Wie kann man Karrieren in der Archäologie planbarer gestalten? Wie lassen sich Befristungen und die meist schlechte Bezahlung mit dem Wunsch nach einer Familie vereinbaren? Was sind notwendige Kompetenzen, um überhaupt Chancen auf eine Karriere im Fach zu haben? Und wie sieht ein „typischer" Karriereweg aus? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Jahrestagung des Deutschen Archäologen-Verbandes, die vom 17. bis 19. Juni in Jena stattfand. Beantwortet werden sollten sie anhand von Vorträgen zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz, zu Stellenanforderungen und -verteilungen sowie zu Berufsaussichten außerhalb der Universität. Die Vertreter des Faches sind sich also der Probleme bewusst. Jedoch warfen die Vorträge und Diskussionen mehr Fragen als Lösungen auf und zeichneten ein eher unselbstkritisches Bild von Lehre und Berufsvorbereitung gerade in der Klassischen Archäologie, die der DArV primär vertritt.
*tldr; Die gesetzlichen und strukturellen Rahmenbedingungen machen es dem wissenschaftlichen Nachwuchs schwer. An den archäologischen Lehrstühlen herrschende Hierarchien und fehlende Strategien für Ausbildung und Berufswege machen es ihm nicht leichter.Zugegeben, ich war in Anbetracht der letzten DArV-Tagung, die ich besucht habe, schon vor Beginn etwas skeptisch, ob sich neue Einsichten eröffnen würden. Aber weil sich ein Besuch meiner Alma Mater inklusive „Klassentreffen" eigentlich immer lohnt (und weil der DArV keine Tagungsgebühr verlangt), sprach eigentlich nichts dagegen.
Die Infantilisierung des Mittelbaus
Die Tagung startete mit dem Thema WissZeitVG, dessen arbeitssoziologische und politische Perspektiven uns Anja Weber und Patrick Wöhrle von der Mitelbau-Initiative Dresden (mid) eröffneten. Diese hat eine Erhebung durchgeführt, die die gefühlte (traurige) Wahrheit zum WissZeitVG und den Berufsaussichten des universitären Mittelbaus statistisch untermauert. Aus dessen Situation ergeben sich demnach mehrere strukturelle Probleme, die auch die weiteren Vorträge der Tagung immer wieder deutlich machten: Neben der offensichtlichen Unplanbarkeit von Karriere- und Lebenswegen fehlt es zum einen an Solidarisierung innerhalb des wissenschaftlichen Nachwuchses. Und es fehlt an Strategien beim „Oberbau", auf diese Situation zu reagieren.
Nach der Erhebung des mid sinkt mit dem neuen WissZeitVG die Chance auf eine dauerhafte Anstellung mit der Zahl der aufeinander folgenden Befristungen. Ebenso nimmt die Chance ab, nach Ende der Höchstbefristungsdauer, also mit Mitte 30 oder Anfang 40, außerhalb der Wissenschaft noch Fuß zu fassen und sich die dafür notwendigen Kompetenzen anzueignen. Der Grund für diese unerfreuliche Novellierung ist, dass die zugrunde liegende Evaluierung des #WissZeitVG primär aus Arbeitgebersicht geschah und vor allem wissenschaftliche Exzellenz im Auge hatte, nicht Aspekte wie Familienfreundlichkeit oder langfristige Perspektiven.
Werkverträge, Lehrbeauftragungen (von Wöhrle treffend als Pervertierung der Arbeitnehmerrechte bezeichnet) und oft auch wissenschaftliche Mitarbeiterstellen sind demnach eine hingenommene Form der Prekarisierung. Sie führt zu einem steten Konkurrenzkampf - die Politik würde es wohl Wettbewerb um Exzellenz nennen - bei dem „die Prekären auf die noch Prekäreren herabschauen". Für Wöhrle und Weber liegt die Ursache hierfür in der Kombination der Ordinarien- und der unternehmerischen Universität, also der starken Hierarchien innerhalb der Lehrstühle bei gleichzeitiger Ausrichtung auf ökonomische Rentabilität. Immer weniger Mitarbeiter nehmen immer mehr Aufgaben wahr, die früher bei den Professuren lagen. Zugleich, auch das eine Folge der Entsolidarisierung und des Konkurrenzkampfes gerade in den kleinen Fächern, traut sich niemand, den Mund aufzumachen. Zu groß ist die Angst, im eigenen überschaubaren Fachbereich als Aufwiegler verrufen zu sein und in der Folge nicht mal mehr eine prekäre Stelle zu bekommen. Das ist außerhalb der universitären Archäologie, in Denkmalämtern und Museen, oft nicht anders. Spannend dazu ist Candice Prendergasts Theorie der Jasager, nach der in Hierarchien vor allem Anpassung und Stillstand herrschen und Karrieren eher durch Habitus und Zugehörigkeit entstehen als durch qualifizierte Entscheidungen, hinterfragte Handlungsmuster und die Öffnung für neue Denkweisen.
Archäologie-eigene Ursachen?
In der Tradition der Ordinarienuniversität, so betonten auch Wöhrle und Weber, kommt ein Engagement für Lehre einem Selbstmord der wissenschaftlichen Karriere gleich. „Die Verantwortung für eine gute Ausbildung ist gleich null." Nun möchte ich keinem Lehrstuhlinhaber unterstellen, dass ihm die Studenten egal seien. Aber die meisten Professoren in den Altertumswissenschaften sind einen weitgehend geraden akademischen Weg gegangen. Doch was für fachliche Qualifikation und die Qualität der Forschung gut sein mag, kann zur Katastrophe werden, wenn es darum geht, den Studenten die Möglichkeiten des künftigen Berufslebens aufzuzeigen. Denn es bedeutet, dass sie vorrangig auf den „einzig wahren" und zugleich für die meisten unerreichbaren Berufsweg der akademischen Forschung vorbereitet werden. Den großen Rest erlässt man in die Arbeitswelt, ohne ihnen die Anforderungen der verschiedenen Tätigkeitsbereiche in Museen und der Denkmalpflege, in Verlagen und Medien aufgezeigt zu haben, von der Welt der freien Wirtschaft ganz zu schweigen. Und auch ohne eine kritische Auseinandersetzung damit, welche Arbeitsbedingungen dort auf sie zu kommen und was eine gute Stelle ausmacht.
Natürlich kann man fragen, ob Studenten sich mit diesen Punkten nicht auch selbstständig beschäftigen sollten. Doch geht es um mehr, als jungen Menschen nahe zu bringen, dass nicht jeder Professor, Landesarchäologe oder Museumsdirektor werden kann. Es geht darum, ihnen ein Gefühl für ihre außerfachlichen Fähigkeiten und deren Wert auf dem Arbeitsmarkt zu vermitteln. Wie hilfreich ist der oft gehörte Satz „Als Geisteswissenschaftler haben Sie analytische und reflektierende Fähigkeiten, die breit anwendbar sind", wenn man diese nie realistisch einschätzen und praktisch auf andere Bereich anwenden muss?
Entsprechend begann Jacobus Bracker von der Universität Hamburg den zweiten Tagungstag mit der Frage: Warum nehmen wir schlechte Stellen an? Was sind wir uns selbst und der Gesellschaft wert? In UK, dessen wissenschaftliche Strukturen Katharina Lorenz von der University of Nottingham vorstellte, sind Classics ein angesehenes Studium Generale, das Arbeitgeber wie Studenten als sinnige Grundlage und Sprungbrett in anderweitige Tätigkeiten anerkennen. Die 5% der Classics-Studierenden, die einen PhD im Fach machen, bleiben meist in der Forschung und profitieren von den vielfältigen Möglichkeiten für Nachwuchs-Wissenschaftler. Die Quote der Absolventen passt also gut zur Anzahl derjenigen, die auch tatsächlich in der Wissenschaft gebraucht werden.
So weit so schlecht?
An deutschen Universitäten hingegen, so betonten auch Weber und Wöhrle, fehlt es an strategischen Personalkonzepten und nur die wenigsten Lehrstuhlinhaber wissen, wie man solche Konzepte entwickelt. Was sie bringen können, zeigt das Beispiel des Deutschen Archäologischen Instituts. Dort wird gerade eine aufwendige Personalbedarfsermittlung durchgeführt. Sie beinhaltet, Aufgaben und Ziele zu definieren, Arbeitszeiten und -aufwand zu erfassen und beides miteinander in Deckung zu bringen. Das bringt greifbarere Ergebnisse für die Mitarbeiter wie für die Geldgeber als das stete, leer klingende Argument „wir brauchen mehr Mitarbeiter", wie Philipp von Rummel in seinem Vortrag deutlich machte. (Die Sinnhaftigkeit der Stellenanforderungen und möglichen Karrierewege beim DAI einmal kritisch unter die Lupe zu nehmen, war jedoch kein Teil dieses Prozesses.)
Vielen Professoren und Direktoren in der Archäologie fehlt es an Kompetenzen zum Thema Personal, Führung und Ausbildung - diese waren kein Teil ihres Studiums und sind bis heute nur selten Thema bei Besetzungsverfahren. Bedarfe und alternative Karrierewege aufzuzeigen, sind dabei nur zwei Aspekte. Ein dritter ist es, nicht nur hilflos negative Entwicklungen und Gegebenheiten zu bemängeln, sondern deren Lücken nutzen zu lernen. So zeigten beispielsweise Weber und Wöhrle, dass das #WissZeitVG mit der stärkeren Fokussierung auf Qualifizierung auch Türen öffnet. Denn dies umfasst nicht nur Promotion und Habilitation, sondern auch weitere Fähigkeiten, die für einen wissenschaftlichen Werdegang unumgänglich sind.
Das bedeutet zum einen, dass Grundlagenforschung nicht primär von zur Qualifizierung angestellten Mitarbeitern durchgeführt werden darf. Stattdessen muss bei Förderungen etwa durch die DFG darauf geachtet werden, solche Projektstellen zu den entsprechenden Konditionen zu besetzen. Zum anderen bedeutet es, dass Qualifizierungsstellen auf einem Ausbildungskonzept beruhen sollten, das zeigt, wie und in welchen Bereichen der Stelleninhaber weitergebildet werden soll, und dafür sorgt, dass die entsprechenden Tätigkeiten auch tatsächlich den Großteil der Arbeit ausmachen. Dass es damit schwieriger wird, die Vielzahl an anfallenden Aufgaben eines Lehrstuhls durch Qualifizierende abzudecken, kann wiederum ein Argument für Lehrstuhlinhaber und für die betreffenden Mitarbeiter in Verhandlungen um Stellenzahlen und -inhalte sein (siehe auch den jüngsten Gerichtsbeschluss zu Kettenbefristungen an Hochschulen). Gerade auch für Juniorprofessoren ist das wichtig, um nicht nur ein kostengünstigerer Mitarbeiter zu sein, der dieselben Aufgaben wie ein ordentlicher Professor innehat. Denn wie Mechthild Dreyer in ihrem Vortrag zum Thema Juniorprofessuren darlegte, werdenJuniorprofessuren in den Geisteswissenschaften vor allem dafür genutzt, Lehrstühle günstig und auf Zeit besetzen zu können, anstatt sie zu streichen. Sie seien deshalb „ein Sterben auf Raten", auch wenn die Mehrheit anschließend tatsächlich eine Professur bekommt.
Und in Museum, Denkmalpflege, Verlag?
Ähnliche Ansatzpunkte wie das WissZeitVG beinhaltet auch das Mindestlohngesetz in Bezug auf Volontäre in Archäologie und Museum. Diese sind vom Mindestlohn ausgenommen, weil es sich bei einem Volontariat um ein Ausbildungsverhältnis verhandelt. Das bedeutet zugleich, dass erstmals eine gesetzliche Verpflichtung besteht, einem Volontariat tatsächlich eine strukturierte Ausbildung zu Grunde zu legen und es nicht nur als billigen Ersatz für eine volle Stelle zu behandeln. Dies sollte man erfahren, bevor man ein Volontariat antritt, also bestenfalls im Studium. Aber wie Stefan Hartleib, ehemaliger Volontär der LWL-Archäologie, bei seinem Vortrag zum Volontariatswesen mit einer Frage ins Plenum zeigte, ist der Wissensstand bei den Lehrenden zum Thema erschreckend gering. Es gibt kaum eine Vorstellung von Arbeitsbereichen, Voraussetzungen oder Rahmenbedingungen, den Leitfaden des Deutschen Museumsbundes kannte niemand. Auffallend war zudem die einzige Nachfrage aus dem Publikum. Sie zielte darauf ab, ob Stefan als Volontärssprecher des LWL Angst gehabt hätte, sich mit seinem Engagement für bessere Konditionen bei künftigen Arbeitgebern ins Aus zu schießen.
Die Vorträge von Katja Lembke und Angelika Franz zeigten aber auch vielversprechendere Perspektiven auf. Lembke, Klassische Archäologin und Ägyptologin, machte deutlich, dass man die fachlichen Scheuklappen überwinden, zwischen den Disziplinen wie zwischen den Tätigkeitsbereichen (Museum und Universität) wechseln und auch noch eine Familie gründen kann, wenn man denn eine passende Lücke für sich findet und anstatt des klassischen akademischen Weges seinen eigenen geht. Angelika Franz, Archäologin und Wissenschaftsjournalistin, öffnete zum Abschluss den Blick noch weiter und zeigte, dass durchaus nicht jeder Student der Archäologie in der Forschung bleiben möchte oder promovieren muss und deswegen nicht weniger erfolgreich ist.
Lobbyarbeit und Interessensvertretung in der Archäologie
Katharina Lorenz betonte zum Abschluss, dass sich Archäologen nicht nur zu ihren Forschungsergebnissen, sondern auch zu ihren Problemen und aktuellen Themen zu Wort melden sollten. Und auch im Laufe der Tagung wurde immer wieder der Ruf an den DArV laut, seine Aufgabe der Interessensvertretung der Klassischen Archäologie und des wissenschaftlichen Nachwuchses stärker wahrzunehmen und sich beispielsweise mit Karrierewegen zu beschäftigen. Diese Forderung ist nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass beispielsweise die DGUF sich seit Jahren mit denselben Themen beschäftigt und bei ihrer Jahrestagung diesen Mai ebenfalls diskutierte. Allerdings zeigen sich auch hier die disiziplinären Scheuklappen, denn klassische Archäologen waren bei der DGUF-Tagung ebenso wenig anwesend wie Ur- und Frühgeschichtler bei der des DArV. Die strukturellen Probleme beider sind jedoch dieselben und langfristig scheint es sinnig, entsprechende Diskussionen mit Politik und Geldgebern gemeinsam zu führen, beispielsweise über den Deutschen Verband für Archäologie, der als Dachverband noch stärker die Aufgabe hat, gemeinsame Interessen zu vertreten.
Immerhin nimmt sich der DArV dieses Ansatzes an und will sich bei seiner Jahrestagung 2017 in München archäologischen Berufswegen außerhalb der Universität widmen. Themenvorschläge sind erwünscht - gern auch aus außerhalb von Museen, Medien oder Wissenschaftsmanagement.
Korrektur 18.07.: Es gab bei beiden Tagungen auch Vertreter der jeweils anderen Disziplin, zumindest die Diskussionen während der DArV-Tagung drehten sich aber zentriert um die Klassische Archäologie (bei der DGUF-Tagung kann ich es nicht einschätzen).