Klaus Ehringfeld

Korrespondent und Reporter für Lateinamerika, Mexiko-Stadt

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Vor dem Finale der Copa América: Ist das der beste Messi aller Zeiten?

Das Halbfinale war vielleicht sein schwächstes Spiel bei der Copa América. Aber das heißt bei diesem Turnier nicht viel. Auch beim Sieg gegen Kolumbien steuerte Lionel Messi eine Torvorlage bei und verwandelte im anschließenden Elfmeterschießen als Erster.

Messi scheint bei dieser Copa für nahezu alles zuständig in seinem Team. Der Kapitän legt ab und auf, trifft von elf Metern und mit Freistößen oder Hebern. Ende Juni 34 Jahre alt geworden, spielt er vielleicht sein vorletztes großes Turnier für die himmelblau-weiße Auswahl. Und es ist sein bisher bestes.

Vier Tore und fünf Vorlagen steuerte er bei, an 80 Prozent der argentinischen Tore war Messi bei der Südamerikameisterschaft bisher beteiligt. Viermal wurde der Stürmer zum besten Spieler gewählt. So habe man ihn im Trikot der Nationalmannschaft noch nicht gesehen, sind sich Fans und Fachleute einig: so viel Spielfreude, so viel Tore, so viel Vorlagen, so viel Vorbild.

Und nun trifft Messi am Samstagabend (Sonntag, 2 Uhr MEZ) im Finale auf Brasilien und Neymar, seinen alten Kumpel aus gemeinsamen Zeiten beim FC Barcelona. Und das vor ein bisschen Publikum. 2200 Anhänger darf jedes Land nach Rio schicken. Insgesamt erlaubten die Behörden zehn Prozent des Fassungsvermögens des Maracanã, also 7200 Zuschauer.

Gegen jede Vernunft

Zu verdanken haben Messi und Neymar diese Final-Chance dem brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro, der dieses Turnier gegen jede Vernunft an sich zog, nachdem die beiden Co-Gastgeber abgesagt hatten. Kolumbien zog wegen sozialer Proteste zurück, Argentinien gab die Gastgeberrolle aufgrund hoher Corona-Inzidenz ab.

Der rechte Populist Bolsonaro, der über den Fußball Volksnähe zeigen will, wollte mit dem Turnier seine sinkenden Umfragewerte aufbessern. Dass sein Land ein Virusvarianten-Gebiet ist und selbst die eigene Nationalmannschaft den Sinn des Turniers anzweifelte, war ihm egal. Auch die ablehnende Haltung der Bevölkerung, die mehr als eine halbe Million Coronatote zu beklagen hat, interessierte ihn nicht.

Die Skepsis war berechtigt. Noch vor dem ersten Spiel musste Venezuela nach 15 Coronafällen im Team praktisch eine komplette Mannschaft nachnominieren. Mehr als 160 Corona-Ansteckungen hat es in den Teams gegeben, 37 waren dabei Spieler, Trainer oder Betreuer. 125 Fälle wurden bei Fahrern, Reinigungskräften und anderen Dienstleisterinnen und Dienstleistern diagnostiziert. Diese Angestellten sind zumeist Brasilianer, die das Virus möglicherweise in ihre Familien getragen haben.

Daher fürchten Gesundheitsfachleute, dass das Turnier noch mal eine neue Ansteckungswelle nach sich ziehen könnte, zumal in Brasilien gerade einmal 13 Prozent der 220 Millionen Menschen vollständig geimpft sind. Aber die Conmebol, der südamerikanische Fußballverband, der mit Bolsonaro die Copa durchboxte, war rigoros bei Kritik am Turnier. Als sich der bolivianische Spieler Marcelo Moreno infizierte und dem Verband vorwarf, mit der Copa die Gesundheit der Spieler zu gefährden, gab es kein Verständnis, sondern eine harte Strafe: Der frühere Stürmer von Werder Bremen wurde für ein Spiel gesperrt und musste 20.000 Dollar zahlen.

"Cova América": Kritik aus dem Volk

Dabei sehen auch die Brasilianerinnen und Brasilianer das Turnier ähnlich kritisch wie Moreno. "Cova América" haben sie das Turnier umgetauft. "Cova" ist das portugiesische Wort für Grab. Zur Kritik tragen Berichte bei, wonach die chilenischen Spieler Party gemacht und Prostituierte eingeladen haben. Und die Brasilianer ließen heimlich einen Friseur in die Blase einfliegen, der das halbe Team aufhübschte.

Messi und seine Mannschaft sind derweil fokussiert auf das größte Ziel - den ersten Titel seit 28 Jahren. Es war noch im vergangenen Jahrtausend, als die "Albiceleste" zuletzt was gewann: 1986 die WM und 1993 die Copa América. Auch deswegen haben Fans und Fachleute im fußballverrücktesten Land Lateinamerikas trotz der Umstände dieser Corona-Copa längst Feuer gefangen. Der Auftritt ihres Kapitäns im Turnier beflügelt die Träume: "Der beste Messi aller Zeiten", titeln die Sportzeitungen. Manchmal nur versehen sie diesen Satz mit einem Fragezeichen.

Messi sei reifer, heißt es, spiele endlich wie ein Anführer, habe eine andere Körpersprache, lache und lasse sich auf dem Platz nicht mehr gehen. Der bekannte Sportreporter Carlos Salgado, der lange schon über die himmelblaue Auswahl schreibt, sagte: "So habe ich Messi noch nie im argentinischen Trikot gesehen." Und dann verstieg er sich zum größten und gewagtesten aller Komplimente: "Messi spielt endlich wie Maradona."

Er will Pelés Rekord - und endlich einen Titel

Für Messi geht es bei dieser Südamerikameisterschaft auch um zwei persönliche Ziele. Er jegt Pelés Rekord der meisten internationalen Tore. Trifft er im Finale einmal, zieht er mit der brasilianischen Legende mit 77 Treffern als erfolgreichster Torschütze Lateinamerikas gleich. Wichtiger aber ist für ihn wohl, endlich einen Titel mit der Nationalmannschaft zu erringen. Seine ewigen Rivalen Cristiano Ronaldo (Europameister mit Portugal 2016) haben das dem Argentinier voraus.

Bei der WM in Katar in 15 Monaten dürfte das wesentlich schwerer werden. Dann ist Messi 35 Jahre alt und Argentinien misst sich mit den starken europäischen Teams. Der ungekrönte Argentinier hat bisher vier Finals verloren, dreimal bei einer Copa América und vor allem vor sieben Jahren das WM-Endspiel in Rio gegen Deutschland.

In Lateinamerika freuen sich die Menschen auf ein spannendes Fußball-Wochenende. Erst Copa-Endspiel, dann einen Tag später EM-Finale. Auch die Präsidenten beider Länder, Bolsonaro und Alberto Fernández, die sich in herzlicher Abneigung zugetan sind, frotzelten beim Gipfel Mercosur-Staaten jüngst über das Spiel. Und der großmäulige Brasilianer hielt seinem Gegenüber auf der Videokonferenz die Hand mit den fünf ausgestreckten Fingern über den Bildschirm entgegen: "5:0 gewinnen wir."

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes hieß es, Neymar habe 2019 die Copa mit Brasilien gewonnen. Tatsächlich hatte Neymar sich zuvor einen Bänderriss zugezogen und war bei dem Turnier, das den Titel für Brasilien brachte, nicht dabei.
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