Bevor der Guru Bhagwan mit seinem Ashram von Indien in die USA zog, trat er in eine Schweigephase ein und seine Sekretärin konnte die Kontrolle übernehmen.
(Foto: Netflix)Eigentlich ist es kaum zu glauben, dass heute nur noch so wenige die außergewöhnliche Geschichte vom Guru Bhagwan und seinen Anhängern kennen. Sogar die, die sie damals in den Nachrichten mitgekriegt haben, erinnern sich oft nur noch vage an ekstatische Nackedeis und eine Art bärtigen Zauberer, der eine Flotte von 93 Rolls Royces besaß und über den man Witze mit dem Wort "Backwaren" machen konnte - ein schräges Boulevard-Phänomen der Post-Hippie-Ära.
Diese Geschichte wird jetzt wieder erzählt, in der sechsteiligen Netflix-Doku "Wild Wild Country". Und das ist ein Glück, denn sie ist nicht nur eine sehr gute Geschichte und sehr gut erzählt (wer hätte gedacht, dass man Dokus bingewatchen kann?), sondern zeigt vor allem einen immer wiederkehrenden gesellschaftlichen Konflikt, den man so überspitzt und so exemplarisch lange suchen muss: den Konflikt zwischen Jung und Alt, zwischen Avantgarde und Mainstream, zwischen einer attraktiven, weltgewandten und überheblichen Elite und einer altmodischen, verbohrten und neidischen Landbevölkerung. Und deshalb sollte diese Geschichte eigentlich in jedem Soziologie-Grundlagenbuch stehen, jawohl.
Die Geschichte geht so: Bhagwan Shree Rajneesh war ein indischer Philosophieprofessor und spiritueller Lehrer. Er kam Anfang der Achtziger in die USA und kaufte ein riesiges Areal in den Bergen Oregons, um dort eine Stadt zu gründen, in der der neue Mensch leben sollte. Aus der ganzen Welt folgten ihm seine Schüler, zogen sich rote Kleider an, bewässerten die Wüste und bauten die Stadt - Rajneeshpuram.
Jetzt sind Sekten an sich schon wunderbarer Doku-Stoff. Wer die Geschichte nicht kennt, könnte eine unterhaltsame Freakshow erwarten, die nebenbei vor den Gefahren einer Sekte warnt: Ausbeutung, Gruppenzwang und ein bisschen rituelles Gefummel, bis das versprochene Raumschiff die Auserwählten abholt. Nur, so einfach war es nicht mit den Rajneeshees.
Aberwitzige AusmaßeBhagwans Jünger waren zum größten Teil junge, gutaussehende, gut ausgebildete Frauen und Männer. Ein Raumschiff gab es nicht und auch sonst wenig Übersinnliches. Es gab Pizza und Bier statt Ayurvedakost und statt rituellem Gefummel einfach Gefummel immer und überall ohne speziellen Grund. Bhagwan bekam von seinen Anhängern zwar Geld, Golduhren und die berühmten 93 Rolls Royces, inszenierte diese aber auch bewusst als Parodie auf den amerikanischen Traum, so wie auch die roten Gewänder als Parodie auf die traditionelle Kleidung hinduistischer und buddhistischer Geistlicher, bezeichnete sich überhaupt als "selbst-parodisierender Guru", kurz: Das Leben in Rajneeshpuram sollte vor allem ein gewaltiges Happening sein. Man sah sich als Teil des einen großen gesellschaftlichen Experiments, das die Welt endlich zu einem besseren Ort machen würde.
Bloß: Was nach der Stadtgründung passierte, war nicht die Umsetzung der großen Ideen. Was passierte, war ein todernstes und gleichzeitig völlig lächerliches Räuber- und Gendarmespiel. Es begann 1981, nachdem die Rajneeshees in die geregelten Lebensverhältnisse des ländlichen Oregon eingedrungen waren. Bhagwan trat in den Hintergrund und die Clique um seine junge Stellvertreterin Ma Anand Sheela übernahm die Kontrolle. In den nächsten Jahren nahm der Kampf mit der umliegenden Bevölkerung und den Behörden dann so aberwitzige Ausmaße an, dass man heute kaum fassen kann, dass das alles wirklich so passiert ist, weshalb sich "Wild Wild Country" eher wie ein Spielfilm anfühlt. Unter anderem dabei: Bioterror, ein Heer aus Obdachlosen und - der Himmel stehe uns bei - in Küchenmixern pürierte Biber.
Und immer wieder Pressekonferenzen und Talkshows, bei denen diese jungen Leute charmant und genüsslich alles und jeden beleidigen und unmissverständlich klar machen, dass sie auf niemanden angewiesen sind, dass dieser ganze alberne Status Quo nur Ballast für sie ist. Dass ihnen die Geschichte Recht geben wird.
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