"Ich bin die Susi, auf dem Rad gibt es kein 'Sie'", ruft Susanne Puello noch über die Schulter, bevor sie auf ihrem elektrischen Mountainbike den verschlungenen Weg hinauf in den Wald verschwindet. Es ist später Nachmittag, Puello hat den Arbeitstag fast hinter sich. Von Müdigkeit keine Spur. Sie fährt ein Rad aus der vierten Kollektion, die sie und ihr Mann Felix Puello mit ihrem Unternehmen Pexco auf den Markt bringen. Erst die vierte, könnte man sagen - denn eigentlich ist Puello schon seit Jahrzehnten im Fahrradgeschäft.
Susanne Puello wurde von einer Nachfolgerin zur Managerin zur Gründerin - und wieder zur Managerin. Bei Pexco ist sie nur angestellt, obwohl sie es selbst gegründet hat; es ist schon das zweite Mal, dass sie als Nichtgesellschafterin eine Firma leitet, die mal in ihrem Besitz oder dem ihrer Familie war. Susanne Puello ist 59 Jahre alt, und es gibt wohl kaum jemanden, der das Gefühl, eine Firma zu führen, die einem nicht mehr gehört, so gut kennt wie sie. Ist das auf Dauer nicht ziemlich unbefriedigend - oder bietet das Modell womöglich sogar Vorteile?
Die Situation gibt es jedenfalls häufiger, aus ganz unterschiedlichen Gründen. Ein prominentes Beispiel ist Ernst Prost, der Chef des Ulmer Schmiermittelherstellers Liqui Moly. 2017 verkaufte er es an die Würth-Gruppe, um sein Lebenswerk zu sichern, wie er sagte. Chef ist er bis heute und schätzt nach eigenen Worten, wie wenig die Eigentümer ihm reinreden. Oder Miriam Wohlfarth, die Gründerin des Finanztechnologie-Unternehmens Ratepay, das lange Teil der Otto Group war, bis die es 2017 an Advent International und Bain Capital verkaufte - Wohlfarth leitet das Fintech bis heute weiter. Der Verkauf an Otto half der Firma, in einer kritischen Phase zu wachsen; Wohlfarth sagte jedoch später, sie bereue, keine Anteile für sich behalten zu haben.
Daneben gibt es Fälle, in denen Gründer ihre Firma versilbern - und Chef bleiben, weil die Käufer das für eine Zeit des Übergangs verlangen. Und es gibt Situationen, in denen Unternehmer zwar Chefs bleiben, ihre "Babys" aber an Investoren verkaufen müssen, um eine Insolvenz abzuwenden.
Susanne Puello ist nun oben auf dem Berg angekommen. Zum blau-gelben Biker-Dress mit kurzen Fahrradhosen trägt sie Slipper mit Silberschnalle. "Das Thema Fahrrad war für mich Liebe auf den zweiten Blick", erzählt sie. Eigentlich wollte sie Tiermedizin studieren. Doch der NC war hoch, und die Wartesemester sollte sie nach dem Willen des Vaters im Familienunternehmen verbringen. Das hatte ihr Urgroßvater, der Radrennfahrer Engelbert Wiener, 1914 in Schweinfurt gegründet, der Name wurde später im ganzen Land bekannt: Winora.
Sie durchläuft alle Abteilungen - und entdeckt, wie wohl sie sich in der Wirtschaftswelt fühlt, vor allem im Vertrieb. Sie liebt es, unterwegs zu sein, Kontakt mit Händlern und Kunden zu haben, wird Assistentin des Vaters und kümmert sich um die Großkunden. "Für mich stellte sich gar nicht die Frage, wie ich zum Unternehmen stehe", sagt sie. "Es war einfach da, wie ein weiteres Kind der Familie." Beide Großmütter hatten im Krieg Firmen geführt, die Mutter leitete bei Winora die Finanzbuchhaltung. Der Vater hatte das Unternehmen mit gerade einmal 17 Jahren übernommen.
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Puello hat so auch früh erlebt, wie es ist, wenn Pläne scheitern. Ihr Vater träumte davon, Winora nach der Wiedervereinigung zur größten Fahrradmarke im Osten zu machen, und übernahm 1991 eine Fabrik in Thüringen. "Die Leute wollten Waschmaschinen und Autos, aber keine Fahrräder", sagt Puello. Das neue Werk schrieb so große Verluste, dass das Stammhaus sie auf Dauer nicht auffangen konnte. "Dann kam der Moment, in dem wir uns eingestehen mussten, dass das Unternehmen aus eigener Kraft nicht zu retten ist", sagt Puello.
Sie tritt damals an die Seite des Vaters, mitten hinein in die Verantwortung, verhandelt mit Banken, kämpft um Investoren, fädelt einen Deal mit einem Käufer ein. Sie kann den Verlust des Unternehmens für die Familie nicht verhindern, aber seine Zukunft sichern. Der Verkauf der Firma, er ist in diesem Fall die letzte Rettung.