Kristin Hermann

Reporterin Weser-Kurier und freie Journalistin, Bremen

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Wie Corona-Gegner ihren Familien Weihnachten zerstören

Pia Hoffmann ist verzweifelt: Die 33-Jährige hat versucht, ihre Mutter mit Fakten zu überzeugen - vergeblich. (Quelle: Kristin Hermann)

Weihnachten ist das Fest der Familie. Doch was passiert mit Heiligabend, wenn die eigenen Angehörigen an Corona-Verschwörungen glauben und eine Impfung ablehnen? Drei Betroffene erzählen, wie die Pandemie ihr Weihnachtsfest verändert.

33 Jahre lang hat Pia Hoffmann* mit ihren Eltern Weihnachten gefeiert. Sie haben um die Geschenke gewürfelt, zusammen gegessen, gespielt und gelacht. Dieses Jahr wird die Bremerin den Heiligabend das erste Mal seit ihrer Geburt ohne ihre Familie verbringen. Der Grund: Sie hat sich gegen das Coronavirus impfen lassen, ihre Mutter nicht - weil sie vor dem Impfstoff mehr Angst hat als vor dem Virus selbst, sagt ihre Tochter. Hoffmann hat dafür kein Verständnis.

Die unterschiedlichen Auffassungen haben die einst so harmonische Familie so entzweit, dass sie kaum noch ein Wort miteinander wechseln. Nun hat Hoffmann keine Kraft mehr für Diskussionen. "Das bricht mir das Herz", sagt sie und muss mit den Tränen kämpfen.

Bremerin verzweifelt: "Ich habe versucht, sie aufzuklären"

Hoffmann heißt eigentlich anders, doch aus Angst vor Anfeindungen will sie ihren richtigen Namen nicht öffentlich machen. Zwar sei ihr Vater geimpft, die Beziehung zu ihm sei belastet. Jeden Tag fährt Hoffmann auf dem Weg zur Arbeit mit dem Fahrrad an ihrem Elternhaus vorbei. "Das ist ein schreckliches Gefühl", sagt sie.Was die Tochter auch erschreckt, sind Verschwörungserzählungen ihrer Mutter: "Sie geht zum Beispiel davon aus, dass nächstes Jahr irgendetwas Großes passieren wird. Was genau, lässt sie offen."

"Ich habe wieder und wieder Artikel rausgesucht und versucht, sie über Dinge aufzuklären, habe ihr unter Tränen gesagt, wie groß meine Angst um sie ist, doch es nützt nichts". Und die 33-Jährige kommt mit einem weiteren Punkt nicht zurecht, der mit der Impfverweigerung einhergeht: "Es ist einfach unsolidarisch allen anderen gegenüber", sagt sie.

Das Weihnachtsfest ohne ihre Eltern zu verbringen, fällt Hoffmann dennoch nicht leicht. "Doch es geht mir mittlerweile auch ums Prinzip und ich will mich an die geltenden Regeln halten. Zusammen mit meinem Bruder wären wir zu viele Haushalte", sagt sie.

Ähnlich ergeht es auch Johanna B. aus Bochum. Eigentlich hatte sie sich immer auf Weihnachten auf dem Bauernhof der Großeltern gefreut. Darauf, dass die fast 30-köpfige Familie zusammenkommt. Doch: "In diesem Jahr haben wir uns für Weihnachten ausgeklinkt, weil der Großteil der Familie ungeimpft ist", sagt B. Für sie besonders bitter: Die 19-Jährige studiert Medizin, ihre Eltern arbeiten beide - geimpft - als Ärzte auf Intensivstationen. "Für mich ist das Verhalten meiner Verwandten, als würde man Menschenleben treten. Das fühlt sich schrecklich an", sagt sie.

Hitzige Debatten in der Familie

Unzählige Diskussionen habe es in der Familie schon gegeben. Corona sei "nicht mehr als eine Grippe", die Impfnebenwirkungen völlig unbekannt und die Zulassung des Impfstoffes sei viel zu schnell gelaufen, habe es von Tanten und Cousins geheißen.

B. hat wie auch Pia Hoffmann vergeblich versucht, mit sachlichen Argumenten dagegenzuhalten. "Es gab hitzige Debatten, irgendwann haben wir es aufgegeben - man spricht gegen eine Wand", sagt die 19-Jährige. Ihre Großeltern hätten sich mittlerweile überreden lassen, sich impfen zu lassen. Der Rest der Familie aber sei komplett ungeimpft. Sie selbst habe das ziemlich schockiert. "Das sind eigentlich gescheite Leute, die in anderen Fragen auf die Wissenschaft hören - ich kann es absolut nicht nachvollziehen", sagt Johanna B.

Auch die Erlebnisse auf der Intensivstation, von denen die junge Frau durch ihre Tätigkeit neben dem Studium berichten kann, konnten die Familie nicht umstimmen. "Es ist hart, wenn man sieht, wie Leute an Corona sterben und selbst Intubieren nicht mehr hilft", sagt die angehende Medizinerin.

"Es kommt mir vor wie Gruppenzwang"

Eine ihrer Tanten sei in der ersten Welle selbst an Corona erkrankt. "Ihr Verlauf war relativ mild und das sieht sie jetzt als Bestätigung, dass schwere Verläufe super selten sind", sagt B. Die ungeimpften Familienmitglieder bestätigten sich in ihrer Weltsicht immer wieder gegenseitig. "Mir kommt das vor wie eine Art Gruppenzwang", sagt die Studentin. Ihre Verwandten seien keine Corona-Leugner und besuchten keine Demonstrationen - das Thema sorge trotzdem für einen Riss in der Familie. 

B. wird in diesem Jahr Weihnachten nur mit Eltern und Brüdern verbringen. Plätzchenduft, Geschenke und einen Tannenbaum wird es trotzdem geben. "Besser keinen Streit riskieren", sagt sie. Das Wichtigste aber - es wird fehlen.

Konfliktpotenzial bei Coronaleugnern in der Familie hoch

Wie bei Pia Hoffmann und Johanna B. geht es aktuell in vielen Familien zu. Das bestätigt auch die Berliner Beratungsstelle Veritas, die sich um Betroffene von Verschwörungserzählungen kümmert. "Das Anfrageaufkommen ist grundsätzlich sehr hoch, aber in den vergangenen zwei bis drei Wochen hat es noch mal zugenommen, was durchaus mit Weihnachten zusammenhängen könnte", sagt Berater Niklas Vögeding.

50 Anfragen pro Woche bekämen er und sein Kollege derzeit - fast alle stünden im Zusammenhang mit Corona. Wichtig sei, zwischen wirklichen Leugnern, die Fakten ignorieren, und Menschen, die die aktuellen Maßnahmen kritisieren, zu unterscheiden.

Wenn Verwandte oder Freunde tatsächlich Verschwörungserzählungen anhängen, sei das Konfliktpotenzial hoch. "Für die Betroffenen geht das häufig mit einer hohen psychischen und emotionalen Belastung einher", sagt Vögeding.

Mutter zieht Informationen aus Telegram-Gruppen

Das bekommt auch Sandra Meyer* aus Berlin zu spüren, bei der die Situation noch extremer als bei Pia Hoffmann und Johanna B. ist. Um ihre Familie zu schützen, will auch sie ihren Namen nicht öffentlich machen. Zwar fahren sie und ihre Schwester über Weihnachten zu ihren Eltern, seit Wochen macht sie sich aber Sorgen. Kurz vor dem Fest hat sie sich früher boostern lassen.

Beide Eltern sind Impfgegner und verharmlosen die Pandemie, doch besonders ihre Mutter habe sich in den vergangenen Monaten verändert. "Sie ist mittlerweile an so ziemlich jeder Verschwörungserzählung vorbeigekommen", sagt die Ende-20-Jährige.

"Sie sieht überall Muster, wo keine sind: Bei einem Stromausfall wird der große Blackout gewittert, Corona ist natürlich geplant, die Impfung tötet, es gibt Echsenmenschen und so weiter."

Ihre Erkenntnisse ziehe Meyers Mutters vor allem aus Telegram-Gruppen. "Immer wieder schickt sie krude Theorien in gemeinsame WhatsApp-Gruppen", sagt Meyer. "Ich kann gegen dieses Weltbild gerade nichts ausrichten und das tut weh. Ich habe nicht nur Angst um die Gesundheit meiner Eltern, sondern auch davor, dass sie ihre Jobs verlieren könnten".

Auch die sozialen Kontakte ihrer Eltern hätten bereits gelitten. "Sie umgeben sich fast nur noch mit Leuten, die die Pandemie ebenfalls leugnen oder verharmlosen", sagt die Berlinerin.

"Permanente Anspannung tut nicht gut"

Für die Festtage habe sich die Familie vorgenommen, das Thema so gut es geht zu meiden. Doch leicht sei das nicht, schließlich lauert überall die Gefahr, mit Corona konfrontiert zu werden. "Ich verkürze den Besuch deshalb auch, denn die permanente Anspannung tut mir nicht gut", sagt sie.

Meyer hat sich in den vergangenen Monaten Hilfe gesucht, um die Veränderungen in ihrer Familie besser zu verstehen. "Ich habe Beratungsstellen kontaktiert und tausche mich mit anderen Betroffenen aus. Es hilft, zu wissen, dass man damit nicht allein ist", sagt sie.

Die Beratungsstelle Veritas hat für Hilfesuchende wie Meyer Tipps für den Umgang mit Verschwörungsgläubigen entwickelt. Die Experten raten: Bevor man das Gespräch mit Betroffenen sucht, sollte man sich verdeutlichen, was man sich erhofft. "Will man beispielsweise einfach ein ruhiges Weihnachtsfest miteinander verbringen, oder seine Meinung kundtun?", gibt Niklas Vögeding zu bedenken. Letztlich sollte jeder vorab hinterfragen, was er eigentlich leisten kann und will, denn Belastungsgrenzen seien sehr individuell.

Diskussion über Fakten eskalieren schnell

Verschwörungserzählungen mit Gegenargumenten und Fakten zu begegnen, scheint zwar zunächst naheliegend, wirke laut Veritas aber eher eskalierend und führe zu einer weiteren Distanzierung. "Bei den meisten ist der Verschwörungsglaube ein stark identitätsstiftendes Problem und wenn dem mit Studien und Statistiken begegnet wird, nehmen Betroffene das häufig als Angriff auf", sagt Vögeding.

Menschen, die Verschwörungsideologien anhängen, glaubten oft, sie seien im Besitz von exklusivem Wissen und es sei ihre Aufgabe, dieses Wissen zu verbreiten, so der Experte.

Wer es psychisch aushalte, sollte den Kontakt zu den Betroffenen aufrechterhalten. Dabei könne auch helfen, die Art der Kommunikation zu ändern. "Anstatt etliche Chatnachrichten auszutauschen, kann man etwa einen Brief schreiben. Das entschleunigt und nimmt die Brisanz", rät Vögeding.

"Würde sie auch nicht fallen lassen, wenn sie ein Alkoholproblem hätten"

Familienmitglieder könnten in solchen Situationen sehr wichtig werden, so der Berater weiter: "Angehörige können eine Art Brückenfunktion übernehmen und eine Hand reichen, wenn sich die verschwörungsgläubigen Personen irgendwann wieder von den Inhalten distanzieren. Sind keine sozialen Kontakte mehr übrig, fällt der Ausstieg umso schwerer."

Sandra Meyer will mit ihren Eltern nicht brechen, auch wenn sie den Kontakt reduziert hat. "Ich würde sie ja auch nicht fallen lassen, wenn sie beispielsweise ein Alkoholproblem hätten", sagt sie. Außerdem gebe es eben auch die schönen Momente miteinander - selbst wenn diese deutlich seltener geworden seien. Weihnachten bleibt für sie offensichtlich auch in der schweren Zeit das Fest der Liebe und Familie.

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