In der Corona-Krise entdeckt der 60-Jährige Buchhändler Martin Mader Social Media – und wird zum Youtuber.
Es ist der 23. März 2020 als Martin Mader online geht. Zu diesem Zeitpunkt ist seine Buchhandlung Otto und Sohn in Vegesack bereits seit fünf Tagen geschlossen. Mader sitzt in der Stille seines leeren Buchhandels in einem Sessel und blickt in die Kamera, die vor ihm aufgebaut ist. Seine Idee: Er will ein Video für seine Kunden aufnehmen. Ein Lebenszeichen. Ein digitales „Hallo-uns-gibt-es-noch".
Eigentlich ist Mader kein Fan von den sozialen Online-Netzwerken. Es sind die Unternehmen dahinter, denen er skeptisch gegenübersteht. Mader weiß, dass ihr Geschäft die Daten sind - und dass sie es gerne ausnutzen, dass die meisten Menschen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht lesen. Aber dann kam der März - und mit ihm das Coronavirus.
Für die Einzelhändler ist das eine wirtschaftliche Katastrophe, auch für Maders Buchhandel. Seine einzige Einnahmequelle sind jetzt die Bücher, die die Menschen bei ihm telefonisch oder online bestellen - und die Mader anschließend höchstpersönlich ausliefert. Aber das wissen längst nicht alle Kunden, also muss Mader in die Öffentlichkeit. Und die einzige Öffentlichkeit, die es für ihn jetzt noch gibt, ist das Internet.
Faxen mit der HandpuppeInzwischen sind über zwei Wochen vergangen, seitdem der Buchhändler beschlossen hat, sich und seine Buchhandlung auf Youtube zu präsentieren. Und auf Facebook. Und auf Instagram. Mader hat die Möglichkeiten des Internets für sich entdeckt - und er ist angefixt. „Das hat sich irgendwie so ergeben", sagt der 60-Jährige. Mittlerweile habe er sogar richtig Spaß daran. Er sei ja auch Amateur-Darsteller im Statt-Teater Vegesack, erzählt Mader. Das komme ihm jetzt natürlich zugute. Youtube sei seine neue Bühne. „Das dient ja auch alles der Unterhaltung", sagt er.
Für seine Videos hat sich Mader verschiedene Formate ausgedacht. Mal liest er ein Gedicht vor. Mal macht er Faxen mit einer Handpuppe, die Kinderbücher vorstellt. Mal trägt er Hornbrille, Perücke und Kittel und tritt als „Doktor Yes" auf, der die Welt vor umweltschädlichen Reinigungsmitteln warnt und ein Buch empfiehlt, das sich mit Natron als Alleskönner im Haushalt beschäftigt.
Sein Klassiker aber sind die „Corona-Chroniken". Dort sieht man Mader, wie er in seinem Ledersessel vor einem gut gefüllten Bücherregal sitzend, den Tag Revue passieren lässt. Es sind Videos aus der Isolation, die er für sich und für alle aufnimmt, die ein bisschen Zerstreuung und soziale Kontakte gebrauchen können - wenn auch nur digital.
Darin schildert Mader zum Beispiel die eigene Lage oder berichtet von Insolvenzen von Freunden oder hält eine neue Lieferung Bücher in die Kamera. Und sogar eine feste Verabschiedung hat der Buchhändler von Anfang an etabliert. Seinen Zuschauern wünscht er stets: „Bleiben Sie fröhlich!"
In der digitalen Welt ist diese Art Video ein bekanntes Format, genannt „Vlog" - eine Kombination aus den Wörtern „Blog" und „Video", der nichts anderes als ein Tagebuch in Videoform beschreibt. Mader nennt es einfach Video.
Besonders stolz ist der Neu-Youtuber übrigens darauf, dass alle seine Videos ohne Schnitt auskommen. Manchmal brauche er dafür ein bis zwei Anläufe, sagt er. Aber häufig klappe es auch schon beim ersten. Bekannte Youtuber nutzen viele Schnitte gerne als Effekt. Besonders bei den Jüngeren ist das etabliert. Mader kennt diese Videos. Ihn kann das nicht begeistern. „Das ist so hektisch", sagt er. „Wie Breakdance."
Und trotzdem: Der Buchhändler weiß, dass seine Videos noch nicht perfekt sind. Er sagt: „Wir müssen noch üben." Eine technische Herausforderung die beinahe nicht zu lösen scheint ist, dass alle Videos spiegelverkehrt sind. Das fällt vor allem auf, wenn Schrift im Bild ist. Mader hat seine eigene Lösung dafür gefunden: Schilder schreibt er jetzt einfach spiegelverkehrt. So ist die Schrift im Video richtig herum. Mader ist kein Digital Native (ein Begriff für junge Menschen, die mit der Digitalisierung aufgewachsen sind), aber er ist ein Problemlöser.
Für die Zukunft hat Mader noch einige Ideen, die er gerne umsetzen möchte. Demnächst wird er zum Beispiel aus einem Kinderbuch vorlesen, das ihm sehr gut gefällt. Eigentlich wollte er es ganz lesen - das erlaubt der Verlag aber nicht. Gerade lernt Mader jeden Tag etwas Neues, wie er sagt. Zum Beispiel, das Interaktion momentan noch am besten auf Facebook funktioniert. „Da kommentieren die Leute auch", sagt er.
So oder so: Die neue Situation hat Maders Ehrgeiz geweckt. Bald wolle er auch noch zu Twitter. Und außerdem sei er mit den Klickzahlen noch nicht so zufrieden. „Die könnten noch besser werden", sagt er.
Und nach der Krise? Die Buchhandlung Otto und Sohn bleibt online. „Das werden wir nicht wieder aufgeben", sagt er. „Da haben wir ja jetzt auch einiges rein investiert." Auch seine Mitarbeiterinnen posten fleißig - zum Beispiel auf Instagram. Sie seien direkt „bereit und offen" dafür gewesen, sagt Mader. Die Präsenz in den sozialen Online-Netzwerken werde eben immer wichtiger. Der Buchhändler sagt: „Das nehmen wir aus dieser Krise mit."