Deutschlandfunk Europa heute 11.10.13
Gefürchtete Migranten
Die Angst der Niederländer vor den Osteuropäern
Von Kerstin Schweighöfer
Polen, Rumänen und Bulgaren: Rund 300.000 Gastarbeitern aus Osteuropa leben momentan in den Niederlanden. Angesichts einer Arbeitslosigkeit, die so hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr ist, sorgt das mitunter für böses Blut. Ein Blick hinter die Kulissen des freien Personenverkehrs.
Ohne Zugangskarte kommt
niemand rein. Und Stacheldraht sorgt dafür, dass auch keiner so schnell über
das hohe eiserne Gitter klettert. Zum Glück hat der junge Mann, der gerade zur
Arbeit fahren will, ein Einsehen: Er zückt seine Karte, öffnet das Tor - und
steigt dann schnell wieder ins Auto. Der Chef wartet, er muss los.
Der junge Mann wohnt hinter dem eisernen Gitter. Er ist einer von 190
osteuropäischen Gastarbeitern, die seit Februar im sogenannten Polenhotel
untergebracht ist: einem Komplex aus übereinandergestapelten Containern im
Industriegebiet von Den Haag.
Sie sind nur gut zwei Meter breit, aber alles hat Platz: zwei Betten, Spind,
Küche, Bad. "Und alles ist neu”, freut sich Kamil, der bereitwillig die
Tür geöffnet hat und für sich und seinen Mitbewohner gerade das Mittagessen
kocht. Eintopf mit Hühnchen.
Kamil ist 25 und kommt aus Kalisz. Jetzt pflückt er Blumen in einem
holländischen Treibhaus. 1000 Euro verdient er im Monat, doppelt so viel wie zu
Hause. Deshalb will er am liebsten für immer bleiben.
Mit dem Polenhotel will Den Haag seinen osteuropäischen Arbeitsimmigranten ein
menschenwürdiges Dach über dem Kopf verschaffen. Weitere solcher Hotels sind
geplant – im ganzen Land. Was auch nötig ist: Von den rund 300.000
Gastarbeitern aus Osteuropa, die in den Niederlanden leben, wohnen Zehntausende
zusammengepfercht auf kleinsten Raum. Zu zehnt in einem Zimmer ist keine
Seltenheit. Oder notdürftig in Bungalowparks und auf Campingplätzen
untergebracht. Wegen Lärm und Ausschreitungen geraten sie immer wieder negativ
in die Schlagzahlen. Dabei steht die nächste große Einwanderungswelle erst noch
an: Ab ersten Januar 2014 können auch Rumänen und Bulgaren frei und ohne
spezielle Arbeitsgenehmigung in die Niederlande einreisen.
Rechtspopulist macht Front
Der rechtspopulistische Politiker Geert Wilders stellte sich deshalb
demonstrativ mit einem alten Grenzschild vor die rumänische Botschaft in Den
Haag und forderte die Schließung der Grenzen. Schließlich befänden sich die
Niederlande in einer schweren Rezession; die Arbeitslosigkeit ist so hoch wie
seit 30 Jahren nicht mehr: "Wir werden überschwemmt mit Hunderttausenden
von Rumänen und Bulgaren”, so Wilders. "Das geht auf Kosten unserer
eigenen Arbeitnehmer. Das geht auf Kosten unserer 700.000 Arbeitslosen.”
So weit will Arbeitsminister Lodewijk Asscher zwar nicht gehen. Aber auch er
gebrauchte dramatische Worte und rief Alarmstufe Oranje aus: Die Deiche, so
Asscher, drohten zu brechen. Die Arbeitsimmigranten aus dem Osten
sorgten für unfairen Wettbewerb, so Asscher. Und das wiederum für böses Blut.
Tatsache ist, dass ein polnischer Handwerker schon für 15 € pro Stunde
arbeitet, während ein Niederländer 42 verlangt – nicht mitgerechnet die
Mehrwertsteuer, die gerade erst auf 21 Prozent erhöht worden ist.
Tatsache ist aber auch, dass viele Polen Jobs erledigen, für die sich die
Niederländer zu schade sind, selbst die arbeitslosen. Bestes Beispiel: die
Treibhäuser. Die meisten Gartenbaubetriebe sind auf Osteuropäer angewiesen.
Eine Untersuchung im Auftrag des Arbeitsministeriums soll nun feststellen,
inwieweit tatsächlich von Arbeitsplatzverdrängung gesprochen werden kann.
Darüber hinaus fordert Minister Asscher einen speziellen EU-Gipfel zur
Arbeitsimmigration.
"”Bislang will die Europäische Kommission das Problem nicht erkennen.
Dabei sollten wir aufhören, immer nur die Vorteile des freien Personenverkehrs
zu sehen. Wir müssen uns auch mit den Nachteilen und Problemen befassen, die er
mit sich bringt." "
Dazu gehören Ausbeutung durch skrupellose Zimmervermieter und illegale
Zeitarbeitbüros, die weit unter dem in den Niederlanden geltenden gesetzlichen
Mindestlohn zahlen.
Die Haager Regierung hat zwar Gegenmaßnahmen ergriffen und Kontrolleure
eingesetzt. Aber wirklich gelöst werden könne das Problem nur auf europäischer
Ebene.
Das gilt auch für die schlechte Integration der osteuropäischen Gastarbeiter.
Die wenigsten sprechen Nederlands. Der Ruf nach einer Einbürgerungspflicht auch
für EU-Bürger wird deshalb immer lauter.