Kristin Oswald

Online-Redakteurin, Kultur & Geisteswissenschaften, Erfurt

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Artikel

Citizen Science-Strategie des Naturhistorischen Museums Wien veröffentlicht

Im März 2017 hat das Naturhistorische Museum als eines der ersten Museum im deutschsprachigen Raum eine Citizen Science-Strategie veröffentlicht. Ziel ist es, abteilungsübergreifende Handlungsrahmen zu entwickeln bzw. auszubauen, um die Wechselwirkung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft weiter zu stärken und zu professionalisieren, sie sichtbar und transparent zu machen. Damit positioniert sich das Haus als Vorreiter im DACH-Raum und stellt sich in eine Reihe mit führenden naturhistorischen Museen weltweit.

Die Strategie des NHM will das Museum sowohl digital als auch physisch als zentralen Ort für Citizen Science etablieren, „an dem auf nationaler und internationaler Ebene ein wechselseitiger Dialog auf Augenhöhe zwischen Wissenschaft und Gesellschaft stattfindet". Dabei geht es sowohl um neue Formate der Wissensvermittlung, lebenslanges Lernen und die Beziehung zwischen Forschung und Gesellschaft als auch darum, Forschungsvorhaben zu ermöglichen, die andernfalls nicht durchgeführt werden könnten. Dafür soll eigens ein offener Innovations- und Experimentierraum („Deck 50") geschaffen werden, der als multifunktionale Kommunikationsplattform dienen soll, um die Öffentlichkeit stärker für die Bedeutung von Forschung zu sensibilisieren. Das NHM sieht Citizen Science damit nicht nur als Chance, Daten zu generieren, sondern als Teil des Bildungsauftrages des Hauses.

Als Maßnahmen sind geplant:

Stärkung von Citizen Science auf strategischer Ebene
Verstärktes Sichtbarmachen der Tätigkeiten von ehrenamtlichen ForscherInnen, Projekten und Interaktionsmöglichkeiten
Integration in die Kommunikations-, Forschungs- und Vermittlungsaktivitäten des Museums
Ausarbeitung eines jährlichen Maßnahmenkataloges sowie regelmäßige Evaluierung
Einrichtung einer Kontaktstelle Citizen Science für Kompetenzvermittlung und Forschungskoordination

Der Status quo von Citizen Science-Strategien an Museen im deutschsprachigen Raum

Im deutschsprachigen Raum gibt es Citizen Science-Projekte zwar bereits an einigen Museen, etwa am Ethnologische Museum Berlin, an der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe sowie den Häuser der Leibniz-Gemeinschaft. Hinsichtlich der Entwicklung von Strategien für neue oder neu zu gestaltenden museale Aufgaben spielt Citizen Science jedoch bisher nur eine untergeordnete Rolle, während digitale Strategien bereits in deutlich mehr Häusern diskutiert werden.

Die Leibniz-Gemeinschaft, deren Museen sich gleichermaßen über Forschung wie über Vermittlung definieren, führt bereits zahlreiche Citizen Science-Projekte durch. Allerdings ist darunter nur ein nicht-naturwissenschaftliches Projekt, das zum Bereich experimentelle Archäologie gehört und am Römisch-Germanischen Zentralmuseum Mainz angesiedelt ist. ( Anmerkung: Auch das zur Leibniz-Gemeinschaft gehörende Deutsche Schifffahrtsmuseum Bremerhaven führt Citizen Science-Aktivitäten durch, die vor allem eine partizipative Neugestaltung der Dauerausstellung betreffen. Sie sind nicht auf der Website der Leibniz-Gemeinschaft verzeichnet, ein Artikel dazu ist aber im Tagungsband „Bürger Künste Wissenschaft" erschienen - hier im OpenAccess abrufbar.)

Nicht grundlos ist mit Bürger Schaffen Wissen die zentrale deutsche Anlaufstelle für Citizen Science am Museum für Naturkunde Berlin angesiedelt, das ebenfalls zur Leibniz-Gemeinschaft gehört. Zwar hat das Museum selbst derzeit noch keine Strategie für diesen Bereich, aber eine Broschüre zu den eigenen Citizen Science-Aktivitäten und -Partnern mit einem groben Ausblick auf weitere Entwicklungen veröffentlicht. Um die Aktivitäten der Leibniz-Gemeinschaft weiter zu profilieren, wurde 2016 ein Thesenpapier entwickelt. Nach diesem möchte die Gemeinschaft „sich im Bereich Citizen Science als Vorreiter etablieren und neue Standards setzen. Insbesondere auch für die systematische Erforschung von Citizen Science als Bestandteil exzellenter Wissenschaft bieten das breite Themenspektrum und die Kultur der interdisziplinären Zusammenarbeit in der Leibniz-Gemeinschaft hervorragende Voraussetzungen. Die Leibniz-Gemeinschaft könnte sich daher in führender Rolle dafür einsetzen, Experimentierräume für Citizen Science zu schaffen, um Citizen Science Projekte durchzuführen und deren Effekte begleitend zu untersuchen. Sie kann Formate des Austausches fördern, um eine Rückkopplung zu den Ergebnissen der (sozialwissenschaftlichen) Begleitforschung an die aktuelle Citizen Science Praxis zu erreichen." Ziele sind die Relevanz der Forschung zu erhöhen, neue Formate des Wissenstransfers zu entwickeln und den Methodenkanon zu erweitern. Auch hier spielt also neben dem wissenschaftliche auch der gesellschaftliche Mehrwert von Citizen Science eine Rolle, wobei die Betonung noch auf „könnte" liegt.

Leider gehören zu den im Juli bekannt gegebenen, erstmals vom BMBF geförderten Citizen Science-Projekten keine aus dem Bereich Geisteswissenschaften, aber das Museum für Naturkunde Berlin ist vertreten. Inwieweit entsprechende Projekte eingereicht, aber nicht gefördert wurden, ist nicht bekannt.

Der Status quo von Citizen Science-Strategien an internationalen Museen

Auch im internationalen Kontext gibt es bisher nur wenige museale Citizen Science-Strategien. So verfügt das Australian Museum, ein Regionsmuseum mit Fokus auf Umwelt, Natur und Biodiversität bereits seit 2014 über ein entsprechendes Strategiepapier. Auch hier steht der Zusammenhang mit Vermittlungsansätzen und lebenslangem Lernen im Zentrum. Des Weiteren ist Citizen Science ein Schwerpunkt der Forschungsstrategie des Natural History Museum London, das zudem einen Leitfaden für Citizen Science-Projekte zu Biodiversität in UK herausgegeben hat.

Wie sich zeigt, stammen die meisten Citizen Science-Strategien also von naturwissenschaftlichen bzw. -historischen Museen, während Häuser zu archäologischen, kultur- oder regionalhistorischen Themen deutlich weniger vertreten sind. Selbst das British Museum, das bereits seit einigen Jahren eine Vielzahl an Projekten umsetzt, erwähnt Citizen Science in seiner 2020-Strategie nicht.

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