Carolin Kebekus thematisiert Weiblichkeit auf großer Bühne - und lotet die Grenzen der Scham aus. In der Swiss-Life-Hall haben ihr 3900 Besucher zugejubelt.
„Seht ihr das?”, fragt Carolin Kebekus und wackelt mit ihrem Arm. Ihr Oberarmfleisch schlackert ausgiebig und in Großaufnahme auf der Leinwand hinter ihr. „Winkearme“ werden die Oberarme mit schlaffer Haut oft genannt und als Schönheitsmakel angeprangert. Kebekus hat da eine etwas andere Definition: „Das heißt, ich gönn mir. Und zwar jeden Tag“, ruft sie grinsend, und die 3900 Zuschauer in der Swiss-Life-Hall jubeln.
Gejubelt wird bei ihrer Solo-Show „Pussy Nation“, mit der die 39-Jährige am Freitag in Hannover war, ohnehin sehr viel. Dort erzählt sie etwa von ihrer ersten Intim-Haar-Entfernung mit Zuckerpaste oder, dass sie sich manchmal wie Jesus fühlt, wenn sie ihre Menstruationstasse ins Klo kippt. Sie redet über weibliche Masturbation, Tampons und Fake-Nacktbilder. Hauptsächlich geht’s dabei – auch sprachtechnisch – um Tabus und darum, diese zu brechen.
Kontrastmittel Mann
Für Männer ist es etwa gesellschaftlich akzeptierter, jemanden abzuschleppen, ohne die große Liebe zu erwarten. Kebekus findet, das sollte auch Frauen zustehen – und sinniert über eine App, die Sexualpartner rankt. Dann könne sie besser „einfach mal was zum Bumsen abschleppen“.
So feministisch das Programm innerhalb seiner heteronormativen Maßstäbe ist, das Umdrehen der Klischees hat einen Nachteil: In dieser Logik sind Männer das Kontrastmittel – und somit weiter der dominierende Faktor. Schöner wäre es doch eine weibliche Sexualität ganz unabhängig von der männlichen Perspektive zu propagieren.
Auch plädiert sie einerseits für mehr Solidarität unter Frauen („Hört auf, euch anzubitchen“), andererseits zieht sie über Instagrammerinnen her, die sich vermeintlich schön photoshoppen. Subtext: Seid selbstbestimmt. Aber so bitte nicht.
Der Weiblichkeit eine Bühne
Aber Carolin Kebekus macht auch etwas sehr Gutes: Sie gibt der Weiblichkeit und ihren ganzen Tabus eine riesige Bühne. Sie regt sich laut und klug über frauenfeindliches Bodyshaming auf und darüber, wie Männer reagieren, wenn ein Tampon aus der Tasche rollt („Die gucken weg, als wär mir das Höschen geplatzt“).
Dabei ist Kebekus auch mal sehr ernst. Etwa wenn sie über den Paragrafen 219a spricht, der für sie Informationen über Abtreibungen kriminalisiert. „Da hängt ja noch Mittelalter dran an dem Gesetz“, sagt sie. „Mein Körper. Meine f*** Entscheidung.“ Das Publikum ist ihr ohnehin sehr zugetan, aber besonders, wenn Kebekus so explizit politisch wird, gibt es Szenenapplaus.
Feministische Ansätze sind heute deutlich populärer als noch vor wenigen Jahren. Trotzdem braucht es Mut, um sich dafür so offensiv einzusetzen – wie seine schwabbelnden Oberarme in die Kamera zu halten, und zu sagen: „Ich gönn mir. Und zwar jeden Tag.“
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Von Kira von der Brelie
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