Nicole, ist das Unileben zurzeit easy-peasy oder stressig?
Leider stressig. Bis Monatsende muss ich zwei Hausarbeiten abgeben. Da gibt es gerade viel zu lesen und zu überlegen.
Über welchen Themen brütest du?Eine Arbeit schreibe ich in Französisch, es geht ums Camfranglais.
Um bitte was?Camfranglais ist eine Sprache, die nur in meinem Heimatland Kamerun gesprochen wird. Sie ist eine Kombination aus Französisch, Englisch und Sprachen meiner Heimat. Ich muss darstellen, ob sie als offizielle Verkehrssprache gelten könnte.
Und?Ich denke, Camfranglais ist keine eigenständige Sprache. Die Struktur ist aus dem Französischen übernommen. Aber Camfranglais bestimmt die Identität vieler Kameruner.
Wo spielt sich gerade dein Alltag ab? Am Schreibtisch? In der Unibibliothek?In die Bibliothek gehe ich nicht so oft. Mit der Pandemie ist das etwas anstrengend geworden. Man muss reservieren, pünktlich da sein, Maske tragen ... Lieber leihe ich ein Buch aus und setze mich zu Hause hin. Aber dort ist es auch nicht so einfach.
Was macht es zu Hause schwierig?Hier habe ich meinen Fernseher! Ablenkung ist für mich das Schwierigste. Ich habe versucht, den Fernseher auszuschalten, mein Handy wegzulegen, nur meine Bücher um mich herum zu haben. Hat alles nicht funktioniert, denn ich lebe in einer Einzimmerwohnung! (lacht) Und wenn ich eine Stunde gelesen habe, schlafe ich fast ein. Oder ich kann nichts anderes denken als: Ich darf nicht an mein Handy gehen.
Warum bist du so abhängig vom Handy?Vielleicht liegt es daran, dass ich alleine wohne. Ich rede zum Beispiel viel mit meiner besten Freundin in Kamerun. Sie ist gerade Mutter geworden und hat ganz viel Zeit. Ich überlege schon, ins Wohnheim zu ziehen. Vielleicht fällt das Schreiben leichter, wenn man mit anderen Studierenden zusammen ist?
Neben Französisch studierst du Germanistik und Soziologie. Was gefällt dir am besten?Soziologie. Da gibt es viele schöne Themen und in den Seminaren ist es viel einfacher, seine Meinung zu äußern. Die Leute sind offener und man hat keinen Druck.
Welche Meinung würdest du gern vor einer breiteren Öffentlichkeit äußern als in einem Soziologie-Seminar?Ich möchte die Akzeptanz von Menschen mit HIV in der afrikanischen Community verbessern. Deshalb organisiere ich Info-Abende. Meistens lade ich noch jemanden ein von der Aidshilfe und meiner „Pro-Plus"-Gruppe für HIV-positive Menschen. Die beantworten dann Fragen.Viele wissen nicht genug darüber, was es heutzutage bedeutet, HIV-positiv zu sein. Die Menschen bei unseren Info-Abenden haben oft noch nicht davon gehört, dass HIV unter Therapie nicht mehr übertragbar ist, dass es möglich ist, Sex ohne Kondom haben und HIV-negative Babys zu kriegen. Viele haben Vorurteile. Bei manchen Kommentaren auf Facebook denke ich: Wie kann man solche schrecklichen Sachen schreiben? Viele Leute würden auch nie offen sagen, dass sie HIV-positiv sind. Wir müssen Orte schaffen, wo wir darüber reden können.
Wie hast du dich nach deiner HIV-Diagnose 2017 gefühlt?Oh Gott. Ganz, ganz schlecht. Als ob ich nicht weiterleben könnte. Ich bin umgezogen, habe zu vielen Leuten den Kontakt abgebrochen.
Die Konzentration aufs Studium fiel damals vermutlich erst recht schwer.Ich habe fast drei Jahre lang pausiert. Ich war fix und fertig. Damals habe ich noch als Kellnerin gearbeitet. Arbeiten, zu Hause hocken, arbeiten, zu Hause hocken - das waren meine einzigen Beschäftigungen. Ich hatte Angst, dass andere etwas erfahren, dass ich Leute anstecke. Das war eine schlechte Zeit. Aber die ist jetzt vorbei.
Was hat dir geholfen?Viele, viele Treffen mit anderen HIV-positiven Menschen, und immer wieder darüber zu reden. Zuerst habe ich nur meiner älteren Schwester von der Diagnose erzählt. Sie war sehr traurig und sorgte sich, dass ich niemanden zum Heiraten und Kinderbekommen finden könnte. Inzwischen habe ich es allen Freund*innen und meiner Familie mitgeteilt.
Hast du Diskriminierung wegen deiner HIV-Infektion erlebt?Einige Freund*innen wollten keinen Kontakt mehr zu mir. Ansonsten nicht so viel. Auf meinen Alltag hat HIV keinen großen Einfluss.
Gibt es eigentlich auch etwas richtig Schönes am Unileben?(lacht) Momentan finde ich daran gar nichts mehr schön. Ich bin ja schon 30! Viele meiner Freundinnen sind längst fertig. Die arbeiten, die haben ein Leben. Ich mache immer noch einen Job im Supermarkt. Das ist nicht mehr lustig!
Wann willst du dein Studium denn abschließen?Ein genaues Datum kann ich nicht sagen. Aber irgendwann wird schon Schluss sein, man kann das ja nicht lebenslang machen. Ich mache mir nur Sorgen wegen der Bachelor-Arbeit. Es ist schon schwierig genug, eine Hausarbeit zu schreiben.
Guck doch mal in die Glaskugel. Was siehst du im Jahr 2031?Ich lebe wohl noch in Deutschland. Ich würde gern nach Berlin ziehen. Dort könnte ich meine Ideen besser umsetzen. Und ich hoffe, öfter nach Kamerun fliegen zu können und dort vielleicht etwas für Menschen mit HIV zu tun. Das Leben für Menschen mit HIV ist dort viel schlimmer als hier. In Krankenhäusern gibt es separate Gebäude, auf denen groß „Für HIV-Positive" geschrieben steht. Eine Apothekerin hat mir erzählt, dass sie manchmal sechs Monate lang keine Medikamente für HIV-Patient*innen hat. Wenn ich einen Weg fände, das zu ändern!
Danke für das offene Gespräch, Nicole, und alles Gute für dich! Interview: Katharina Löffler