Seither haben sich die Welt und Macau so schnell gewandelt und verändert, dass man Macau nicht mehr wiedererkennt. In einem Interview auf Kantonesisch im Jahr 2017 am „Memória de Macau“, einem Projekt der Macao Foundation, sagt der Sekretär der Sonderverwaltungszone für Verkehr und öffentliche Bauten, Raimundo do Rosário, über den Status Quo dieses Territoriums in Hinblick auf das Prinzip Ein Land, zwei Systeme, es sei seit „fünfzig Jahren unverändert. Aber es ist unmöglich, überhaupt keine Änderungen vorzunehmen. Daher werde immer mehr darüber diskutiert, ob es wirklich keine Veränderungen gibt.”
In den Artikeln, die ich auf Portugiesisch und Deutsch veröffentlicht habe, habe ich bereits mehrmals geäußert, dass ich ein Teil der letzten kolonialisierten Generation der bin, welche an den Austauschdiskurs zwischen Fernost und Abendland glaubt. Die Portugiesen von Macau sind für mich seit langer Zeit nicht mehr exotisch, sondern Teil unserer Gesellschaft. Mit ihnen ist Macau vollständig, mit ihnen schützt Macau seine kulturelle Vielfalt und mit ihnen können wir weiterhin buchstäblich im Austausch zwischen Fernost und Abendland leben.
Eine Vergangenheit, die so präsent scheint
Es fasziniert mich immer wieder, wie Macao im Ausland dargestellt wird. Bei der Recherche zu den (wenigen) Fernsehberichten, die hier auf dem europäischen Kontinent - insbesondere in Mitteleuropa - produziert wurden, habe ich mehrere französische Werke aus den 1960er Jahren entdeckt, die Themen präsentieren, die bis heute sehr aktuell sind. Es gibt Aspekte in Macau, die unverändert bleiben, zum Beispiel die bewusste Distanzierung der Bevölkerung von der Politik.
Unter den wenigen Werken, die ich im Internet finden kann ohne das Haus zu verlassen, sticht der halbstündige Bericht „Macao: zwischen Salazar und Mao“ von dem kanadischen Journalisten Pierre Mignot für das französisch-schweizerische Programm „Kontinente ohne Visum“ hervor. Dieses Werk wurde im September 1966 in der Schweiz publiziert, nur wenige Monate vor dem „Zwischenfall (wie die Chinesen sagen) Aufstand (wie die Portugiesen es nennen) 1-2-3“. Nach einer Eröffnungsszene, die die übliche Exotik des Fernen Ostens offenbart, stellt Mignot Ho Yin (1908-1983), den Leiter der chinesischen Gemeinschaft in Macau, dem Publikum wie folgt vor: „Zwischen der Regierung des [Minister-]Präsidenten Salazar, der das Volkschina nicht anerkennt, und Peking, das Portugals Rechte an Macau für negiert, gibt es ein unausgesprochenes friedliches Zusammenleben, dessen bestes Symbol der ehrenwerter Herr Ho Yin, Vorsitzender der Handelskammer [Handelsverein] Macaus ist.”
Ho wurde in englischer Sprache interviewt und las auf Kantonesisch ein zuvor erstelltes Manuskript vor. Antwort wurde auf Kantonesisch gegeben und auf Französisch synchronisiert: „Ich bin Mitglied des Legislativrates von Macau [derzeitige Legislativversammlung] und dort der einzige Vertreter der chinesischen Gemeinschaft bei der portugiesischen Regierung. Tatsächlich bin ich Mitglied des Politischen Volksrats [heute übersetzt als Politische Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes] und gehe einmal im Jahr zur Sitzung dieser Versammlung nach Peking.“
Aber für diejenigen, die Kantonesisch verstehen, kann man hinter den Kulissen Hos Stimme hören, er sagt: „Zunächst grüße ich die Zuschauerinnen und Zuschauer des Fernsehens. Macau ist eine ruhige, friedliche und zunehmend prosperierende Stadt, die weltweit im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Was die Regierung von Macau betrifft, bin ich Mitglied des Legislativrates und der Vertreter der chinesischen Gemeinschaft.“
Neben der damals sehr typischen Art, Kantonesisch zu sprechen, bin ich mit dieser der Art der Präsentation im Fernsehen von Macau seit den neunziger Jahren sehr vertraut.
Mignot fährt auf Französisch fort: „Als ich von dieser doppelten Zugehörigkeit zu den beiden Regierungen, die offiziell sich ignorieren, erfahren habe und überrascht war, gab Herr Ho Yin lächelnd zu verstehen, dass er es vorzieht dieses Problem nicht anzusprechen.“
(Noch) zwischen Fernost und Abendland
Ein kleiner Exkurs an dieser Stelle: Wie wir wissen, ist Macaos Diskurs als Ergebnis des Austauschs zwischen Fernost und Abendland ein indirektes Produkt der Gemeinsamen Erklärung zwischen China und Portugal. Zuvor existierten mehrere Diskurse oder Versionen von Macau-Geschichten und deren Herkunft nebeneinander. Die politische und ideologische Debatte von Macaus Darstellungen in Geschichtsbüchern hat nach mehreren historischen Ereignissen, nämlich dem 25. April und natürlich der Übergangszeit (1987-1999), nachgelassen. In der Tat kann dies der Grund sein, warum Macau für ausländische Journalisten ein unattraktives Thema ist.
Wir gehen jetzt sehr schnell durch den Sommer 1984, Monate vor der Unterzeichnung der Chinesisch-Britischen Gemeinsamen Erklärung zu Hongkong. Um „die Geschichte und Herkunft Hongkongs besser kennenzulernen“, präsentierte ein bekannter Hongkonger Gelehrter, Richard Ho (何文匯), eine 25-minütige (ohne Werbezeit) Episode über Macau auf Kantonesisch. Diese war Teil einer Reihe von Fernsehdokumentationen des Radio Television Hong Kong, „Archaeology and Antiquities“ (百載鑪峰).
In den ersten sieben Minuten erläutert Richard Ho die portugiesischen Seewege bis zum Fernen Osten. Es zeigt auch den Grund, warum sich die Portugiesen in Macau niederlassen durften: weil sie Piraten festgehalten und die Mandarinen bestochen haben. Dies ist eine der Versionen über den Ursprung der Gründung der ersten portugiesischen Siedlung in Macau zu dieser Zeit. Sie ist normalerweise nicht mehr Teil des öffentlichen Diskurses in Macau, zumindest unter Kantonesischsprachigen.
Tatsächlich gibt es am Ende des ersten Teils eine mindestens einminütige Passage, in der Richard Ho auf Englisch mit Pater Manuel Teixeira (1912-2003) am alten Seminário S. José spricht. Er war ein prominenter portugiesischer Historiker von Macau. Es ist schade, dass der Dokumentarfilm rein auf der Erzählung des Autors ohne Interviews basiert, denn es wäre eine Freude, Pater Teixeira in einem Fernsehprogramm in Hongkong mit Untertiteln zu sehen. Richard Ho kommentiert: „Es war als würde man in seinem Gesicht den Geist der Beharrlichkeit dieser Jesuitengelehrten auf ihren Missionen nach China seit mehr als vierhundert Jahren sehen.“
Gehen wir jetzt zurück zu 1969, dem vierten Jahr der Kulturrevolution. Einer der interessantesten Fernsehberichte, vom Institut national de l’audiovisuel Frankreichs zur Verfügung gestellt, ausgestrahlt in der französischen Sendung „Point contrepoint“, handelt von Macau. Er ist ein sechsminütiger Bericht, der in Farbe gedreht und von Jean Baronnet mit dem aus Peking stammenden Journalisten Jean-François Chauvel (1927-1986) erstellt wurde.
„Am 26. Oktober finden [...] Wahlen in Macau statt, einer Stadtprovinz zu Füßen des chinesischen Riesen an der Mündung des Perlflusses: 300.000 Einwohner, 3.000 Wähler“, d.h., 1%”, so berichtete Chauvel nicht ohne ironischen Ton. Gleichzeitig werden die antiken Gebäude des heutigen Municipal Affairs Bureau - eine Art administratives Überbleibsel der mittlerweile wegrationalisierten Rathauses - und des einstigen Kolonialgouverneurs Nobre de Carvalho (1910-1988) gezeigt, dessen Mandat praktisch die gesamte Zeit der Kulturrevolution von 1966 bis 1974 umfasste.
Ich nehme daher an, dass es um die Wiederwahl eines Ratsmitglieds aus dem Leal Senado ging - dem „Loyalen Senat“ des Rathauses von Macao, das 1999 mit der Übergabe verschwand. Heute gibt es weder Rathäuser (für Macao und die Inseln Taipa und Coloane) noch allgemeine (wenn auch teilweise) Wahlmöglichkeiten für ihre Versammlungen.
Ich kehre zu dem Bericht von 1966 zurück, der am Vorabend der Kulturrevolution erstellt wurde. Auf die Frage, ob kantonesischsprachigeSchulen Nationalisten oder Kommunisten gegenüber mehr Sympathie entgegenbringen, antwortete Pater José Barcelos Mendes (1926-2006), damals Professor für Französisch am Seminário S. José, Pierre Mignot:
„Vous connaissez les Chinois. Les Chinois n’aiment pas la politique.“
Halleluja! Es scheint, dass Macau bis heute so geblieben ist; die Leute meiden politische Themen. Ich bin wirklich beeindruckt, wenn ich solche historischen Berichte sehe, die in diesem 21. Jahrhundert als authentisches „Déjà Vus“ in Erscheinung treten.
Die Gründe für diese mögliche Ablösung von Politik im Laufe der Geschichte verdienten eine eingehende politische und anthropologische Untersuchung. Trotzdem - und obwohl es weit weg ist - sehe ich heute eine stärkere Beteiligung und ein größeres öffentliches Bewusstsein der jungen Macauer im öffentlichen Leben.
Hoffnungsstation
Macau ist in meinem Leben immer präsent, obwohl es geografisch weit von mir entfernt ist - 8715 Kilometer von Berlin aus. Ich schreibe Meinungsartikel für die portugiesischsprachige Lokalpresse (Jornal Tribuna de Macau) - obwohl ich lieber sage, dass es sich um „Reflexionen“ handelt - und folge normalerweise den Nachrichten. Macau bleibt „rot,“ wie die deutsche Zeitungen so gerne urteilen, jedoch bleibt es andererseits „einzigartig“, wie wir euphorisch sagen, da seine portugiesischsprachige Seite ein Indikator für die anhaltende Wahrung der kulturellen Vielfalt in Macau ist.
Ich scheue mich nicht, hier noch einmal die Frustration anzusprechen, die ich empfinde, wenn ich die Unsichtbarkeit von Macau in Berichten auf dem europäischen Kontinent erkenne, natürlich mit Ausnahme von Portugal. Angesichts der Informationen und Nachrichten der Welt frage ich mich jedoch, wieso ich immer noch darauf bestehe, Macau in diesem Teil der Welt zu erwähnen, in dem die Sonderverwaltungszone nichts anderes als ein Detail in der Dreiecksbeziehung zwischen dem Festlandchina, Hongkong und Taiwan ist, sowohl in den Medien als auch im akademischen Bereich. Aber dennoch, ich erinnere mich daran, was ich in der Biologie in der Schule gelernt habe: Jeder Organismus in der Nahrungskette ist für das Ökosystem von wesentlicher Bedeutung. Macau mag im Weltkontext keine journalistische Bedeutung haben. Doch bedeutet das nicht, dass es keinen Wert hat, nämlich in der Ethnologie und im theoretischen Beitrag postkolonialer Studien.
Beachtet werden sollte, dass die Franzosen oder Deutschen, wenn sie von Macau sprechen, diese exotische Stadt zunächst vorstellen und in ihren historischen und politischen Kontext setzen sollten, um das Interesse des Publikums zu wecken, bevor sie das spezifische Thema der fraglichen Nachrichten präsentieren. Dies geschieht beispielsweise nicht, wenn sich portugiesischsprachige Journalisten direkt mit dem Thema befassen, entweder weil sie in Macau leben oder weil die Stadt Teil der Geschichte Portugals ist und vom Publikum bekannt ist.
Zwischen 2007 und 2010 habe ich intensiv Nachrichtenreportagen für die portugiesischsprachige Presse in Macau geschrieben, als ob ich eine Ein-Mann-Nachrichtenagentur wäre. Dieser brachte mich den portugiesischsprachigen Zeitungen näher und seitdem schätze ich die Arbeit portugiesischer Journalisten in Macau noch mehr.
Abschließend wollte ich nur sagen, dass ich portugiesischsprachigen Journalisten, die in Macau arbeiten, sehr dankbar bin. Ihre Arbeit kennzeichnete mein Wachstum in den fünf Jahren, in denen ich an der Universitäten Macau, Coimbra und Lissabon Portugiesisch studierte.
Wir müssen in dieser Saison weiterhin Hoffnung haben!
Die Originalversion dieses Artikels auf Portugiesisch wurde am 28. April 2021 auf Extramuros veröffentlicht. Dieses Jahr, wurden den portugiesischsprachigen Journalisten bei der Teledifusão de Macau von Seiten der chinesisch-patriotischen Redaktionslinien Anweisungen gegeben. Zudem bestehen in Bezug auf die Berichterstattung über dieses Thema verschiedene Meinungen sowie Kritik von mehreren Seiten, einschließlich aus Festlandchina, Hongkong, Macao und Portugal. Der Autor beschließt als neutraler Beobachter alle diese Meinungen zu respektieren und keine Position einzunehmen. Nachdem ich Portugiesisch studiert und den Pluralismus verteidigt hatte, hatte ich dank dieses Artikels dennoch die Gelegenheit, portugiesischsprachigen Journalisten in Macau Tribut zu zollen, unabhängig von ihren Ansichten oder politischen Positionen. Der portugiesische Originaltext enthält diesen Noten nicht.
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