
Alexandra Tobor erzählt über Kulturschucks, DDR-Deutsche in Massenunterkünften und den ersten Schreck im Kapitalismus.
"Sitzen vier Polen im Auto" - der Titel des Debüts der Schriftstellerin Alexandra Tobor klingt wie der Anfang eines abgedroschenen Witzes. Eines Witzes, wie man sie sich in den Neunzigern zuhauf erzählte. Auch, weil berühmte Entertainer wie Harald Schmidt sie über die Medien verbreiteten. Die klauenden Polen, die Kulturlosen und geistig Armen - dieses Polenbild hat das Ankommen und das Einleben unseres Podcast-Gastes nicht gerade erleichtert.
In dieser Folge sprechen wir nicht nur über das Polenbild der Deutschen, wir beleuchten ganz grundsätzlich die Rolle der feinen Unterschiede in der kapitalistischen Konsumgesellschaft und die Bedeutung von Konsum als Kulturtechnik, die man erlernen muss, um dazu zu gehören. Es tun sich etliche Parallelen zwischen beiden Migrationsgeschichten auf - abgesehen von Sprache und Religion. Die DDR-Kinder waren wie auch die Kinder aus Polen komplett anders vorgeprägt, lebten eine andere Kindheit, die so arm und grau gar nicht war. Oder kannten Sie als Kind den feinen geruchlichen Unterschied zwischen Minze und Melisse?
Und obwohl das sämtlich schwere und teils deprimierende Themen sind, ist das alles andere als ein Jammerpodcast: Alexandra Tobor hat die Macht des Humors und der Poesie genutzt, die eigenen Verletzungen und Demütungen, die großen und kleinen Dramen der Auswanderung und des Ankommens, so zu erzählen, dass sie nicht in der Daueropferrolle verharrt. Im Gegenteil: Durch das Aufschreiben der eigenen Geschichte, durch den humorvollen Blick auf Menschen und Gesellschaft, wurde eine Selbstermächtigung möglich, wie sie größer vielleicht nicht sein kann.