Das Instagram-Profil von Tamara Sattler aus Worms ist ein digitaler Modekatalog, ein Mädchentraum in Rosa und Weiß. Über 31.000 Menschen folgen ihr - in der Region ist sie das, was man mit dem Modewort "Influencerin" bezeichnen würde.
Noch zehn Sekunden, bis die Kamera auslöst. Tamara und Joi stehen vor dem Pavillon im Herrnsheimer Schlosspark, vor ihnen eine Kamera auf einem Stativ. Der Selbstauslöser zählt. Noch fünf Sekunden. Tamara hält einen Strauß rosa Rosen in der Hand. Sie schaut nicht in die Kamera, sondern ins Gesicht ihrer Freundin. Sie lächelt so sehr, dass man ihre Augen nicht mehr sieht. Noch drei Sekunden. Joi zupft noch einmal ihr Kleid zurecht und streift die Haare aus dem Gesicht. Jetzt zieht sie den Arm nach oben, ausgelassen und frech soll es aussehen. Hey, schaut mal, wir haben Spaß! Noch eine Sekunde - Klick!
Was später wie ein spontaner Schnappschuss aussieht, ist eigentlich minutiös zurechtgerückt und ein Dutzend Mal wiederholt worden. Die Fotos, die Tamara und ihre Freundin Joi an diesem Sommertag im Schlosspark schießen, wollen sie später bei Instagram hochladen. Instagram ist eine Art digitales Bilderbuch: Menschen fotografieren ihren Alltag mit ihrem Handy, laden die Fotos in das soziale Netzwerk hoch und zeigen sie der Welt. Das Profil von Tamara Sattler ist ein digitaler Modekatalog, ein Mädchentraum in Rosa und Weiß.
Die 23-Jährige präsentiert sich auf ihren Bildern gern in schönen Klamotten und vor malerischen Kulissen. Die Fotos zeigen sie mit Sonnenbrille in einem Blumenfeld, mit ihrer Hündin im Bett oder mit Mütze und Mantel vor einem zugeschneiten Tannenbaum. Die meisten Fotos haben gemeinsam, dass sie Tamara mit einem Lächeln zeigen und dass sie zu einem leichten Rosastich tendieren. „Rosa ist meine Lieblingsfarbe", erklärt Tamara, „es hat so etwas Mädchenhaftes." Rosa sind ihre Fingernägel, das Zifferblatt ihrer Armbanduhr, ihre Handyhülle und ihre Klamotten.
Unternehmen machen zu Werbezwecken Geschenke
Andere Nutzer können die Fotos kommentieren, mit einem Herzchen versehen oder, im besten Fall, dem Profil „folgen". So wächst die Schar der Fangemeinde. Tamara Sattler gehört, zumindest im regionalen Umkreis, zu den Bloggern mit den meisten „Followern": Über 31.000 Menschen folgen zurzeit ihrer Instagramseite. Das ist eine Kleinstadt. „Influencer", Beeinflusser, werden die Blogger mit einer solch mehrstelligen Followerzahl im Marketingsprech genannt - je größer die virtuelle Gefolgschaft, desto größer der Einfluss. Längst haben große Unternehmen diesen Einfluss für ihre Zwecke entdeckt: Wurden früher teure und aufwendige Fernsehspots mit internationalen Filmstars gedreht, läuft die Werbung für die junge Zielgruppe heute über Instagram.
„Influencer Marketing" wird immer beliebter bei den Werbetreibenden, aus mehreren Gründen: Erstens ist Werbung über soziale Netzwerke lange nicht so teuer wie die Spots fürs Fernsehen. Zweitens gelten die jungen Influencer wie Tamara als besonders authentisch und vertrauenswürdig - sie sind eben keine Filmstars, die mit der eigenen Lebensrealität nichts zu tun haben, sondern Menschen wie du und ich. Und, drittens, sie erreichen die Zielgruppe dort, wo sie sich heute aufhält - nämlich im Internet. Laut der aktuellen JIM-Studie schauen nur noch 45 Prozent der 12- bis 19-Jährigen täglich fern, während 89 Prozent täglich im Internet sind. Ein Smartphone besitzen 97 Prozent der Jugendlichen - also praktisch alle.
Vor etwa einem Jahr wurde Tamara das erste Mal von Werbetreibenden angeschrieben, erzählt sie. Eine Firma schickte ihr ein Armband zu, das sie behalten durfte, wenn sie ein Foto davon auf ihrem Instagram-Profil hochladen würde. Sie bekam schließlich Blumen zugeschickt, Schmuck, Taschen und natürlich Klamotten, Klamotten über Klamotten. Die Ansprüche der werbenden Unternehmen wurden höher. Sie gaben nun auch einen Stichtag vor, bis zu dem das Foto hochgeladen werden müsse. Solche Fotos mit gesponserten Produkten kennzeichnet Tamara als Werbung, wie etwa das Foto vom 19. Juni, das sie zwischen funkelnden Seifenblasen mit einer kleinen Handtasche zeigt. „Vielleicht ist euch aber außer den Seifenblasen noch was aufgefallen, die schöne Clutch in meiner Hand", schreibt sie unter das Bild, „wie wunderschön ist sie bitte, und passt einfach mal perfekt zum Outfit."
Für solche Werbefotos erhalte sie kein Geld, sagt Tamara. Ihre Gage ist das Produkt, das sie behalten darf. Sie wolle auch gar kein Geld mit Instagram verdienen, meint sie, ihr Geld verdiene sie mit ihrer Arbeit als Einzelhandelskauffrau. „Instagram wird für mich immer ein Hobby bleiben." Dann will sie lieber über etwas anderes reden. Wie etwa über die Geschichte, wie sie zu all dem eigentlich gekommen ist. Alles begann vor etwa drei Jahren, als die Herrnsheimerin für ihren Freund, den Fußballprofi Tevin Ihrig, nach Mainz gezogen war. Der trainierte oft, und Tamara suchte nach einem neuen Hobby. Sie trieb viel Sport, machte Fitness, und hielt ihren Fortschritt auf Fotos fest. Diese Fotos lud sie auf Instagram hoch. Im Laufe der Zeit wurde der Fitnessblog zum Modeblog.
Heute macht Tamara ihre Fotos nicht mehr vor dem Spiegel, sondern oft im Herrnsheimer Schlosspark. Der weiß gestrichene Pavillon ist ihr Lieblingsmotiv. Mittlerweile wohnen sie und ihr Freund auch wieder in Worms. Nachdem ihre Fotos anfangs spontane Handy-Aufnahmen waren, die sie von sich selbst im Spiegel schoss, ähnelten ihre Fotos mit der Zeit immer mehr den hochgestylten Aufnahmen aus Modezeitschriften. Etwa einmal in der Woche geht sie raus zu schönen Plätzen und macht Shootings für ihr Instagram-Profil, so wie an diesem Tag.
31.000 Follower und es werden täglich mehr
Mit der Professionalisierung ihrer Bilder stieg auch die Zahl der Menschen, die sie sehen wollten. Am Anfang zog sich ihre Instagram-Karriere wie Kaugummi, erzählt Tamara. Als sie letztes Jahr im August die Marke von 3000 Followern knackte, war sie baff. Einen Monat später waren es bereits 1000 Menschen mehr - so viele gewinnt sie heute innerhalb einer Woche hinzu.
In den Statistiken ihres Profils kann Tamara genau sehen, wer diese Leute sind, die ihr folgen. Ihre meisten Follower kommen aus Worms, dahinter folgen München und Berlin. 42 Prozent sind zwischen 18 und 24 Jahren alt, zu etwa zwei Dritteln sind es Frauen. Manche, die sie über das Internet kennenlernte, traf sie auch im realen Leben. Wie ihre Freundin Joi, ebenfalls eine Modebloggerin, die aus Hamburg kommt und Tamara an diesem Wochenende besucht.
Ihr bisher erfolgreichstes Foto ist vom 14. Februar, Valentinstag. Es zeigt Tamara in einem Bett voller rosa Luftballons, während ihr Freund Tevin vor ihr kniet und ihr Rosen schenkt. Bis heute erreichte das Bild über 13.000-mal „Gefällt mir", etwa 600 Kommentare. Das Foto ist gleichzeitig künstlerisch und künstlich - „so würden wir nie dasitzen", gibt Tamara zu. Ist es nicht anstrengend, ständig das Unterhaltungsbedürfnis ihrer Community befriedigen zu müssen? Kann man es sich überhaupt noch leisten, mal einen Tag oder zwei offline zu sein? Diesen Druck kennt Tamara auch. Bis vor Kurzem habe sie manchmal noch bis drei Uhr nachts an Fotobearbeitungen gesessen. Etwa drei Stunden am Tag verbringt sie auf Instagram, schätzt sie. Vor einiger Zeit habe sie gemerkt, dass ihr das zu viel werde. Jetzt wolle sie sich ab und zu auch mal eine Auszeit gönnen können, schließlich soll der Spaß an der Sache nicht verloren gehen. „Meine Community versteht das, wenn ich mal einen Tag Pause mache", sagt sie.