Klaus Ehringfeld

Korrespondent und Reporter für Lateinamerika, Mexiko-Stadt

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Mexiko vor der Wahl: Der Mann, der mit den Drogenfürsten Frieden schließen will - SPIEGEL ONLINE - Politik

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Andrés Manuel López Obrador spricht vielen Mexikanern aus der Seele, mögen seine Versprechen auch noch so absurd klingen. So will er den Drogenbaronen eine Amnestie anbieten und verspricht, den bürgerkriegsähnlichen Konflikt der Kartelle in drei Jahren zu beenden.

Mit diesem Kurs will López Obrador, der Linkskandidat, am 1. Juli neuer Präsident Mexikos werden. Viele Landsleute trauen ihm obendrein auch noch zu, dem Krawallmacher Donald Trump die Stirn zu bieten: "Er und Trump haben ähnliche Charakterzüge", sagte Juan Pardinas dem SPIEGEL. "Beide pflegen einen personalistischen Politikstil und glauben, ihre Präsenz allein verändere Politik", so der Präsident des Wirtschaftsthinktank IMCO. "Aber beide sind keine großen Anhänger der Institutionen."

Offiziell beginnt der Wahlkampf zwar erst im März, aber schon jetzt ist die Angst bei Politik und Eliten groß, der 64-Jährige könne mit seiner linksgerichteten Koalition "Gemeinsam schreiben wir Geschichte" im dritten Versuch nun wirklich das zweitgrößte Land Lateinamerikas übernehmen. AMLO, wie López Obrador nach den Anfangsbuchstaben seines Namens genannt wird, führt komfortabel in allen Umfragen.

Um seinen Sieg noch zu verhindern, setzen seine Gegner auf ein verlässliches Schreckensszenario: Venezuela. Mitte Januar tauchten in fünf venezolanischen Städten ungewöhnliche Propagandaslogans auf. "López Obrador es revolución mexicana" - "López Obrador ist mexikanische Revolution" hatten Unbekannte auf Mauern und Hauswände gemalt. Unterzeichnet war der Slogan mit dem Kürzel der regierenden Sozialistischen Einheitspartei PSUV von Präsident Nicolás Maduro.

Mexikanische Medien, die der amtierenden Regierung von Präsident Enrique Peña Nieto nahestehen, verbreiteten die Bilder sogleich über alle Kanäle und warnten: Hier ist ein weiterer Beweis, dass AMLO von der Regierung in Caracas unterstützt wird. Die PSUV dementierte umgehend, doch das störte nur wenig.

Tatsächlich sind die Graffitis plump und vermutlich eher Teil einer aus seiner Heimat orchestrierten Verleumdungskampagne gegen López Obrador. Schließlich fallen sie zusammen mit gefälschten Videos, warnenden Leitartikeln und unbewiesenen Behauptungen in Mexiko. Immer ist der Tenor gleich: Wenn López Obrador gewinnt, wird Mexiko das zweite Venezuela. Selbst Vertreter deutscher Unternehmen, die seit Jahren im Land sind, orakeln düster, ein Wahlsieg des Linkskandidaten käme dem Untergang Mexikos gleich.

Im Volk dagegen wächst der Zuspruch für den linken Kandidaten. Die Mexikaner sind wütend und desillusioniert, ob der Unfähigkeit und Bestechlichkeit der aktuellen und der Vorgängerregierungen:

In Peña Nietos Amtszeit fallen mehr als 100.000 Tote im sinnlosen Krieg gegen die organisierte Kriminalität. Zudem wächst die Wirtschaft kaum. Dafür steigen die Kosten für Benzin, Strom und Gas nach den Strukturreformen. Mexiko leidet unter der höchsten Inflation seit Jahren. Und kaum ein Tag vergeht, ohne dass die Medien über einen Politiker oder Gouverneur berichten, der sich die Taschen vollstopft.

Die meisten Mexikaner zählen die Tage, bis Peña Nieto und seine sozialdemokratische Partei PRI endlich gehen. Bei der Wahl im Juli stellt die PRI vorsichtshalber auch keinen Politiker aus den eigenen Reihen, sondern unterstützt mit Ex-Finanzminister José-Antonio Meade einen parteilosen Bewerber.

AMLO ist der anti-systemische Kandidat, auch wenn er selbst dem Apparat der PRI entstammt, die Mexiko von 1929 bis 2001 und nun seit 2012 wieder regiert. Aber der Politiker aus dem Bundesstaat Tabasco verließ die Partei früh, war Mitgründer der Linkspartei PRD und managte von 2000 bis 2005 erfolgreich als Bürgermeister die Megalopolis Mexiko-Stadt. Er schuf eine Grundversicherung für Arme und Alte und schied mit 84 Prozent Zustimmung aus dem Amt.

Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman rief dazu auf, López Obrador eine faire Chance zu geben. Man habe auch den Brasilianer Lula da Silva vor seiner Wahl als einen "gefährlichen Populisten" dargestellt, sagte Krugman bei einem Besuch in Mexiko: "Aber am Ende war er ein guter Präsident."

Doch die etablierten Parteien, allen voran die PRI, wollen AMLO unbedingt verhindern und setzen auf die Strategie, die schon zwei Mal funktionierte. 2006 führte López Obrador auch lange komfortabel gegen den PAN-Kandidaten Felipe Calderón. Dann spielte der die Venezuela-Karte. "AMLO ist eine Gefahr für Mexiko", lautete der Slogan. Der Linkskandidat wolle den Sozialismus einführen und die Institutionen zerstören. Die Kampagne zündete. Und vor sechs Jahren wiederholte sich das Spiel mit Peña Nieto und der PRI.

AMLO selbst kontert Vorwürfe von PRI-Konkurrent Meade, er werde von Russland unterstützt, mit Ironie. In einem Video zeigte er sich jüngst im Hafen von Veracruz und sagte, er warte auf das russische U-Boot, das ihm das versprochene Gold bringe. Und überhaupt heiße er jetzt "Andrés Manuelowitsch".

Aber wie ernst es den Mächtigen in Mexiko ist, AMLO zu verhindern, zeigt das Auftauchen des gefürchteten Wahlkampfstrategen Juan José Rendón. Der Venezolaner, der schon in vielen Ländern erfolgreich die Kampagnen rechter Politiker entworfen hat, sagte einer mexikanischen Zeitschrift: "Ich werde im Rahmen der Gesetze alles in meiner Macht stehende tun, damit AMLO nicht Präsident wird." López Obrador nennt Rendón einen "publizistischen Söldner" und ist sich sicher: "Er steckt hinter den gefälschten Wahlslogans in Venezuela."

Zusammengefasst: Andrés Manuel López Obrador möchte im dritten Anlauf Präsident von Mexiko werden. Das könnte klappen, er liegt in den Umfragen vorn. Vor allem die Unzufriedenheit vieler Bürger mit den etablierten Parteien hilft dem Linken. Doch seine Gegner hoffen auf eine Taktik, die bereits in der Vergangenheit funktioniert hat: Mit einer Machtübernahme der Linken drohe aus Mexiko ein zweites Venezuela zu werden.

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