Das Problem liegt in der Parteistruktur: Kommentar zur Lage der SPD (Oktober 2018).
Die SPD ist im freien Fall. 15 Prozent bescheinigen ihr aktuelle Umfragen. Die Ursachen für dieses historisch schlechte Ergebnis sind vielfältig: Es fehlt an Glaubwürdigkeit, Kernthemen, Gesichtern. Außerdem wird die Kommunikation der Partei immer wieder kritisiert.
All das ist richtig. Aber am Ende sind all diese Eckpunkte auch nur Symptome eines viel größeren Problems: Die Partei krankt am eigenen System. Dort dreht sich alles um Berlin. Dabei wird sozialdemokratische Politik von unten gemacht.
Eigentlich sollte gerade die SPD ein Zuhause für Themen bieten, mit denen sich der Durchschnittsbürger verbunden fühlt. Denn die Partei ist nicht nur sehr alt, sondern auch groß. Theoretisch gibt es sie in jeder Ecke Deutschlands, in jedem Dorf, in jedem schlechten Stadtviertel.
Schuld ist Entwicklung der OrganisationsstrukturSelbst wenn die Genossen vor Ort sicherlich wissen, wo es Probleme gibt, dringt davon eindeutig nur wenig bis zur Parteispitze vor. Schuld ist die Entwicklung der Organisationsstruktur: Zum einen besteht der Parteivorstand seit Jahren aus denselben Personen und zum anderen wird auch der Nachwuchs über die Bundesebene rekrutiert.
Oft sind es Persönlichkeiten der Bundesjusos, die später auch im SPD-Parteivorstand mitmischen. Bis dahin hatten diese Menschen jahrelang nur noch wenig Kontakt zur alltäglichen Arbeit der Kommunen. Und diese war dann häufig auch noch anderen Aufgaben untergeordnet.
Bestes Beispiel dafür ist Andrea Nahles: Seit zehn Jahren ist sie im Parteivorstand, von 1995 bis 1999 war sie Vorsitzende der Jusos. Natürlich entfremdet das vom normalen Leben eines Arbeitnehmers.
Politik im Bundestag eine andere, als die der KommunenNun kann man an dieser Stelle meinen, dass Erfahrung der Politik zugute kommt. Das kann dann sowohl für die alten Hasen der Parteispitze, als auch für den auf Bundesebene aktiven Nachwuchs gelten. Die Politik im Bundestag ist nun einmal eine andere, als die der Kommunen.
Aber vielleicht ist genau das das Problem. Denn Politik im Bundestag - insbesondere, wenn man selbst seit Jahren Junior-Partner einer Großen Koalition ist - ist vor allem und meistens eins: ernüchternd. Voller Kompromisse. Und eine Politik des Klein-klein.
Je länger ein Mensch Teil davon ist, desto mehr Leidenschaft geht verloren, desto öfter erschlägt die Realität die eigenen Vorstellungen. Und am Ende bleibt eine Politik wie die der SPD.
Leidenschaftslos. Ideenlos. Und so entstehen dann Gesetze wie die Mietpreisbremse oder das NetzDG - nett gemeint, aber in der Realität völlig unwirksam.
Von der SPD-Parteispitze werden sie dennoch als große Erfolge verkauft. Weil man schlicht verlernt hat, an mehr zu glauben. Die SPD hat keinen Gesellschaftsentwurf, kein Ziel.
Für einen echten Umschwung bräuchte es auch neue Gesichter mit eigenen Themen. In Kanada ist beispielsweise eine Ärztin Ministerin für Gesundheit, Ministerin für Sport und Menschen mit Beeinträchtigungen ist eine ehemalige Paralympics-Teilnehmerin und Verkehrsminister ist ein Ex-Astronaut.
Niemand macht PlatzDie Partei des Premierministers Justin Trudeau setzt damit nicht nur auf Expertenwissen, sondern auch auf Menschen mit einer eigenen Geschichte. Solche Menschen gibt es auch in der SPD, aber niemand macht Platz für sie.
Um dieses Problem wirklich nachhaltig zu beheben, muss nicht nur die viel beschworene Erneuerung her, es muss eine radikale Neuorganisation der Partei geben.
Es gab mal einen Moment, in dem das möglich gewesen wäre: Kurz nach der Bundestagswahl hätte es diese Chance gegeben. Aber die SPD hat sich in eine neue Auflage der GroKo quatschen lassen.
Jetzt hängt sie dort fest. Kann nicht vor und nicht zurück. Es wäre nicht die Opposition gewesen, die die SPD hätte retten können, sondern die Tatsache, dass die Partei außerhalb von Regierungsverantwortung frei genug gewesen wäre, um Ämter neu zu besetzen, ohne eine Regierung zu gefährden.
Stattdessen ist sie jetzt weiterhin an bestimmte Strukturen und Personen in Ministerposten gebunden.
SPD steht vor DilemmaJetzt ist der Zeitpunkt für einen radikalen Schnitt verpasst. Die SPD steht nun vor dem Dilemma: Aus der Regierung aussteigen und Neuwahlen riskieren oder so gut es geht weitermachen und nach den Wahlen 2021 einen Neuanfang versuchen.
Bis dahin werden die Umfragewerte aber wahrscheinlich noch weiter sinken, vielleicht kämpft die Partei dann sogar mit der Fünf-Prozent-Hürde. Möglicherweise ist dieser Weg der einzige, der zu echter, nachhaltiger Veränderung führt. Vielleicht muss die SPD erst alles verlieren.
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