Seit viereinhalb Jahren blogge ich über Social Media und Geisteswissenschaften und so langsam scheint das Thema in den Köpfen der meisten Institutionen angekommen zu sein. Aber haben sich die Hoffnungen, die damit verbunden wurden - mehr eigene Themensetzungen, mehr Transparentmachung von Methoden und Arbeitsweisen, mehr Aufmerksamkeit bei neuen Zielgruppen - erfüllt? Nachdem ich mich in den letzten Monaten viel in Kommentarspalten und Facebook-Gruppen herumgetrieben habe, nachdem die US-Regierung beschlossen hat, das NEA und NEH zu schließen, bin ich eher skeptisch und frage mich: Gehen wir mit Fach-Accounts (egal ob privat oder institutionell) wirklich dorthin, wo die Menschen sind?
Die Krux der Motivation
Dass ich diese Frage in den Raum werfe, heißt natürlich nicht, dass ich den Sinn wissenschaftlicher Accounts infrage stelle. Aber schaut man sich die Seiten von hiesigen geisteswissenschaftlichen Forschungsinstituten oder von Kultureinrichtungen an, hält sich die Reichweite meist in Grenzen. Das mag daran liegen, dass es hier und da noch Nachholbedarf in Sachen Strategie gibt und dass die Kommunikation mitunter immernoch veraltete PR-Attitüden erkennen lässt. Es mag auch daran liegen, dass sich die Social-Media-Welt rasant verändert und erweitert und es nicht leichter wird, dort Aufmerksamkeit zu generieren. Und es ist ja auch in Ordnung, dass nicht jede Seite hunderttausende Follower hat, schließlich bedient man begrenzte Interessensbereiche und gerade als Museum oft auch sehr regionsspezifische Themen. Nicht jeder interessiert sich für Buxtehude im Neolithikum oder die Geheimnisse der Herstellung von Kochgeschirr. Qualität statt Quantität. Es ist also nicht falsch, finde ich, solche Accounts primär als Kanal zu nutzen, um die Stammkundschaft leicht, schnell und regelmäßig zu informieren.
Aber Wissenschaftskommunikation ist nunmal mehr als Ausstellungs- oder Forschungsergebnismarketing. Intrinsisch motivierte Menschen zu motivieren ist keine Königsdisziplin. Die nicht-intrinsisch Motivierten sind das Problem. Das war schon vor den sozialen Medien so und daran hat sich nichts geändert.
Was also tun?
In den Gruppen und Kommentarspalten der sozialen Medien diskutieren und streiten Menschen verschiedenster Backgrounds. Menschen, die die Geheimnisse der Herstellung von Kochgeschirr wahnsinnig spannend finden, solche, die Museen oder Forschung zu diesem Thema für Geldverschwendung halten, bis hin zu denen, die glauben, dass Keramikexperten von der Regierung dafür bezahlt werden, Keramik als toll und wichtig zu verkaufen, weil in unserem Essgeschirr heimlich Stoffe verarbeitet werden, die uns alle zu willenlosen Zombies machen.
Im Projekt GeschichtsCheck haben wir uns mit solchen Meinungen beschäftigt und Texte über historische Themen geschrieben, die derzeit in politischen Diskussionen verfälscht, verdreht, missbraucht werden. Dabei wurden die falschen Argumente mit dem Forschungsstand abgeglichen und eingeordnet. Die zweite und zumindest für mich erleuchtendere Aufgabe war es, die Kommentarspalten der Facebookseiten großer Medien (Spiegel, Focus usw.) zu beobachten und bei entsprechenden Argumentationen mitzudiskutieren. Argumente, die wir zu entkräften versucht haben, waren zum Beispiel:
„Es gab damals gar nicht so viele Juden in Europa, wie angeblich von den Nazis vergast wurden."
„Das Wirtschaftswunder hatte nichts mit Gastarbeitern zu tun, das haben wir allein geschafft."
„Die linksgrünversifften Historiker wollen uns erzählen, dass es nie Germanen gab, und uns damit unser Recht auf den deutschen Staat absprechen."
Es ist nicht einfach, solchen Menschen zu begegnen. Sie kostet viel Ruhe, Kraft und Nerven, möchte man hochkochende Emotionen ausgleichen, Beleidigungen aussitzen und jedes noch so skurrile Argument ernst nehmen. Gleichzeitig zeigen diese Argumente, warum eine Facebook-Seite nicht ausreicht, um Menschen zu erreichen, die einen völlig anderen Interessens- oder Verständnishorizont haben. Denn die wenigsten abonnieren Facebook-Seiten, die sie nicht interessieren. Ebenso wie die wenigsten Dokus schauen oder wissenschaftsjournalistische Artikel zu Themen lesen, die sie nicht interessieren.
Unterschiedliche Meinungen haben eine Existenzberechtigung. Zum Problem wird das erst, wenn es keine Trennung mehr zwischen Meinungen und politischen Handlungen gibt. Wenn also die US-Regierung beschließt, die Förderung für die staatlichen Stiftungen für Kultur und Geisteswissenschaften zu schließen. Beide haben einen so geringen finanziellen Umfang (zusammen 0,02 % des nationalen Haushaltsbudgets der USA), dass ihre Streichung vor allem als symbolische Maßnahmen zu werten ist, die etwas darüber aussagt, welcher Wert Kultur und Geisteswissenschaften zugeschrieben wird.
Dieses Phänomen, dem sich der Science March am 22. April widmete, ist kein rein amerikanisches. Schaut man sich beispielsweise die Kommentare zu Henning Lobins Blogpost zur Schließung des NEH an, werden auch dort Sinn, Nutzen und sogar die Wissenschaftlichkeit der Geisteswissenschaften an sich infrage gestellt. Ähnliches lässt sich beispielsweise in den Kommentarspalten von Spiegel online zu fast jedem Beitrag zu Geistes- und Sozialwissenschaften feststellen. Es herrscht ein eklatanter Mangel an Verständnis für deren Vorgehen, Methoden oder die Höhe ihrer Finanzierung (die sehr gering ist im Vergleich zu jener der naturwissenschaftlichen oder technischen Disziplinen).
Wie geht man dabei vor?
Man muss also dorthin gehen, wo die Menschen sind, und mit ihnen sprechen. Dafür braucht es fachliche Expertise, denn umso komplexer die Verschwörungstheorie, umso schwieriger ist es, die einzelnen Argumente zu widerlegen. Diese Aufgabe können beispielsweise Pressestellen von Universitäten kaum übernehmen. Und natürlich kann nicht jeder Wissenschaftler täglich Zeit aufbringen, um die Medien und die zugehörigen Kommentare nach seinen Themen zu durchsuchen (obwohl Tools wie Google Alerts hier sehr hilfreich sind). Es würde aber schon helfen, wenn sich jeder Wissenschaftler die Kommentare zu Berichten zu seiner eigenen Forschung anschauen würde. Hier habe ich vor einem Jahr schon mal darüber geschrieben, wie man dann argumentiert. Das wichtigste fasst der Neurowissenschaftler Tim Requarth so zusammen:
„Scientists' top reason for engaging the public is to inform and to defend science from misinformation. It's an admirable goal, but almost certainly destined to fail. This is because the way most scientists think about science communication-that just explaining the real science better will help-is plain wrong. (...) Even when people understand the scientific consensus, they may not accept it. (...) Presenting facts that conflict with an individual's worldview can cause in what psychologists call the "backfire effect"."
Das bestätigen unsere Erfahrungen mit dem GeschichtsCheck und auch Philosophen, Kommunikationswissenschafter und Psychologen, die sich mit dem Thema Fake News und Wissenschaftskommunikation beschäftigen. Man sollte also nicht zu elitär auftreten und falsche Aussagen nicht wiederholen, auch nicht um sie zu korrigieren. Besser ist es, Gegenfragen zu stellen, die auf argumentative Lücken abzielen, und positive Emotionen zu nutzen.
So plädiert Umweltforscher Jonathan Foleydafür, aufzuzeigen, wie Wissenschaft das Leben der Menschen verbessert hat. Das betont auch die amerikanische Klima-Politik-Beraterin J. Drake Hamilton. Sie macht beispielsweise deutlich, dass es keinen Konflikt zwischen Umweltschutz und wirtschaftlicher Entwicklung gibt, sondern erneuerbare Energien vielmehr ein riesiges wirtschaftliches Potenzial haben.
Dann beginnen die Menschen genauer hinzusehen, unabhängig von Parteizugehörigkeiten."
Solche Argumente haben auch die Geisteswissenschaften, denn Verbesserung gibt es nicht nur durch Bereiche wie Medizin oder Technologien. Es kann auch um das zwischenmenschliche Miteinander gehen. Zu erklären, wie man auf Ergebnisse gekommen ist, und zu versuchen, das Gegenüber zu verstehen, könnte zumindest helfen, den Graben zu schmälern. Denn wo sonst konnte man bisher einen Wissenschaftler zu solchen Dingen befragen, ihm wirklich begegnen, ihn als Menschen wahrnehmen? Sich in den Kommentarspalten zu bewegen, hat deshalb auch etwas damit zu, wie man seine eigene Rolle als Wissenschaftler definiert. Denn die Art und die Themen, mit denen sich Wissenschaftler in der Öffentlichkeit präsentieren, haben viel Einfluss darauf, was die Menschen wissen und denken - und das ist auch der Punkt, an dem Wissenschaftler ansetzen können, unabhängig von schulischen Lehrplänen oder politischen Entscheidungen.