Museen sind Massenmedien. Nach Untersuchungen des Institutes für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin steigen die Besucherzahlen deutscher Museen kontinuierlich. Blockbuster-Ausstellungen verzeichnen nicht selten mehrere hunderttausend Besucher. Aber bedeutet der optische Konsum einer Ausstellung auch eine tiefergehende Beschäftigung mit deren Thema? Erfüllen Museen ihre Aufgabe, zu vermitteln, allein mit dem Präsentieren von Objekten ausreichend?
Die Antwort von Daniel Tyradellis
lautet: Nein! In seinem Buch „Müde Museen. Oder: Wie Ausstellungen unser
Denken verändern können“ fordert er, Ausstellungen in allen Punkten auf
ihre Besucher auszurichten. Alles andere ignoriere den öffentlichen
Auftrag von Museen. Damit zeigt Tyradellis Probleme der
Selbstwahrnehmung und Organisationsstruktur von Museen in Deutschland
auf. Sie sind nach ihm einfallslos, ängstlich, müde, aber – so betont er
ebenfalls – keinesfalls erschöpft in ihren kreativen Möglichkeiten. Das
Potenzial, die Gesellschaft mitzugestalten, bestehe weiterhin. Es werde
nur unterschätzt gegenüber dem Gefühl, den steigenden Erwartungen und
gleichzeitig sinkenden finanziellen Mitteln ausgeliefert zu sein. Um
kein Risiko einzugehen, bewege man sich stets im Rahmen des
Altbekannten.
Das Anliegen des Buches ist es, die Museen aus ihrer selbstverschuldeten
Unmündigkeit aufzurütteln. Dabei widmet sich Tyradellis vor allem der
Metaebene, zeigt Probleme auf und provoziert dazu, die Wege des reinen
Zeigens um des Vermittelns willen zu verlassen. Die managerialen Aspekte
hinter Tyradellis’ Vision vom Museum sind dabei nur bedingt Thema. Er
greift sie vor allem bei jenen entscheidenden Punkten auf, mit denen
gern gegen die Umsetzbarkeit von Neuerungen argumentiert wird, wie der
Finanzierung. Aber auch darüber hinaus ist das Museumsmanagement stets
greifbar, denn das Buch nimmt immer wieder Bezug auf das Selbstbild von
Museen und Kuratoren.
Das Problem: Zeigen vs. Vermitteln
Tyradellis beginnt mit einer Analyse des Ist-Zustandes vieler Museen und
einer Suche nach dessen Ursachen. Diese zeigen weniger inhaltliche als
strukturelle Schwächen des Museumsbetriebes und seiner Mitarbeiter auf:
Der erste Grund ist, dass Kuratoren sich mehr als Wissenschaftler ihrer
Disziplinen denn als Vermittler sehen. Sie orientieren sich an
Faktenwissen und konzipieren Ausstellungen nach Fächerkonventionen.
Damit normieren sie sich selbst – mehr auf fachliche Anerkennung
bedacht, als auf die Bedürfnisse der Besucher. Entsprechend sei
Besucherforschung ein Fremdwort. Dies sieht Tyradellis als die zweite
Ursache der Probleme. Während die Kuratoren ihre Besucher kaum kennen
und zu würdigen wissen, steht im Management, Marketing und bei den
Geldgebern die reine Besucherzahl im Mittelpunkt. Der tatsächliche
Lerneffekt einer Ausstellung wird kaum evaluiert. Aufgrund dessen, so
folgert Tyradellis, blieben grundlegende psychologische Aspekte des
Vermittelns während der Planung einer Ausstellung weitgehend außen vor.
Die Lösung des Problems: zum Denken anregen
Für Tyradellis gibt es nur einen Weg: Museen müssen sich selbst neu
definieren, nicht nach außen, sondern vor allem nach innen. Sich selbst
und ihre Objekte als auratische Einrichtungen der Hochkultur zu sehen,
entspricht einem längst veralteten Zeitgeist. Doch dieses Selbstbild
vertreten zu viele Kuratoren und Museumsmanager nach wie vor.
Stattdessen sollten sich Museen nach Tyradellis als einen „dritten Ort“
verstehen, angesiedelt zwischen den Universitäten als Ort der Forschung
und der Öffentlichkeit als Ort des Austausches. Als solch freier Raum,
der zum Denken anregt, kann man Wissen zeitgemäß vermitteln.
Museumsbesucher und Ausstellungsmacher „zum Denken anzuregen“ ist denn
auch das Thema des zweiten Teils des Buches. Dabei steht im Mittelpunkt,
feste Schemata des Wissens mittels Objekten in Frage zu stellen.
Gleiches gilt für museale Disziplingrenzen. Diese repräsentieren nicht
die Vielfalt der Zusammenhänge der Welt. Dabei bieten gerade Museen die
Möglichkeit, diese und den Bezug zum Leben aufzuzeigen. Wichtig ist
dabei für Tyradellis, den Vermittlungsaspekt bereits in die
Ausstellungsplanung zu integrieren, anstatt ihn später aufzusetzen.
Eine Ausstellung nach diesen Vorstellungen zu entwerfen ist, so stellt
Tyradellis selbst fest, nicht ohne Weiteres möglich. Um zu inspirieren
und zum Denken anzuregen, braucht es fachlichen und gestalterischen
Freiraum. Hierfür sind strukturelle Veränderungen in den Museen, aber
auch schon in der Ausbildung notwendig. An den Universitäten werden die
Methoden der jeweiligen Disziplinen und an den Museen das Kuratieren
nach gängigen Schemata gelehrt. Meist fehlen die theoretischen
Grundlagen der Gestaltung, Pädagogik oder Besucherforschung.
Tyradellis Buch greift eine Diskussion auf, die mit dem Aufkommen neuer
Formen der Online-Kommunikation im Museum Brisanz erhielt. Diese
Kommunikation über die sozialen Medien zeichnet sich durch Vermittlung
auf Augenhöhe und die partizipative Einbindung der Besucher aus. Schon
mit diesen dialogischen Formaten tun sich viele Museen und
beispielsweise auch der Deutsche Museumsbund (DMB) nach wie vor schwer.
Der Grund dafür ist jenes Problem, das Tyradellis’ Buch im Kern
beschreibt: Es geht es um kreative Wege, Inhalte an die Menschen zu
bringen – sei es online oder in Ausstellungsformaten – nicht um
wissenschaftliche und PR-Standards. Zudem sind auch die Besucher vor
allem digitale. Doch deswegen sind sie nicht weniger wert oder
interessant als physisch anwesende Besucher und die Vermittlungsaufgabe
der Museen nicht weniger erfüllt. Trotzdem bleibt die Unsicherheit
bestehen.
Nun fordert Tyradellis, die Prinzipien der digitalen Kommunikation auch
auf die kuratorische und pädagogische Arbeit und darüber hinaus auf das
Selbstverständnis der Museen zu übertragen. Dies sorgte in Fachkreisen
bereits für viele Diskussionen. So verwies Prof. Dr. Martin Roth,
Direktor des Victoria & Albert Museums, bei der Begrüßungsrede der
diesjährigen Jahrestagung des DMB auf das Buch. Doch sind Audience
Development, Besucherforschung und Öffnung schon seit einigen Jahren
Themen des Museumsmanagements. Bisher wurden daraus entwickelte Ansätze
aber vor allem den Marketing- oder Pädagogikabteilung übertragen.
Tyradellis’ Verständnis einer ganzheitlichen Ausrichtung der Museen auf
Vermittlung ist daher noch immer ein ungewohnter Gedanke. Dies zeigt,
dass viele Museen vergessen, dass mit einer öffentlichen Finanzierung
auch eine öffentliche Ausrichtung einhergehen sollte.
Man merkt „Müde Museen“ den Hintergrund des Autors als Wissenschafts-
und Kulturphilosoph an. Tyradellis kritisiert und provoziert auf hohem
intellektuellem Niveau. Beispiele sind selten gesät. Dies ist jedoch in
Ordnung, denn das Buch ist eine Einführung in einen Gedankengang, dessen
Umsetzung viele Veränderungen braucht. Es will zum Denken anregen. Auch
ohne eine museumsmanageriale Handlungsanweisung zu sein, erreicht es
dennoch sein Ziel. Es schließt eine Lücke vom Museum als Ort des
Präsentierens hin zum Museum als Ort der Gesellschaft.
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