Zwischen Touristen und Stammgästen – im Spitzen Gebel ist jeder willkommen. Das einstige Klavierträgerhaus steht seit über 600 Jahren in der Bremer Altstadt, war Wohnhaus, Fischhandlung, Büro, Kneipe. Eine Reportage über einen der kultigsten Orte Bremens.
Wirtin Martina Prawitt hat alles im Blick. Und das nicht nur, weil sich der Tresen im Spitzen Gebel praktischerweise mitten im Gastraum befindet, der ohnehin mit seinen 25 Quadratmetern überschaubar ist. Nein, die 57-Jährige kenne ihren Gebel einfach, sagt sie. 15 Jahre ist es nun schon her, dass sie die Traditionskneipe übernahm. 2004, im September war das.
Die Gaststätte Spitzen Gebel wird auf dem Internetportal der Stadt Bremen offiziell als Kultkneipe beworben. Besonders mit Beginn der dunklen Jahreszeit, wenn die Sonne mit jedem Tag etwas früher untergeht, strömen die Menschen in das urige Lokal. An den Wochenenden stehen die Gäste dann häufig Schulter an Schulter im ganzen Raum, so voll ist es.
Mit den Szene-Bars an der Schlachte oder im Viertel hat der Spitzen Gebel wenig gemeinsam. „Alles hier ist alt, sogar der Zigarettenautomat", sagt Prawitt. Trotzdem kommen auch immer viele junge Menschen hier her. Auch unter der Woche ist das Lokal selten verwaist; Menschen unterhalten sich an den Tischen, manche würfeln oder spielen Karten, Stammgäste sitzen auf ein Glas frisch gezapftes Haake-Beck an der Bar und plaudern mit den Frauen hinter der Theke, während stets ein Rauch-Schleier durch den Raum wabert - der Gebel ist bis heute eine Raucherkneipe.
In über 600 Jahren hatte das Haus verschiedene FunktionenBekannt ist das Lokal unter anderem für seinen speziellen Kräuter-Schnaps „Sluk ut de Lamp" (Plattdeutsch für „Schluck aus der Lampe"), aber auch, weil es sich in einem der ältesten Häuser Bremens befindet. Denn das Haus mit dem markanten Giebel, dem die Kneipe ihren Namen zu verdanken hat, wurde um 1400 erbaut, also vor über 600 Jahren. Etwa die Hälfte seines Lebens wurde es als Wohnhaus genutzt. Wer zuerst dort wohnte, ist nicht bekannt, mehrere Quellen gehen aber davon aus, dass es vor allem Handwerker-Familien waren.
Die erste Gaststätte - eine Schankwirtschaft, die von einem Bierhändler betrieben wurde - eröffnete im Haus mit dem auffällig spitzen Giebel Anfang des 20. Jahrhunderts. Davor war darin zwischenzeitlich die Bremer Traditionsfischhandlung F.L. Bodes zu finden. Bis heute ist das Geschäft in der Bremer Innenstadt angesiedelt.
1913 verkaufte der Händler das Haus schließlich an die Vereinigten Klavierträger der Stadt Bremen. Auch deshalb war das Gebäude vor allem vor dem Krieg als Klavierträgerhaus bekannt. Angeblich waren es die Klavierträger, die den „Schluck aus der Lampe" etablierten - damals allerdings noch im Geheimen. Weil sie während der Arbeitszeit keinen Alkohol trinken durften, sollen sie ihre Schnapsflaschen in den damals üblichen Laternen versteckt haben. Der regelmäßige „Sluk ut de Lamp" blieb unentdeckt - und entwickelte sich zum Kultgetränk. Heute serviert Prawitt den Kräuterschnaps nach Geheimrezept allerdings nicht mehr in der Laterne, sondern im Kurzenglas.
Nachts hat das Haus etwas GruseligesNachdem das Haus 1944 fast ganz ausgebrannt war, wurde es nach dem Krieg wieder aufgebaut und eröffnete 1949 schließlich als die Gaststätte Spitzen Gebel. Bis heute wechselten die Wirte ein paar Mal, der Name und auch der „Sluk ut de Lamp" aber blieben.
„Tja, wenn Wände reden könnten", sagt Prawitt. Manchmal haben alte Häuser etwas Gruseliges an sich. Noch immer, nach all den Jahren, sei sie ungern nachts allein im Gebel, sagt Prawitt. Als sie damals die Kneipe übernahm, habe sie einen Pastor alle Räume segnen lassen. Sicher ist sicher.
Gerade weil das Haus so eine lange Geschichte hat, ist die Kneipe heute ein beliebter Anlaufpunkt für Touristen. Sogar einige Führungen gehen hier her. „Norweger, Spanier, Franzosen. Alle verkehren hier", sagt Wirtin Prawitt. Sie findet das gut, ihre Gäste offenbar auch. Hört man sich in der Kneipe unter den Stammkunden um, erwähnen sie alle mit Stolz: Der Gebel ist international. Und mehr noch: Alle hier seien sehr offen, Gespräche würden immer schnell entstehen. Das sagen auch Kurt Basedow und Werner Heitmann. Die beiden Freunde treffen sich regelmäßig im Gebel, schon bevor Prawitt hier Wirtin wurde. „Für den Spitzen Gebel würden wir immer einstehen", sagen sie. Besonders gut gefalle ihnen, dass sie im Gebel immer jemanden zum Schnacken finden. „Hier trifft man Menschen, die man von früher kennt oder lernt neue, junge Leute kennen", sagt Heitmann. Im Gebel könne man wunderbar die Zeit vergessen, sagt Basedow.
Der Gebel ist ein beliebter TreffpunktIm Gebel, sagt Prawitt, entstehen Freundschaften. Weil der Wirtin an ihrem Tresen nichts entgeht, beobachtet sie oft, wenn Telefonnummern ausgetauscht werden. „Und irgendwann sieht man dann die Leute hier plötzlich gemeinsam reinkommen." Prawitt strahlt, wenn sie das erzählt. Sie sagt, sie habe immer gewollt, dass der Gebel ein Ort ist, an dem sich Menschen wohlfühlen.
Mittlerweile ist Prawitts Kneipe etabliert. Ihre Gäste loben den Spitzen Gebel für seine herzlichen Bedienungen und die entspannte Atmosphäre. Dahinter steckt viel Arbeit. Prawitt sagt, am Anfang sei es nicht leicht für sie gewesen. Der Gebel sei heruntergewirtschaftet gewesen, als sie ihn übernommen habe. Ihr Vorgänger schaffte es gerade einmal zweieinhalb Jahre, bevor er dichtmachen musste. Auch Basedow und Heitmann erinnern sich noch an Prawitts Anfänge. Sie habe es sich zu Beginn mit einer Skatrunde verscherzt. Mehr wollen sie nicht verraten. Nun habe die Wirtin ja auch alles im Griff, Schwamm drüber.
Als Prawitt 2004 erfuhr, dass sie die neue Pächterin und Wirtin des Gebels werden würde, habe sich für sie ein Traum erfüllt. Sie habe den Spitzen Gebel schon immer toll gefunden, sagt sie heute. „Ich mag sowieso so gern alte Sachen." Den Innenraum künstlich zu modernisieren, kam für Prawitt nicht in Frage. „Für mich war wichtig, dass hier das Bier gut ist und die Mädels freundlich sind. Man soll sich hier wohlfühlen." Prawitts „Mädels" sind ihre Bedienungen. Einige sind schon seit vielen Jahren dabei. Damit ist der Spitzen Gebel ganz und gar in Frauenhand. „Wenn Frauen hier das Sagen hatten, lief es immer gut.
Seit 1973 unter DenkmalschutzBei den Männern nicht", sagt die Wirtin. Bis heute hat Prawitt nichts an der Kneipe verändert. Alle paar Jahre lässt sie die roten Lederpolster austauschen oder die Tische neu lackieren, aber nur, um den Ist-Zustand zu erhalten. Prawitt sagt: „Ich finde, das muss so sein." Weil das alte Haus seit 1973 unter Denkmalschutz steht, sind große Veränderungen sowieso nicht möglich. Klar, das Haus habe so seine Eigenheiten, sagt Prawitt. Tauschen würde sie trotzdem nicht. Sie sagt: „Das ist wie ein Kind zu haben, das sechs statt fünf Zehen hat. Das ist ein Makel, aber man liebt dieses Kind - fertig."
In fünf bis acht Jahren will Prawitt ihren Gebel abgeben. Sie merke schon jetzt, dass sich ihr Körper immer mehr gegen die Anstrengungen der Gastronomie wehrt. Als sie die Kneipe vor 15 Jahren übernahm, war ihre jüngste Tochter vier. Das bedeutete für Prawitt: Nach der Arbeit nach Hause, drei bis vier Stunden schlafen, Frühstück für die Kinder machen. Jeden Tag, über Jahre. Mittlerweile sei ihr bewusst, was sie ihrem Körper damit angetan habe. Immer häufiger ist sie krank. Ihre Tochter Juliette beschloss deshalb, ihrer Mutter zu helfen. Nach und nach soll sie den Spitzen Gebel übernehmen. Noch ist Prawitt aber nicht soweit. Ihren Gebel von heute auf morgen abgeben, das könne sie nicht. Eine Weile wird Prawitt hier also noch alles im Blick haben. Sie sagt: „Ich gehöre hier her, das ist mein Zuhause."