in Deutschland, denn wir
werben rund 85% unserer Mittel selbst ein. Das kennzeichnet die
Arbeitsweise dieses Hauses und auch deswegen ist es uns wichtig,
verschiedenste Leute einzubinden und auf uns aufmerksam zu machen.
KMN: Was würden Sie sagen braucht es also, um solche umfangreichen
digitalen Experimente zu wagen, Unterstützung zu finden und
Investitionen in die Digitalisierung tätigen zu können?
SJ: Wir haben mit relativ viel zeitlichem Vorlauf schon vor ungefähr zwei Jahren begonnen, die Projekte zur digitalen Erweiterung für das Jubiläum zu planen. Damals haben wir uns die Frage gestellt, wie wir es schaffen, dass die verschiedenen Abteilungen und Mitarbeiter des Museums mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen die digitalen Projekte gemeinsam entwickeln. Wir haben uns dezidiert gegen eine eigene Digitalabteilung entschieden, sondern für jedes Projekt Arbeitsgruppen gegründet, die interdisziplinär mit Kollegen aus Bildung und Vermittlung, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Marketing usw. zusammengesetzt sind. Außerdem waren die wissenschaftlichen Abteilungen stets eingebunden. Das war ein sehr guter und wichtiger Change-Management-Prozess, der zwar top-down aufkam, aber bei dem in allen Abteilungen das Denken in digitalen Möglichkeiten und Aufgaben verankert wurde.
Als langfristige Investition versuchen wir, möglichst viele
Kompetenzen im Haus zu bündeln. Durch die interne Abstimmung ist es
wichtig, dass die inhaltliche Arbeit und die Konzeption vor Ort bleiben,
um den Qualitätsstandard zu erreichen, den wir uns selbst setzen. Aber
Angebote wie das Digitorial oder die digitale Sammlung sind sehr
aufwendig in der Umsetzung, weshalb wir hier wir mit Partnern
zusammenarbeiten, die die notwendige Erfahrung mitbringen und uns darauf
hinweisen, was man aus technischer oder Nutzersicht beachten muss. Die
Idee für das Digitorial ist beispielsweise letztes Jahr gemeinsam mit
den Kollegen der Schirn Kunsthalle entstanden. Eine Agentur hat dann für
die zugehörigen Häuser ein Baukastenprinzip mit Modulen entwickelt. So
können wir dank der Standardisierung die Kosten verteilen und die
Digitorials zugleich individuell anpassen.
KMN: Sind der Aspekt der Umwegrentabilität und der Investition in
die digitale Strategie auch ein Argument gegenüber externen
Stakeholdern?
SJ: Die digitale Erweiterung ist auch eine Erweiterung unseres
Bildungsauftrags, eine weltweite und kostenlose Form der Zugänglichkeit
zu unseren Inhalten. Wir möchten das Bildungsangebot im kulturellen
Bereich nicht nur kommerziellen Anbietern überlassen, sondern auch
gemeinnützigen, wie wir einer sind. In diesem Reigen wollen wir eine
aktive Rolle spielen und unser Wissen bestmöglich vertreten. Das
überzeugt auch Förderer, die wir ins Boot holen möchten.
KMN: Wie messen Sie die Reaktionen der (digitalen) Besucher des
Städel auf diese Strategie? Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus
für Controlling und Qualitätsmanagement?
SJ: Quantitativ messen wir Zugriffszahlen und Downloads und schauen genau auf verschiedene Nutzungsvarianten. Beim Digitorial haben sich beispielsweise innerhalb eines Jahres die Zugriffe sehr stark hin zur mobilen Nutzung verlagert. So sehen wir, wie wir die Angebote und die Kommunikation verbessern und auf die Gewohnheiten unserer User künftig weiter ausrichten können. Viele Besucher nutzen zum Beispiel im Nachgang unsere digitale Sammlung, um sich weiter zu informieren oder Themen zu vertiefen. In diesem Jahr erleben wir stark gestiegene Online-Zugriffszahlen, die auch mit unseren Besucherzahlen korrespondieren. Wir hatten schon ungefähr zur Jahreshälfte den Besucherrekord aller Vorjahre überschritten. Die Aufmerksamkeit, die wir online erhalten, steht also in einem klaren Verhältnis zu unseren Besucherzahlen vor Ort. Die andere Ebene des Qualitätsmanagements ist natürlich, dass die Produkte selbst überzeugen - von der rein technischen Funktion bis zum Design, das den Zweck des Angebots ebenso erfüllen muss. Das besprechen wir vorab in den AGs und lassen es von den Zielgruppen testen. Auch unsere Partner geben uns immer wieder Feedback, um unsere Angebote anpassen zu können.
KMN: Inwieweit hat sich die Erwartungshaltung der Museumsbesucher verändert - in Hinblick auf Kommunikation, Zugänglichkeit oder etwa fachliche Deutungshoheit?
SJ: Heutzutage informieren sich viele Besucher ganz anders vorab, vor allem über das Internet. Eine gute Website mit Online-Tickets und Veranstaltungskalender, Social-Media-Kanäle oder Angebote wie Apps haben einen sehr hohen Stellenwert. Man wählt anders aus und wird zugleich anders auf Inhalte hingewiesen. Für die Nutzer ist es inzwischen selbstverständlich und deswegen auch für uns unumgänglich, entsprechende Formate anzubieten, aber auch abzuwägen. Mit unseren digitalen Angeboten erhoffen wir uns einen Austausch mit unserer Community zur weiteren Entwicklung oder neuen Funktionen, beispielsweise zum weiteren Ausbau unserer Digitalen Sammlung.
KMN: Ist es auch ein Ziel der digitalen Erweiterung des Städel, die Partizipation von Bürgern stärker ins Digitale zu verlagern?
SJ: Die kuratorische Arbeit findet nach wie vor durch die Kustoden im Haus statt. Auch unsere Ausstellungen kann man sich nicht digital anschauen. Wir verstehen unsere Angebote als Vermittlungsprogramm und Informationsquelle, aber nicht als Ersatz. Auch die Mona Lisa ist seit Langem medial überpräsent und dennoch will jeder das Original gesehen haben. Je umfangreicher die digitale Zugänglichkeit ist, desto größer ist scheinbar auch das Interesse daran, das Original und dessen Aura vor Ort wahrzunehmen. Museen schaffen sich also nicht mit der Digitalisierung selbst ab, sondern verstärken vielmehr ihre Aufgabe.
Am 25. November 2015 wird Silke Janßen die digitalen Angebote des Städel Museums im Treffpunkt Kulturmanagement vorstellen.
Zum Original