Kerstin Schweighöfer

Autorin + Benelux-Auslandskorrespondentin Den Haag, Den Haag

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Recht auf Heimarbeit

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Deutschlandfunk
Europa heute 01-07-2015

Niederlande

Recht auf Heimarbeit eingeführt
Heute tritt in den Niederlanden das Recht auf Homeoffice in Kraft. Nur noch bei triftigen Gründen dürfen Arbeitgeber ihren Angestellten verwehren, von zu Hause aus zu arbeiten. Die Begeisterung der Arbeitgeberverbände hält sich in Grenzen - sie finden das neue Gesetz überflüssig.

Von Kerstin Schweighöfer

Fleur van Putten ist zweifache Mutter - und Marketingmanagerin bei einer IT-Firma in Beverwijk, rund 20 Kilometer nordwestlich von Amsterdam. Seit der Geburt der Kinder arbeitet sie nicht nur Teilzeit, sondern auch einen halben Tag zuhause. Ihr Chef habe keine Probleme gemacht - ganz im Gegenteil, erzählt die 30-jährige Holländerin:
"Als ich schwanger war, habe ich ihn gefragt, ob es möglich ist, weniger zu arbeiten. 'Natürlich', hat er geantwortet, 'du kannst auch von zuhause aus arbeiten.' Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Nun arbeite ich drei Tage im Büro und einen halben Tag zuhause, insgesamt 28 Stunden."

Flexible Unternehmenskultur

Wann sie die vier Stunden zuhause arbeitet, kann Fleur selbst entscheiden. Meistens ist es abends, wenn sie ungestört ist und die Kinder schlafen. Tagsüber beantwortet sie höchstens kurz ein paar E-Mails, überfliegt zur Kontrolle einen Text oder erledigt ein schnelles Telefonat. Mehr als Handy und Laptop braucht sie für ihr Homeoffice nicht:

"Meinen Vorgesetzten geht es um das Ergebnis. Wann und wo es zustande kommt, ist ihnen egal - Hauptsache, ich erledige alles pünktlich und so wie abgesprochen. Hauptsache, ich bin erreichbar und sorge für Transparenz. So entsteht Vertrauen. Und dadurch kann ich manchmal im Büro auch eine Stunde früher Schluss machen, weil ich mit den Kindern zum Arzt muss. Meine Vorgesetzten wissen, dass ich diese Arbeitszeit abends zuhause wieder nachhole. Das ist Vertrauenssache."

Auch die Freunde und Freundinnen von Fleur arbeiten bereits fast alle stunden- oder tageweise von zuhause aus, auch ihr eigener Mann: Er hat einen Vollzeitjob, kann sich aber trotzdem einen halben Tag pro Woche um die Kinder kümmern: Seine Heimarbeit verteilt er über mehrere Abende.
Die flexible Unternehmenskultur der Niederländer und auch die gute Verfügbarkeit des Breitbandinternets haben dafür gesorgt, dass die Zahl der Heimarbeiter seit 2008 von 27 auf 32 Prozent gestiegen ist. Und dabei wird es nicht bleiben, freut sich Linda Voortman von den niederländischen Grünen. Sie hat zusammen mit den Christdemokraten dafür gesorgt, dass das Homeoffice nun auch eine gesetzliche Basis bekommen hat und zu einem Recht geworden ist: Fortan muss ein Arbeitgeber triftige Gründe haben, wenn er Mitarbeitern dieses Recht verwehrt: unlösbare Probleme in der Dienstplanung zum Beispiel. Oder finanzielle Schäden. Linda Voortman:

"Es ist wichtig, dass wir die Arbeit weiter flexibilisieren. Nur so können wir dafür sorgen, dass Menschen Beruf und die Sorge für Kinder oder andere Familienangehörige besser kombinieren können. Glückliche Arbeitnehmer machen auch ihre Arbeitgeber glücklich."
Die Begeisterung der Arbeitgeberverbände hält sich dennoch in Grenzen, sie finden das neue Gesetz überflüssig. In der Praxis habe sich auch ohne Gesetz bisher alles gut regeln lassen.

Sorge um Missbrauch

Viele Arbeitnehmer fürchten, ihre Mitarbeiter könnten das neue Recht missbrauchen und die Arbeitszeit zuhause für andere Dinge nutzen. Eine unbegründete Sorge, weiss Nick van der Meulen von der Rotterdam School of Management. Im Rahmen seiner Doktorarbeit über flexibles Arbeiten hat er eine erste repräsentative Umfrage unter Firmen durchgeführt. Ergebnis: Heimarbeit führt nicht zu weniger Produktivität - ganz im Gegenteil, so van der Meulen:
"Ein Arbeitnehmer kann sogar produktiver sein, wenn er zuhause arbeitet, denn manchmal ist die Ablenkung im Büro größer als daheim. Man sollte allerdings nicht länger als drei Tage zuhause arbeiten, sonst leidet der Kontakt zur Firma und den Kollegen darunter. Eine weitere wichtige Voraussetzung ist, dass der Chef loslässt und seinen Arbeitnehmern vertraut, er darf sie nicht dauernd anrufen und kontrollieren, damit erreicht er das Gegenteil."
Fleur van Putten und ihr Mann können das neue Recht nur begrüßen. Dem Homeoffice, da sind sie sich ganz sicher, gehöre die Zukunft:
"Warum sollten wir dazu verpflichtet sein, nur zu bestimmten Zeiten produktiv zu sein? Das Modell, dass wir alle zusammen morgens im Stau stehen, um gleichzeitig im Büro anzukommen und alle zur gleichen Zeit zu arbeiten, ist überholt. Es passt nicht mehr in diese Zeit."