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Überwachung macht unfrei: Kommt nach Pegasus die Selbstzensur?

Der Pegasus-Skandal hallt bei Journalisten nach. Überwachung kann uns aber alle unfrei machen, zeigen Studien. Warum man sich „konformer“ verhält, wenn man sich überwacht fühlt.

Von Konstantin Schätz

Salzburg. Vor noch einiger Zeit hätte man es als unwahrscheinlich – vielleicht sogar als undenkbar abgetan. Geheimdienste und Polizeibehörden mehrerer Länder haben mithilfe einer Spähsoftware oppositionelle Politiker, Aktivisten und Journalisten überwacht. Besonders perfide ist, dass die Betroffenen das Gerät zur eigenen Überwachung in der Hosentasche mit sich tragen. Wurde die Spionagesoftware „Pegasus“ auf dem Smartphone installiert, ermöglicht diese Zugriff auf Bilder, Chatverläufe und Standortdaten. Das Mikrofon und die Kamera können jederzeit aktiviert werden. Das Abhören vertraulicher Gespräche ist somit immer dann möglich, wenn sich das Smartphone im selben Raum befindet.

Diese neue Form der Überwachung beunruhigt vor allem Journalisten im investigativen Bereich. Man sorgt sich um Quellen, die aus Sicherheitsgründen anonym bleiben wollen. In einem Interview mit der Rundfunkanstalt NDR spricht der Journalist Frederik Obermaier – der an der Pegasus-Recherche beteiligt war – das aus, was viele in der Branche denken: „Die Folgen sind in meinen Augen gravierend. Wir müssen jeden Moment damit rechnen, dass sämtliche Kommunikation, die über unser Smartphone läuft, überwacht werden kann.“ Es ist genau jene Angst, die schon jetzt Einfluss auf die Arbeit von Journalisten nehmen kann.

In der Psychologie wird das Phänomen als „Chilling Effect“ bezeichnet. Landläufig ist es als Schere im Kopf oder Selbstzensur bekannt. In einer Studie von 1975 konnte der Psychologe Gregory White nachweisen, dass sich Menschen „konformer“ verhalten, wenn sie sich beobachtet oder überwacht fühlen. Indem man sich am Verhalten der Umwelt orientiert, versucht man in der Masse unterzugehen. Je stärker das Gefühl der Überwachung ist, desto ausgeprägter ist die Selbstzensur. White und sein Team kamen in der Studie zu dem Schluss, dass Überwachung psychologisch betrachtet eine Verletzung der Meinungsfreiheit ist.

Auf gesellschaftlicher Ebene konnte der Effekt nachgewiesen werden, als der Whistleblower Edward Snowden im Jahr 2013 bekannt machte, dass der US-amerikanische Auslandsgeheimdienst NSA die Telekommunikation und das Internet überwachen ließ. Jeder konnte von den Überwachungen betroffen sein. Kanadische Wissenschafter stellten fest, dass sich das Suchverhalten der Menschen daraufhin veränderte. Durch die Auswertung von Zugriffszahlen auf Seiten der Internet-Enzyklopädie Wikipedia konnten sie nachweisen, dass Artikel um brisante Themen wie Terrorismus oder Krieg weniger häufig aufgerufen wurden. Ähnlich wie das Forscherteam um Gregory White kamen sie zu dem Schluss, dass der „überwachungsbedingte Abschreckungseffekt schwerwiegende Auswirkungen auf die öffentliche Diskussion über wichtige Themen hat“.

Insbesondere der Journalismus ist vom „Chilling Effect“ betroffen, wie die norwegische Journalistin und Journalismusforscherin Elisabeth Eide in einem Artikel von 2017 feststellte. Anlässlich der Pegasus-Enthüllungen betont sie: „Die Überwachung von Journalistinnen und Journalisten ist eine Bedrohung der Pressefreiheit und des freien Informationsflusses. Es ist eine Schwächung der Demokratie.“ Durch die Selbstzensur werde das Recht auf eine aufgeklärte Diskussion eingeschränkt. Wie stark die Einschüchterung durch die Überwachung sei, sei abhängig von der Stärke der Demokratie in einem Land. In autoritären Ländern würden Überwachungs- und Einschüchterungsmaßnahmen mit Verweis auf die „nationale Sicherheit“ brutaler umgesetzt als in Demokratien.

Doch auch in Ländern wie den USA konnte man den „Chilling Effect“ bei Journalisten feststellen. Eine Untersuchung des US-amerikanischen Autorenverbands PEN zeigte beispielsweise, dass sich viele Schriftsteller und Journalisten überwacht fühlten, seit die verschärften Sicherheitsmaßnahmen des „Patriot Act“ nach den Anschlägen von 9/11 in Kraft getreten sind: „Bibliothekare wurden damals angewiesen, verdächtige Buchausleihen zu melden“, führt Elisabeth Eide als Beispiel an.

Journalisten seien aber auch in der Lage, sich gegen die zunehmende Überwachung zur Wehr zu setzen und das täten sie auch, betont die Journalismusforscherin. Vor allem starke Netzwerke des investigativen Journalismus seien in diesem Zusammenhang wichtig. Ein Paradebeispiel dafür sei die länderübergreifende Veröffentlichung der „Panama Papers“ im Jahr 2016. Auch die Enthüllungen um die Pegasus-Software erfolgten in einer Zusammenarbeit von 80 Journalisten aus verschiedenen Ländern. Die Aufdeckung der Spionagesoftware selbst zeigt also, dass der Journalismus nicht klein beigibt.
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