Klaus Martin Höfer

Hörfunkjournalist, Zeitschriftenredakteur, Fotoreporter, Hochschuldozent, Autor

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Erst kam sie selbst zur Beratung - jetzt leitet sie das Büro


Zahra Hassanpour kam aus dem Iran nach Deutschland, besuchte Integrationskurse und fand auch ziemlich schnell den Weg zum Jugendmigrationsdienst Ludwigshafen. Sie engagierte sich ehrenamtlich, arbeitete später hauptberuflich in der Flüchtlingsberatung. Im Iran hatte sie Modedesign studiert; ein Studium der Sozialarbeit eröffnete ihr in Deutschland neue berufliche Möglichkeiten.


Um Punkt zwölf Uhr wird es laut. Die Glocken im Turm der nahen Kirche lassen jedes Gespräch verstummen. Doch nur für kurze Zeit. Im Büro, das Zahra Hassanpour bislang genutzt hat, mit dem Schreibtisch, dem Besprechungstisch und den großen Fenstertüren, gibt es lediglich eine kleine Geprächspause, wenn sie Besuch hat. Gäste mit Beratungsbedarf hat sie oft.

Ludwigshafen hat mit einem mehr als 40 Prozent hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund einen der höchsten aller Städte in Deutschland. Das Büro des Jugendmigrationsdienste der Caritas liegt in Mundenheim, einem Stadtteil, in dem besonders viele Migrantinnen und Migranten und deren Nachkommen leben. Zahra Hassanpour arbeite seit zwei Jahren für den Jugendmigrationsdienst als Sozialarbeiterin, mittlerweile als Chefin: Denn ihre langjährige Kollegin Susanne Gutting verlässt den Jugendmigrationsdienst und arbeitet  künftig für das Jugendamt der Stadt. Dass sie einmal die Beratungsstelle leiten wird, war Zahra war sicherlich nicht klar, als die zum ersten Mal das Büro betrat: Damals sucht sie selbst um Rat und wollte ihre Deutschkenntnisse verbessern.

Zahra kam damals als einzige aus ihrer Familie nach Deutschland

Das Datum, an dem Zahra nach Deutschland, weiß sie noch genau: Am 4. Juli 2009  konnte sie einreisen; ihr Mann wartete bereits. „Ich habe einen Intergrationskurs besucht und war fünf Monate zum Deutschlernen an der Volkshochschule", erinnert sie sich. Die nächsten Sprachkurse besuchte sie dann beim Jugendmigrationsdienst – und engagierte sich zudem bereits als Dozentin:  Für Migrantinnen und ihre Kinder bot sie Kunstkurse an, schließlich hatte sie im Iran Modedesign studiert. Und sie gab persische Kochkurse beim internationalen Frauentreff des Jugendmigrationsdienstes. Später, als ihr Deutsch besser war, hat sie dann ehrenamtlich persischsprachige Menschen bei Behördengängen und bei Arztbesuchen begleitet. „Ich war sogar einmal bei einer Geburt dabei", erinnert sie sich.

Studieren und gleichzeit noch arbeiten – das war für sie eine anstrengende Zeit

Zum Wintersemester 2015 hat sie dann ein Fernstudium der Sozialarbeit aufgenommen und gleichzeitig als Familienhelferin bei der Ökumenischen Fördergemeinschaft gearbeitet, einer Einrichtung der Kirchen, die sich unter anderem um Flüchtlinge und unbegleitete minderjährige Ausländer kümmert. „Dreieinhalb Jahre studieren und arbeiten – das war sehr anstrengend," erinnert sie sich. Doch der Bachelor-Abschluss ermöglichte ihr dann, sich beim Jugendmigrationsdienst als Sozialarbeiterin zu bewerben. An das Vorstellungsgespräch Anfang Juli 2020 kann sie sich noch genau erinnern. Wenige Tage später, im August, trat sie dann ihre neue Stelle an.

An vielen Orten in Ludwigshafen ist die Handy-Nummer bekannt

Zahra und ihre Kollegin beraten im JMD Kinder und Jugendliche Im Alter von zwölf bis 27 Jahren und deren Eltern. Es geht um Fragen zur Ausbildung, zum Schulbesuch, aber sehr oft auch um den Aufenthaltsstatus. Rechtsberatung geben sie allerdings keine. Die Handy-Nummer des JMD hängt an vielen Stellen aus: Jugendzentren, Treffpunkten von Migranten, zum Beispiel einem beliebten Kino, und auch in Schulen mit hohem Anteil an Migranten und bei Behörden.

Eine der Schulen mit vielen Schülerinnen und Schülern aus Familien, die aus anderen Ländern zugewandert sind, liegt genau gegenüber des Ludwighafener JMD-Büros. Mittags strömen sie zur nahen Tram-Haltestelle, und manchmal gehen auch welche ein paar zusätzliche Meter weiter zur Beratung.

Zahra begleitet einzelne Geflüchtete über Jahre hinweg

In diesem Jahr sind bis Ende August 135 Menschen bei der Beratung des JMD im Stadtteil Mundenheim vorstellig geworden. Die Anzahl der Hilfesuchtenden ist dabei das eine, wie oft und wie lange einzelne Jugendliche Hilfe benötigen, das andere. Denn viele von ihnen werden über Jahre von den Sozialarbeiterinnen in der Beratungsstelle  begleitet. Einige von ihnen sind Zahra dabei besonders im Gedächtnis geblieben. „Einen 19-jähringen Somalier haben wir innerhalb von 24 Stunden als Azubi in einer Ein-Mann-Maler-Firma untergebracht", erinnert sie sich. Der Malermeister musste auf die Schnelle überzeugt werden. Als Asylbewerber war der junge Somalier abgelehnt worden, aber mit dem Ausbildungsvertrag in der Tasche erhielt er trotzdem eine „Duldung", in Deutschland bleiben zu dürfen.
„Es geht oft auch darum, den Jugendlichen zu helfen, sich selbst klar zu werden, was sie wollen," sagt Zahra. Vor allem, wenn der Asylantrag abgelehnt wurde. Wollen sie wirklich versuchen, sich trotzdem in Deutschland ihre Zukunft aufzubauen? Oder wollen sie, wenn die Hürden dafür so hoch sind, dann lieber zurück in die Heimat? Für den jungen Somalier war es klar: Er wollte tatsächlich in Deutschland weiterkommen – und dies mit einer Ausbildung zum Maler und Lackierer.
Zahra kümmert sich auch um minderjährige Flüchtlinge, die ohne Verwandte oder Erziehungsberichte hergekommen sind. Sie leben zumeist in Einrichtungen für Betreutes Wohnen. Auch bei ihnen geht es oft um Asylverfahren, welche Möglichkeiten es gibt, ob vielleicht auch die Eltern nachkommen können.

Fragen nach Bildungs- und Schulabschlüssen – nicht bei bei Geflüchteten

Nicht immer sind es jedoch geflüchtete Menschen, die Zahra und ihre Kollegin um Rat fragen. „Es kann auch jemand sein, die nach einem Au-Pair-Aufenthalt in Deutschland bleiben und studieren oder arbeiten möchte", erläutert Susanne Gutting, die bislang Zahras Chefin war. „Wir beraten auch, wenn es um Fragen der Anerkunng von Bildungsabschlüssen geht." Zum Beispiel bei Ukrainerinnen: Bei ihnen geht es auch oft um die behördlichen Anmeldung und unter welchen Umständen jemand umziehen darf, welche Reihenfolge dabei zu beachten ist. Oder wie die Kinder einen Platz an einer Schule finden können.
Zahra und ihre Kollegin müssen nicht nur bei diesen Fragen immer über die aktuellen Vereinbarungen auf politischer Ebene und deren Auswirkungen auf die Arbeit der Behörden informiert sein. „Wichig ist auch, das wir nicht versuchen, alle Fragen bei nur einem Besuchstermin zu klären", hat Zahra gelernt. Sie selbst hat etliche Fortbildungen und Fachkonferenzen besucht und tauscht sich mit erfahrenen Kolleginnen aus, um die oft komplizierten Regelungen zu verstehen.

Zahra treibt auch die Sorge um ihre Familie im Iran um

Ob geflüchtet oder nicht: Für Zahra ist ist immer wieder „eine Freunde, wenn Jugendliche sich intergrieren und sich ein neues Leben aufbauen", sagt sie. Ganz das alte Leben zurücklassen, kann dabei wahrscheinlich niemand, sie selbst auch nicht. Ihre Verwandten sind noch im Iran, und bei den aktuellen Entwicklungen dort hat sie große Sorgen – „insbesondere, wenn wieder mal das Internet abgestellt wird und für Stunden oder Tage niemand erreichbar ist," sagt sie.

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