Kinder sind immer früher mit Geräten wie Smartphones konfrontiert. Das hat erhebliche Folgen.
Je früher Kinder ihr erstes Smartphone haben, desto dümmer werden sie. Freilich ist das eine überspitzte und wissenschaftlich so nicht haltbare These. Allerdings wird immer wieder auf die Konsequenzen des übermäßigen Smartphone-Konsums hingewiesen - vor allem bei Kindern.
Außer Frage steht, dass jungen Menschen ihr erstes Handy immer früher zur Verfügung gestellt wird: Wie eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie der education group aus Oberösterreich zeigt, haben mehr als 60 Prozent der Acht- bis Zehnjährigen mittlerweile ein eigenes Smartphone. Auch Zahlen aus einer Studie des deutschen Branchenverbands für Information und Telekommunikation, Bitkom, weisen Ähnliches aus: 2014 hatte nur jedes vierte Kind in Deutschland im Alter von acht oder neun Jahren ein eigenes Smartphone. 2019 waren es bereits 56 Prozent.Für Fritz Weilharter, Professor für Sportpsychologie an der Business & Law School Berlin, ist das eine beunruhigende Entwicklung. Unlängst veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel "Die neue Elite - Warum Kindern ohne Smartphone die Zukunft gehört" (edition a). Darin beschäftigte er sich mit den Folgen der frühen Nutzung digitaler Geräte. "Smartphones haben vielfältige Konsequenzen - auch für Erwachsene. Das reicht von körperlichen Auswirkungen wie Kurzsichtigkeit und Schlafstörungen über soziale Auswirkungen wie zunehmende Vereinsamung bis hin zu psychischen Auswirkungen."
Bei Kindern seien die Konsequenzen aber nochmals gravierender. Sowohl auf kognitiver als auch auf sozialer Ebene habe ein zu früher Kontakt mit dem Smartphone Folgen. So sei es beispielsweise ein Problem, dass Kinder durch die Geräte ungeduldiger würden. Insbesondere in Momenten der Langeweile würden junge Menschen sofort zum Handy greifen, um sich zu beschäftigen. Ein Fehler, wie Weilharter beschreibt, der selbst Vater von vier Kindern ist: "In langweiligen Momenten entstehen im Gehirn Vernetzungen. Wir lernen es nicht nur, Stille und Ruhe auszuhalten. Wir haben auch Zeit, nachzudenken, und bekommen dadurch gute Impulse und Ideen." Kinder, die kein Smartphone zur Hand hätten, könnten deshalb besser mit Langeweile umgehen, seien leistungsfähiger und kreativer.
Die abnehmende Aufmerksamkeit der "Smartphone-Kinder" liege hingegen an den vielen Reizen, mit denen sie konfrontiert seien, sobald sie auf den Bildschirm schauen, wie die Psychologin Marianne Wintersteller beschreibt. "Wenn man diesen Reizen ausgesetzt ist, dann gewöhnt sich das Gehirn daran. In ruhigen Momenten wie beispielsweise im Schulunterricht fährt die Aufmerksamkeit dann herunter, weil zu wenige Reize vorhanden sind." Insbesondere durch Computerspiele seien Kinder vielen Reizen ausgesetzt, weshalb sich häufiges Spielen auf die Konzentrationsfähigkeit auswirken könne.
Vor allem vor einer sehr frühen Auseinandersetzung mit dem Smartphone
warnt die Psychologin. Sie verweist auf die Ergebnisse einer Studie,
die der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland in
Kooperation mit der Universität Duisburg-Essen durchgeführt hat. Darin
konnten Verhaltensauffälligkeiten wie Sprachentwicklungsstörung,
Hyperaktivität
und Konzentrationsstörung in Verbindung mit dem Medienkonsum von Kindern festgestellt werden.
Der Kontakt zum Gerät und die damit einhergehenden Probleme kommen gleichzeitig aber immer früher: "Wenn Mütter am Smartphone sind, während sie ihr Kind stillen, dann ist es schon sehr früh mit der Technik konfrontiert", sagt Wintersteller. Dies habe einerseits Auswirkungen auf die Mutter-Kind-Beziehung. Andererseits könne es auch dazu führen, dass sich Kinder gestresst fühlen und sich schlechter stillen lassen. Die Initiative Saferinternet.at stellte fest, dass über 70 Prozent der Null- bis Sechsjährigen bereits Kontakt mit Smartphone, Tablet oder Computer haben. "Der Erstkontakt kommt natürlich immer früher, da immer mehr Geräte in den Haushalten zu finden sind", sagt der Projektleiter Matthias Jax.
Marianne Wintersteller nimmt deshalb die Eltern in die Pflicht: "Kinder brauchen für die Entwicklung eine direkte Kommunikation. Wenn die Eltern oder die Kinder mit ihrem Handy beschäftigt sind, dann ist der soziale Umgang mit ihnen gestört." Sowohl der Pädagoge Weilharter, die Psychologin Wintersteller als auch Matthias Jax von Saferinternet.at sind sich einig: Je später Kinder einen regelmäßigen Umgang mit Smartphones haben, desto besser ist es für ihre Entwicklung. Sie raten dazu, den Kindern kein eigenes Smartphone vor dem zwölften Lebensjahr zur Verfügung zu stellen. Allerdings warnt Matthias Jax auch davor, Kindern ohne Weiteres das Handy der Eltern oder das Familiengerät in die Hand zu drücken. "Es ist eine zweischneidige Sache: Wenn man Kindern ein eigenes Handy kauft, dann gibt man ein Stück weit die Kontrolle ab. Bei einem Gerät eines Erwachsenen sind Kinder aber häufig mit Inhalten wie Werbung konfrontiert, die für Erwachsene gedacht und deshalb für Kinder ungeeignet sind." Es sei deshalb wichtig, das Verhalten der Kinder im Umgang mit den Geräten zu begleiten. Außerdem sei es wichtig, sich mit den Eltern der Klassenkameraden abzustimmen, damit kein sozialer Druck oder Neid unter den Schülern entstehe.
Auch die Vorbildfunktion der Eltern sei in diesem Zusammenhang wichtig. Buchautor Weilharter fordert die Eltern auf, das eigene Verhalten kritisch zu hinterfragen und den Kindern ein verantwortungsbewusstes Verhalten im Umgang mit dem Smartphone vorzuleben. "Aus der Bildungstherapie weiß man, dass Kinder das Verhalten der Eltern nachmachen."
Insbesondere für die Tage, Wochen und Monate während der Coronapandemie rät Weilharter den Eltern, die Zeit zu nutzen, um mit den Kindern Brettspiele zu spielen, sie malen zu lassen oder zusammen mit ihnen zu kochen. "Mir ist natürlich bewusst, wie schwierig das in diesen Zeiten auch sein kann. Doch wenn man das jetzt nicht macht, dann zahlt man später einen hohen Preis", warnt er. Außerdem seien Beschäftigungen abseits der digitalen Welt eine Bereicherung für Kinder: Sie würden deutlich mehr Leidenschaft entwickeln und Hobbys wie Sport oder Musik deutlich intensiver erleben. "Konkret heißt das, wenn man die Covidsituation nutzt, um Kindern analoge Tätigkeiten nahezulegen, dann werden sie schlauer und entwickeln mehr Potenziale", fasst Weilharter zusammen.