Kristin Oswald

Online-Redakteurin, Kultur & Geisteswissenschaften, Erfurt

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Lernen aus der Archäologie - wie NRW Kultur und Bildung "kaputt spart"

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„Kultur ist kein Luxus, sie ist eine Notwendigkeit".Entgegen dem Autor dieser Worte, Gao Xingjian, sieht die Regierung Nordrhein-Westfalens diese Notwendigkeit zumindest für einen Bereich der Kultur, die Denkmalpflege, nicht mehr als gegeben. Die Ausgaben hierfür, die derzeit auf dem niedrigsten Stand seit 30 Jahren sind, sollen bis 2015 komplett gestrichen werden und die nach Gesetz verpflichteten Institutionen für Denkmalschutz, Archäologie und Forschung in NRW - der LWL, der LVR und die Stadt Köln - ihre Kosten selbst decken. Dies sieht ein neuer Beschluss vor, um den Haushalt des Landes künftig zu entlasten. Der Anteil der Kultur an diesem ist mit 0,03% jetzt schon geringer als in den meisten anderen Bundesländern - kaum genug, um die Bewahrung der Vergangenheit als notwendigen Teil des Kulturgutes vollständig finanzierbar zu machen und noch weniger, um davon den Haushalt eines Bundeslandes zu retten. Eine gänzliche Streichung gab es in Deutschland bisher noch nie - eine "kulturpolitische Bankrotterklärung", wie auch Kulturstaatsminister Neumann am Sonntag erklärte.

Bildung, Kultur, Vergangenheit

Archäologie und Denkmalpflege gehören zum Bildungsgut und sind gesetzlich festgelegt (§1 Denkmalschutzgesetz): "Denkmäler sind zu schützen, zu pflegen, sinnvoll zu nutzen und wissenschaftlich zu erforschen. Sie sollen der Öffentlichkeit im Rahmen des Zumutbaren zugänglich gemacht werden.". In den letzten 30 Jahren lagen die Landeszuschüsse aus diesem Grund bei ca. 50%, bereits für 2013 wurden sie stark gekürzt, 2015 soll eine Nullrunde folgen. Das Land NRW ist nicht mehr sehr stolz auf sein kulturelles Erbe, wie es scheint. Der Kölner und der Aachener Dom, die Hinterlassenschaften der Römer in Köln, Haltern oder Xanten, die Kaiserpfalzen der Karolinger, Funde von Neandertalern, das jüdische Kulturerbe oder die Denkmäler der Industrialisierung hingegen sprechen eine andere Sprache - und decken (fast) die gesamte menschliche Geschichte in materiellen, greifbaren Hinterlassenschaften ab. Dies ist unter anderem dem LWL und dem LVR zu verdanken, die mit Hunderten von Fachwissenschaftlern verschiedenster Disziplinen unzählige, unter der Erde oder in Archiven verborgene Schätze aufdecken, erforschen, erhalten und in publizierter Form zugänglich machen. Sie füllen jährlich mehrere Reihen von Sammelbänden, Zeitschriften und zahlreiche Monographien für jedes Publikum. Dabei wird nicht nur die eigene Bildungslandschaft in den Mittelpunkt gestellt. Unzählige nationale Kooperationen mit der DFG oder dem DAI, mit den Universitäten und Museen innerhalb und außerhalb NRWs machen es möglich, die Geschichte des Landes, regionales, nationales und internationales Kulturerbe aufzudecken, um daraus zu lernen. Dies wird nun wegen "erschwerten gesetzlichen Rahmenbedingungen" jedoch schwierig, wie auch Dr. Thomas Otten vom Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr des Landes NRW meint.


Er sprach am 18. März bei der Jahrestagung der LWL-Archäologie für Westfalen vor über 300 Gästen, zahlreiche weitere Teilnehmeranfragen mussten aus Platzgründen abgelehnt werden. Der Anteil der Interessierten und freiwilligen Helfer des LWL an dieser hohen Besucherzahl betrug mehr als die Hälfte. Von einer begeisterten Öffentlichkeit kann demzufolge durchaus die Rede sein. Dies verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass für ein Herzstück Westfalens, das Schloss und ehemalige Kloster Corvey ein Antrag auf UNESCO-Weltkulturerbe gestellt und erst 2012 in Westfalen die älteste Leiter Europas ausgegraben wurde, dass zudem in ganz Nordrhein-Westfalen auch die Entwicklungen der Städte in Vergangenheit und Zukunft einen Schwerpunkt der Forschungen bilden oder dass für 2014 eine Ausstellung geplant ist, die sich mit der Geschichte und Gegenwart Vietnams auseinandersetzen und eine enge Bindung zwischen den Institutionen beider Länder schaffen wird. Kulturaustausch und Globalisierung zum Anfassen.


Kultur ist überall

Dass kulturelle, historische und auch archäologische Bildung von der deutschen Politik in ihrer Bedeutung derzeit stark unterschätzt wird, ist ein Thema, dessen sich auch die Stiftung Mercator und die Bundeszentrale für politische Bildung in neuen Projekten annehmen. Die Qualität kann dauerhaft aber nur durch gute Forschung garantiert werden. Die Standards hierfür entwickelten sich in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert und vor allem in den letzten 60 Jahren. Landesämter für Archäologie und Denkmalpflege mit zugehörigen Museen und vielzähligen Grabungen sind fester Bestandteil der Kultur in Deutschland. In den meisten Ländern erhalten sie dafür viel Anerkennung. Ein Beispiel, das in den letzten Jahren stark in den Medien vertreten war, ist Sachsen-Anhalt. Hier ist die Bedeutung des Kulturhaushaltes seit der Rückgewinnung der Himmelsscheibe von Nebra kaum noch eine kritische Frage. Auch in Nordrhein-Westfalen bringen archäologische Untersuchungen jedes Jahr neue Entdeckungen ans Licht. Ohne entsprechende Zuschüsse wird dies jedoch auch mit geändertem Denkmalschutzgesetz stark erschwert und die erarbeiteten Strukturen gefährdet. Diese nach einem eventuellen politischen Umdenken oder einem Regierungswechsel in einigen Jahren oder Jahrzehnten zu reetablieren, wird ohne Qualitätsverlust kaum möglich sein.


Dies alles spielt aber nicht nur für die Wissenschaftler eine Rolle. Der LWL und der LVR decken einen Großteil des Kulturbetriebes in ganz NRW ab. Schrumpfende Museen betreffen die Mehrheit der Menschen zumindest das ein oder andere Mal im Jahr, Konzepte wie die Erlebnisausstellung "Aufruhr 1225! Das Mittelalter an Rhein und Ruhr" im Landesmuseum für Archäologie in Herne, das Kinder auf die Geschichte und die Geschichten um sie herum aufmerksam machte und sie dafür begeisterte, aber auch Ausstellungen wie "Fundgeschichten. Neueste Entdeckungen von Archäologen in NRW" und natürlich die Ausstellungen zum Jubiläum der Varusschlacht im Jahr 2009 mit rekordverdächtigen Besucherzahlen sind dann nicht mehr möglich. Auch die Erhaltung oder gar die Rekonstruktion von schon fast verloren gegangenen Kirchen, Schlössern und anderen historischen Gebäuden wird nur noch schwer umsetzbar sein. Wochenend- oder Urlaubsausflüge und Spaziergänge durch facettenreiche Innenstädte mit Fachwerkbauten neben Glaspalästen oder Landschaften mit verträumten Burgruinen werden vieler Eindrücke beraubt. Auch die zahlreichen Publikationen der Abteilungen und Museen werden weniger werden, der Kulturteil der Zeitungen schmaler. Und schlussendlich werden natürlich die Mitarbeiter des LWL, LVR und der Stadt Köln und auch der Tourismus-Industrie, deren Arbeitsplätze gefährdet sind, unter den Kürzungen leiden, wenn die Besonderheiten des Landes nicht mehr erhalten und präsentiert werden können.


Es scheint also, als müsse vor allem die Politik für die Bedeutung der Archäologie und Denkmalfplege sensibilisiert werden. Aus den Reihen der Bürger gibt es hieran nur wenige Zweifel. So gehen die kritischen Kommentare zum thematischen Beitrag der Welt weitgehend unter. Dank der Arbeit der kulturellen Bildung ist man sich anscheinend nicht nur in Fachkreisen darüber bewusst, in welchem Umfang die Gegenwart von der Vergangenheit beeinflusst ist und wieviel man daraus für die Zukunft lernen kann. Ebenso wie die heutigen, waren auch die Staatsformen und Kulturen der Geschichte zusammengewachsen, in regionalen Eigenheiten wurden zunehmend Gemeinsamkeiten erkannt, die Vorteile von Zusammenarbeit in puncto Wirtschaft, Handel und Ideenaustausch überstanden bisher noch jeden Krieg. "Kulturen sind Organismen. Weltgeschichte ist ihre Gesamtbiographie", sagte Oswald Spengler. Deutschland und Europa würde mit dem Wegfallen der Kultur und Denkmalpflege in NRW ein Stück ihrer Biographie, ein Stück Identität verloren gehen, ein Stück der Lebenswelt ihrer Eltern und Großeltern, ein Stück ihrer Heimat, ihrer Umwelt, ihrer Kurzweiligkeiten und ihres Menschseins. Zugleich gäbe man Räubgräbern das Erbe unserer Vorfahren in die Hand, ansatt sie weiterhin aufzuklären und einzubeziehen, wie es die Tagung "Metallsonden im Dienst der Archäologie für Westfalen" im Oktober 2011 tat oder Projekte wie " Unser Denkmal " täglich versuchen.


"Normalerweise blicken die Archäologen in die Vergangenheit, denn das ist ihre Leidenschaft", sagte der Leiter der LWL-Archäologie für Westfalen, Michael Rind, bei der Begrüßung der diesjährigen Jahrestagung, "nun müssen wir aber auch stärker in die Zukunft schauen - und uns darum fürchten".


Die Petition der Deutschen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte gegen die Kürzungen gibt es hier: https://www.openpetition.de/petition/online/angekuendigte-streichung-der-landeszuschuesse-fuer-die-archaeologie-und-denkmalpflege-zuruecknehmen

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