Der Extremradler Jonas Deichmann durchfuhr 15 Länder, um von Norwegen nach Südafrika mit dem Rad zu gelangen - ein hart erkämpfter Weltrekord, für den er zuvor teils zehn Stunden täglich auf dem Hometrainer gegen eine weiße Wand starrte.
SPIEGEL: Sie haben für die rund 18.000 Kilometer vom Nordkap in Norwegen bis nach Kapstadt in Südafrika 72 Tage und 7,5 Stunden benötigt - 30 Tage schneller als Ihr Vorgänger. Das ist Ihr vierter Rekord, was war diesmal anders?
Deichmann: Die Panamericana von Alaska nach Feuerland ist auf dem Papier härter, aber die Schwierigkeit bei "Cape to Cape" sind die unvorhersehbaren Situationen in einigen afrikanischen Ländern. Ich bin jeden Morgen mit dem Wissen aufgewacht, dass es auch an diesem Tag eine Überraschung geben wird.
SPIEGEL: Wurde es mal brenzlig?
Deichmann: In Äthiopien bin ich gleich zweimal in bürgerkriegsähnliche Zustände geraten. In Shashamane gab es zu der Zeit ethnische Konflikte mit mehreren Toten, und ich kam an Demonstrationen vorbei. Die meisten Teilnehmer verhielten sich sehr hilfsbereit, nur eine Gruppe junger Männer wurde mir gegenüber aggressiv und kam mir gefährlich nahe. Daraufhin haben sich mehrere ältere Autoritätspersonen um mich herum gestellt und mich zu einem Restaurant geführt, das vergittert war.
SPIEGEL: Haben Sie vor der Tour die Sicherheitslage jedes der 15 Länder gecheckt?
Deichmann: Afrika ist ein Extrembeispiel. Ich habe mich über das Auswärtige Amt und die Botschaften informiert. Man braucht einen groben Überblick und Plan, am Ende aber muss man aus der Situation heraus entscheiden.
SPIEGEL: Sie sind erstmals nicht allein, sondern mit einem Partner, dem Extremsportler und Fotografen Philipp Hympendahl, aufgebrochen. Er musste unterwegs abbrechen - warum?
Deichmann: Wir haben in Ägypten beide eine Lebensmittelvergiftung bekommen. In Äthiopien ist mir das Gleiche noch mal passiert.
SPIEGEL: Mussten auch Sie nicht mal aussetzen?
Deichmann: Ich habe mir nie einen Ruhetag gegönnt. Bei einer Lebensmittelvergiftung fahre ich etwas langsamer, aber trotzdem die üblichen zehn bis elf Stunden täglich. Wenn ich in so einer Situation eine Auszeit einlege, würde mein Körper zusammenbrechen. Letztendlich kann man viel über den Kopf steuern: Ich versuche, mich immer zu konzentrieren und daran zu glauben, dass der nächste Tag besser wird.
SPIEGEL: Sie sind die ganze Strecke ohne Begleitfahrzeug unterwegs gewesen. Was hatten Sie auf dem Rad dabei?
Deichmann: Von allem nur das Nötigste. Das Rad hat acht Kilogramm gewogen und die Ausrüstung sechs - ohne Verpflegung. In Afrika habe ich die Kleidung reduziert und dafür an Ersatzteilen aufgestockt, da es zwischen Kairo und Kapstadt nur einen gut ausgestatteten Fahrradladen in Nairobi gibt.
SPIEGEL: Hatten Sie eine Panne?
Deichmann: Mein Tretlager war in Äthiopien hinüber, und das neue konnte ich selbst nicht einbauen. Letztendlich hat mir ein 13-jähriger Junge in einer Motorradwerkstatt mit Schraubenschlüssel und Hammer ausgeholfen. Da wurde ich schon etwas nervös, aber er hat es gut gemacht.
SPIEGEL: Wie haben Sie unterwegs Ihre Wasser- und Kalorienversorgung sichergestellt?
Deichmann: Ich habe mir vor der Tour ein kleines Fettpolster zugelegt, weil es schwer ist, jeden Tag an die benötigten 10.000 Kalorien zu kommen. Ein Problem bekam ich in der Sahara, als mir das Wasser ausging und ich Nilwasser trinken musste - nicht ungefährlich. Dort bin ich auch nur schwer an Essen gekommen. Nach der zweiten Lebensmittelvergiftung bin ich fast komplett auf Reis mit Ketchup umgestiegen, weil ich kein Risiko eingehen wollte. Manchmal gab es nur Bananen und Kekse.
SPIEGEL: Wie haben Sie übernachtet?
Deichmann: Ich fuhr immer, bis es dunkel wurde - in Afrika habe ich versucht, Nachtfahrten zu vermeiden. Mal habe ich ein Hotel gefunden, häufig gab es keins, und so habe ich in Restaurants, Tankstellen oder auch in Polizeistationen genächtigt.
SPIEGEL: Erinnern Sie sich an besondere Schlafplätze?
Deichmann: In Ägypten wurden Philipp und ich an einer Polizeistation festgehalten, die uns mit dem Pick-up partout in ein Hotel bringen wollten. Das hätte gegen unsere Regeln verstoßen. Daher hat ein ägyptischer Freund per Telefon geholfen und eine Gefängniszelle als Schlafplatz ausgehandelt. Und in Botswana waren die vielen wilden Tiere tagsüber eine großartige Erfahrung, aber nicht nachts. Als es bereits dämmerte, habe ich deshalb mal bei einem Checkpoint gefragt, ob ich dort im Garten zelten dürfte. Sie haben mich dann schnell reingebeten, da gerade ein Elefant durchs Camp lief. Und in der gleichen Nacht wurde ein Hund von einem Löwen gefressen.
SPIEGEL: Welches der 15 Länder ließ sich am einfachsten mit dem Rad durchqueren?
Deichmann: Norwegen und Finnland haben eine wunderschöne Natur und sind relativ leicht zu bereisen. Auch der Iran hat sehr gut gefallen. Die Einheimischen haben mich häufig zu sich eingeladen, auch landschaftlich war das Land großartig.
SPIEGEL: Wo war das Vorankommen eher eine Herausforderung?
Deichmann: In Europa ist Russland sicherlich am gefährlichsten gewesen. Dort gibt es kaum Radwege, und wir mussten zeitweise auf der Autobahn fahren. Einmal hat mich der Seitenspiegel eines Lkw touchiert. Und in Äthiopien liefen viele Kinder hinter uns her, fragten nach Geld, und viele von ihnen warfen mit zum Teil großen Steinen. Das war gefährlich und auch verstörend.
SPIEGEL: Welche Momente waren besonders schön?
Deichmann: Die Begegnungen mit den Menschen. Leute, die kaum etwas haben, teilten trotzdem mit mir. Das hat mich sehr berührt. Und die Nachtfahrten in der Sahara: Tagsüber ist es bei 45 Grad unerbittlich heiß, doch der Sternenhimmel nachts ist eindrucksvoll. Ich hatte das Gefühl, als ob ich ganz allein auf der Welt wäre. Von solchen Eindrücken zehrte ich, wenn es mal nicht so rund lief. Und natürlich die Einfahrt in Kapstadt bei Sonnenuntergang.
SPIEGEL: Solche Reisen sind nichts für Hobbysportler - Sie sind im Schnitt 250 Kilometer gefahren. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?
Deichmann: Ich lebe praktisch zehn Monate im Jahr sowieso auf dem Fahrrad und bin auf Expedition, so komme ich auf etwa 50.000 Kilometer pro Jahr. Kurz bevor es losging, habe ich an Rennen in den Anden teilgenommen und ein Höhentraining absolviert. Für mein Mentaltraining stelle ich einen Hometrainer vor eine weiße Wand und fahre zehn Stunden am Stück. Danach hält man nervlich auch die Wüste durch.
SPIEGEL: Das ist ein Leben voller Extreme, das Sie auf Dauer gewählt haben. Warum?
Deichmann: Als Kinder waren wir immer viel draußen und haben Sport gemacht. Während des Studiums bin ich zwei Jahre lang um die Welt geradelt. Mit den Rekorden kann ich meine Leidenschaften miteinander verbinden: Abenteuer mit Leistungssport.
SPIEGEL: Welchen Stellenwert haben die Rekorde für Sie?
Deichmann: Am wichtigsten sind mir die Erlebnisse und das Abenteuer. Der Rekord kommt an zweiter Stelle, ist aber eine Bestätigung für die harte Arbeit und motiviert mich zusätzlich, weiter schwierige Expeditionen zu unternehmen.
SPIEGEL: Wie finanzieren Sie diese?
Deichmann: Über Sponsoren und Motivationsvorträge.
SPIEGEL: Es gibt drei große Kontinentaldurchquerungen auf der Welt - für alle halten Sie nun den Rekord für Touren ohne Begleitfahrzeug. Zeit für den Ruhestand?
Deichmann: Ich bin erst 32 Jahre alt, da ist an Ruhestand noch nicht zu denken. Mein nächstes Projekt startet im Juli und ist noch geheim - wird aber länger dauern. Im nächsten Frühjahr veröffentlichen mein Team und ich zudem ein Buch und einen Dokumentarfilm über die "Cap to Cap"-Strecke.
SPIEGEL: Haben Sie durch all Ihre Erlebnisse fürs Leben gelernt?
Deichmann: Insbesondere zwei Dinge: Man ist zu viel mehr fähig, als man eigentlich denkt. Das Schwierigste ist, sich an die Startlinie zu wagen. Das andere betrifft die Menschen an sich. Ich war bis jetzt in mehr als hundert Ländern unterwegs. Und trotz aller Konflikte sind die Leute überall auf der Welt im Grunde freundlich und streben nach ähnlichen Werten.
Anmerkung der Redaktion: In der Fotostrecke haben wir ein Gebäude im Nordkaukasus fälschlicherweise als Moschee bezeichnet. Dies haben wir korrigiert.
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